Gesellschaft | „Mensch und Tier“

„Spätestens beim Wolf wird's kontrovers“

Prof. Mattias Gauly im Interview zur Vortragsreihe „Mensch und Tier: ein ambivalentes Verhältnis“ an der Uni Bozen über die Widersprüche in unserem Umgang mit Tieren.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Prof. Mattias Gauly
Foto: unibz

Der Agrarwissenschaftler und Veterinärmediziner Prof. Matthias Gauly organisiert an der Uni Bozen eine offene Vorlesungsreihe zum Thema „Mensch und Tier: ein ambivalentes Verhältnis“.

 

Salto.bz: Was ist das Ziel dieser Vorlesungsreihe?

Prof. Matthias Gauly: Die Idee ist ganz zufällig im Gespräch mit Professor Martin Lintner von der theologischen Fakultät in Brixen entstanden – Naturwissenschaftler und Ethiker haben ja ganz verschiedene Blickwinkel auf Tiere und unseren Umgang mit ihnen. Wir fanden die Gegensätze spannend und dachten, anderen geht es sicher ähnlich, also haben wir diese öffentliche Vorlesungsreihe organisiert.

 

An welchen Stellen gehen die Sichtweisen zum Beispiel auseinander?

Für mich ist der deutlichste Widerspruch, dass die meisten von uns Fleischesser sind – und gleichzeitig Probleme mit der Schlachtung und dem Tiertransport in der modernen Tierhaltung haben.

Oder die Naturfreunde, die sich über den Wolf freuen, der andererseits für die Landwirtschaft zum Problem wird. Und wenn man dem Wolf als Wanderer begegnet, wird man die Situation vielleicht wieder ganz anders einschätzen.

Aber auch beim Thema Käfige sind wir ambivalent: Während die meisten gegen Käfighaltung bei Hühnern sind, empfinden es viele als normal, dass Kanarienvögel in Käfige eingesperrt werden. Bei der privaten Haltung gibt es wenig Kritik,  die  trifft hingegen jene, die von der Tierhaltung leben müssen.„ Der macht es ja aus wirtschaftlichem Interesse“, heißt es dann - das wird negativer gesehen.

 

Wie hat sich Ihr  persönlicher Blick auf Tiere durch die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihnen verändert?

Das war und ist ein fortlaufender Prozess in den Jahren meiner Arbeit mit Landwirten und Nutztieren. Mein Blick ist kritischer geworden. Welche Kompromisse dürfen wir in der Nutztierhaltung schließen – an manchen Stellen sind wir sicher zu weit gegangen.

Am Anfang meines Studiums hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich mit manchen Aspekten der Tierhaltung später ein Problem haben würde. Wir amputieren die Ringelschwänze von Schweinen, schleifen die Zähne von Ferkeln, wir kürzen die Schnäbel von Geflügel.  (welche Tiere – Hühner, Enten, Gänse, Truthähne? – Geflügel ist en Oberbegriff) Da wird mit einigen Dingen relativ lax umgegangen, die für die Tiere sehr schmerzhaft sind.

Früher dachte man vor allem ökonomischen Kategorien, heute ist das Wohl des Tieres wichtiger geworden. Dieses Umdenken hat auch in der Gesellschaft stattgefunden.

 

Welche ethischen Maßstäbe legen wir im Umgang mit Tieren an – welche würden Sie sich wünschen?

Ich beobachte, dass sich die ethischen Maßstäbe auf mehreren Ebenen bewegen – man erwartet von Landwirten andere Standards als bei sich selbst, wenn man Heimtiere hält.

Aber sinnvolle Standards zu finden, ist gar nicht so schwer: Wer Fleisch essen will, sollte sich überlegen, welche Bedingungen der Tierhaltung er oder sie akzeptieren kann. Dazu muss man sich im ersten Schritt ein bisschen informieren.

Und dann im Supermarkt überlegen, dass niedrigste Preise nicht mit hohem Tierwohl einhergehen können.  Das sollte man jedenfalls tun, bevor man mit dem Finger auf die Produzenten zeigt, die ja davon leben müssen,  und das muss einem beim Kauf schon etwas wert sein.

 

Sie sehen die Verantwortung vor allem bei den Konsumenten. Aber sollten gewisse Sachen nicht einfach verboten werden, statt dass man wartet, bis die Leute freiwillig mehr zahlen – und manches findet man ja kaum, zum Beispiel ethisch unbedenklichen Speck in Südtirol?

Ich möchte die Verantwortung natürlich nicht auf den Verbraucher schieben. In erster Linie müssen die Landwirte die Dinge ändern, denn sie leben mit den Tieren und sind für sie verantwortlich. Und diese Diskussion findet auch statt. Aber der Verbraucher hat durch seine Zahlungsbereitschaft eben großen Einfluss für bessere Produkte.

Letztlich sind wir als Teile dieser Gesellschaft aber alle mitverantwortlich.

Ich denke, diese Vorlesungsreihe kann spannend sein, weil sie verschiedene Blickwinkel einbringt und Betroffene und Fachleute zu Wort kommen lässt.

 

Wo sehen Sie in der Südtiroler Landwirtschaft Verbesserungsbedarf?

Wir haben einiges zu tun. Am häufigsten hier ist ja das Milchvieh. Die kleinteilige Struktur und die Berglage sind erhaltenswert. Aber diese Dinge machen es schwerer, fürs Tierwohl zu sorgen. Zum Beispiel werden wir in solchen Betrieben nicht von der Anbindehaltung wegkommen – denn einen Laufstall kann man nicht überall einrichten.

Also ist die Frage, wie können wir die Anbindehaltung so gestalten, dass wir und das Tier damit zufrieden sein können. Man kann dem Tier zum Beispiel mehr Liegeplatz einräumen, oder die Anbindehaltung mit Auslauf im Freien kombinieren, sodass das Tier vernünftig gut lebt.

Im Moment haben da sicher in einigen Betrieben noch Nachholbedarf.

 

Vom Tierwohl zur Umwelt: Haben wir in Südtirol nicht sogar schon zu viele Kühe – mehr Gülle, als Felder zu düngen, während Futter importiert wird?

Die Umweltfrage ist eine zweite wichtige ethische Frage. Eigentlich haben wir insgesamt nicht zu wenige Flächen – aber man müsste zum Beispiel die Gülle in den Obstwiesen verwenden, wo jetzt chemisch gedüngt wird. Es gibt also Lösungen, aber im Moment wird da noch viel zu wenig gemacht.

 

Nach einer bekannten Studie der FAO ist die Viehwirtschaft für mehr Treibhausgase verantwortlich als zum Beispiel der Verkehrssektor. Kann der Verzehr von Milchprodukten und Fleisch trotzdem Teil einer klimafreundlichen Zukunft sein?

Auf alle Fälle, das müssen sie auch. Aber: Das Rind nur als Methanproduzenten zu sehen ist eine ziemlich einseitige Betrachtung. Das Rind erfüllt auch im ökologischen Gleichgewicht wichtige Funktionen: In der Offenhaltung von Flächen, in der Nutzung von Futtermitteln, die wir ja so nicht nutzen können, das heißt, ganz auf Fleisch zu verzichten und das anders zu kompensieren, wäre unter Umständen wesentlich ungünstiger.

Aber natürlich ist die Rinderproduktion ein wesentlicher Faktor im Klimawandel, und der Konsum sollte verringert werden – es zwingt uns ja auch keiner, 60 Kilo Fleisch im Jahr zu essen! Weltweit sind ja die meisten weit weg von dieser Menge, und man muss es diesen Menschen zugestehen, ihren Eiweißbedarf zu decken. Aber wir hier müssen uns ehrlicherweise die Frage stellen, was ein vertretbarer Konsum ist.

 

Wird es in der Vorlesungsreihe auch darum gehen?

Wir sprechen das Thema auf alle Fälle an: Kann man ohne Fleisch leben? Denn viele entscheiden sich ja wegen des Tierwohls gegen Fleisch, nicht aus ökologischen Gründen. Zu der Frage wird ein Ernährungswissenschaftler sprechen. Wir werden auch Philosophen, Ethiker und Naturwissenschaftler hier haben, und spätestens wenn es um den Wolf geht, werden wir uns auf Publikumsbeteiligung und kontroverse Diskussionen freuen können.