Politik | Di Maio und die PD

Nach dem K.o.

Di Maios Angebot an die PD zur Zusammenarbeit stürzt sie in ein Dilemma. Nicht viel anders erging es der SPD, als ihr eine dritte Groko zugemutet wurde ...
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Luigi Di Maio
Foto: Facebook/Luigi Di Maio

So muss sich der angeschlagene Boxer fühlen, der weiß, dass der Niederschlag unabwendbar ist und ihn schon vorher hundertmal auf sich zukommen sah. Aber wenn er dann wirklich am Boden liegt, ist es noch einmal etwas Anderes. So haben wohl viele die Nacht vom 4. zum 5. März erlebt: knapp 40 % für die Rechte, mehr als 30 % für die 5-Sterne-Bewegung. Und nur noch gut 20 % für eine Linke, die in Trümmern liegt.

 

Nemesis

Renzi wurde zum Opfer der eigenen Hybris. Wegen der 40 %, die „seine“ PD bei der Europawahl 2014 bekam, hielt er sich für unfehlbar – mit dem höhnischen Verweis auf sie „verschrottete“ er seine Vorgänger, denen er die 25 % zuschrieb, auf die sie bei der nationalen Wahl von 2013 gekommen waren. Jetzt sind ihm die 40 % auf die eigenen Füße gefallen, denn diesmal bekam die PD weniger als halb so viel Stimmen, und noch ein Drittel weniger als 2013, als er noch nicht die PD führte. 1,4 Millionen derer, die damals noch PD wählten, machten diesmal ihr Kreuz bei der 5-Sterne-Bewegung.

Vor ein paar Wochen schien er schon mit seiner Niederlage zu rechnen, aber wenigstens seinen Posten als PD-Generalsekretär verteidigen zu wollen, um mit diesem Faustpfand bis zur nächsten Wahl zu überwintern. Denn inzwischen hat er sich „seine“ PD geschaffen: die innerparteiliche Opposition marginalisiert, die Direktion und die Fraktionen mit seinen Gefolgsleuten besetzt. Das gibt man nicht so leicht aus der Hand. Aber zum Schluss war der Druck zum Rücktritt zu groß, auch seitens der eigenen Gefolgsleute. Am Montag wurde sein Rücktrittsbrief im Direktorium verlesen. Er selbst war dazu nicht mehr erschienen. Was er zu seiner Kreatur gemacht hat, muss nun lernen, auf eigenen Beinen zu gehen.

Ein neuer Protagonist

Der Szenenwechsel ist atemberaubend. Plötzlich beherrscht eine Figur wie Di Maio die Bühne, in der viele vor Kurzem nur ein „smartes Jüngelchen“ sahen. In der Frage, wem Präsident Mattarella den ersten Auftrag zur Suche nach einer Regierungsmehrheit gibt, scheint er im Moment nur die Wahl zwischen Di Maio zu haben, dessen 5-Sterne-Bewegung als stärkste Einzelkraft, oder Salvini, dessen Rechtsbündnis als stärkste Koalition aus den Wahlen hervorging. Aber plötzlich zeigt Di Maio eine verblüffende Fähigkeit, sich in den Mittelpunkt zu spielen (auch wenn er sie in erster Linie der Beratung Casaleggios verdanken sollte). Wenn es zur Politik gehört, immer die Initiative zu haben, immer auf Angriff zu spielen und die Konkurrenten in die Defensive zu drängen, dann ist er ein Naturtalent.

Es begann damit, dass die 5-Sterne-Bewegung wenige Monate vor der Wahl ein neues 20-Punkte-Programm absegnete, dessen Inhalt ein wenig in der begleitenden Rhetorik (hier habe man dem Volk „zugehört“) und in den üblichen Ritualen (Abstimmung im Netz) unterging. Heute, wo man es sich wohl oder übel genauer ansehen muss, kann man in ihm schon ein verstecktes Angebot an die PD sehen. Denn neben den üblichen Steuererleichterungen, die alle Wahlprogramme forderten, bietet es auch Ansatzpunkte für eine sozialdemokratische Sozialpolitik. Die grillinische Urforderung nach einem „reddito di cittadinanza“ (der oft fälschlich als „Bürgergeld für alle“ verstanden wird und gerade in Süditalien zum großen Wahlschlager wurde), erweist sich bei genauerem Hinsehen als ein Verwandter von Hartz 4: Er soll nicht bedingungslos ausgezahlt werden, sondern setzt den Nachweis der Bedürftigkeit voraus, ebenso wie die Bereitschaft, fast jeden Job anzunehmen und sich weiterbilden zu lassen. Außerdem soll es eine Mindestrente geben, die Rücknahme der Rentenreform von Ende 2011 (die das Verrentungsalter erhöhte) und weitere Hilfen für Kinderreiche. Dazu gehört aber auch die Forderung nach staatlichen Investitionen, die Multiplikatoreneffekte für neue Arbeitsplätze haben: Digitalisierung, Elektroautos, Green Economy, Ausbau der Abfallverwertung, erneuerbare Energien, Wasserversorgung, Pflege des Territoriums.

Der Pferdefuß ist – wie immer – die Finanzierung, zumal in Italien das derzeitige durchschnittliche Rentenniveau niedriger und die Arbeitslosigkeit höher ist als bei uns. Die Verwirklichung der grillinischen Versprechen würde die Brüsseler Sparvorgaben sprengen. Di Maio sagt ganz offen, dass die Brüsseler 3 %-Regel aufgegeben werden müsse. Zum Programm gehört aber auch die Absicht, in 10 Jahren die Staatsverschuldung, die jetzt bei 133 % des BSP liegt (dem zweithöchsten Wert in Europa), um 40 Punkte zu senken. Wie das mit einem solchen Sozialprogramm gehen soll, bleibt offen.

 

Schachzüge

Der kritischste Programmpunkt ist die Flüchtlingsfrage. Seine Überschrift – „Stopp des Immigrations-Business“ – schwimmt auf der Welle der Xenophobie, die von Schleppern redet, wenn sie Flüchtlinge meint. Die Rolle der 5-Sterne-Bewegung bei der Verhinderung des Ius soli und Di Maios zynische Verleumdung der NGO-Einsätze im Mittelmeer sind noch in frischer Erinnerung. Allerdings waren die Vereinbarungen des PD-Innenministers Minniti mit den Libyern nicht weniger zynisch. Hier war es die PD selbst, die Salvini und der 5SB entgegenkam. Das Kleingedruckte, das sich hierzu im Programm der 5SB findet, enthält eher Harmlosigkeiten: Die internationale Zusammenarbeit bei den Rückführungsverträgen und die personelle Ausstattung der Kommissionen, die über das Bleiberecht entscheiden, seien zu verbessern. Die Forderung des „5-Sterne-Buchs für Europa“, das im März 2017 erschien, wurde noch (?) nicht widerrufen: „Stopp aller Rückführungen in Länder, welche die Menschenrechte verletzen“.

Den vielleicht größten Stein des Anstoßes für eine Annäherung an die PD räumt das Programm beiseite, indem es die Forderung nach einem Referendum über den Euro, das bisher eines der Markenzeichen der 5SB war, einfach verschwinden lässt (von dem Di Maio kürzlich noch sagte, dass er bei einem solchen Referendum mit „Nein“ stimmen werde).

Insgesamt stellt also dieses Programm zumindest eine Annäherung an die PD dar, und Di Maio schien dies auch personell zu bekräftigen. Zur Regierungsmannschaft, die er noch vor der Wahl präsentierte, gehört als künftiger Finanzminister der Ökonom Andrea Roventini. Als Mitautor vieler Bücher, die er mit Nobelpreisträger Stiglitz schrieb, gilt er als „Linker“.

Drei Tage nach der Wahl kam Di Maios nächster Schachzug: ein offener Brief an die „Repubblica“ (die den 5Sternen bisher als Inbegriff der „Lügenpresse“ galt, Grillo hatte seinen Anhängern dringend geraten, sie nicht mehr zu lesen). Der eigentliche Adressat ist auch hier leicht zu erraten: „10 Millionen Arme können nicht ignoriert werden; 30 verschwendete Milliarden können nicht eliminiert werden; die maßlose Besteuerung der Unternehmen muss beendet werden. Die Sicherheit in den Städten muss tags und nachts garantiert werden. Die Arbeitslosigkeit, vor allem die der Jugendlichen, darf sich nicht weiter ausbreiten.“ Die nächste Regierung müsse sich „auf der Grundlage solcher Konvergenzen“ bilden. „Wir haben jetzt die historische Chance, Italien zu verändern“. Als Vorleistung bot er auch gleich der PD die Präsidentschaft in einer der beiden Kammern an.

Geschickt, das „Jüngelchen“. Denn damit stürzt er die PD in das Dilemma, in das auch die SPD geraten war, nachdem sie nicht nur die Wahl verloren hatte, sondern auch noch die Jamaika-Verhandlungen gescheitert waren. Eigentlich möchte sich nun auch die PD auf ihren „Wiedergeburt“ in der Opposition konzentrieren. Es sind fast die gleichen Argumente wie damals in der SPD: Unsere Partei ist schon abgestraft genug, jetzt müssen „die Sieger“ die Verantwortung übernehmen (klingt sehr demokratisch, aber verdeckt ein kleines Problem: Es gibt zwei „Sieger“). Über Di Maios Angebot auch nur zu verhandeln würde das, was von der PD noch übrig ist, nochmals spalten und endgültig pulverisieren. Ist dies vielleicht die versteckte Absicht? Das Misstrauen gegenüber der Führung der 5-Sterne-Bewegung ist tief: Sie wechselt ihre Überzeugungen schneller als der geschniegelte Di Maio seine Hemden.

 

Das Dilemma der PD

Alles richtig, und es scheint auch diese Position zu sein, die sich in der PD durchsetzt. Obwohl es noch eine andere Waagschale gibt, in der ein kaum minder schweres Gewicht liegt. Schon das Nein der SPD zur dritten Groko hätte die deutsche Politik vor die Alternative gestellt, entweder nochmals einen Anlauf zur Jamaika-Koalition zu versuchen (mit dem Nationalliberalen Lindner). Oder eben mit Neuwahlen. Weist jetzt die PD-Führung die Annäherungsversuche der 5SB zurück, gäbe es für Di Maio nur die Alternative, sich mit der Rechtskoalition zusammenzutun. Und zwar mit einer Koalition, die nicht einmal mehr der alte Berlusconi dominiert, sondern der noch sehr vitale Nationalchauvinist Salvini. Soll ihm Italien überlassen werden? Das Nein der PD würde Di Maio dazu die Legitimation geben, die er dringend braucht, weil ein beträchtlicher Teil seiner Wählerschaft auch aus dem linken Lager kommt und gerade bei dieser Wahl noch einmal viele Linkswähler zu den Grillini überliefen. Könnte dieser „Plan B“ vielleicht die eigentliche Absicht sein, weil er die Ablehnung durch die PD längst einkalkuliert hat? Schlau genug dafür ist das „Jüngelchen“. Sonst blieben auch hier nur Neuwahlen. Sie wären ein weiteres Hasardspiel.

Bleibt die Frage, wie sich jetzt die PD nun zu Di Maios Angebot verhalten sollte. Ihm nur ein schlichtes Nein entgegenzusetzen wäre politisch falsch. Die Existenzberechtigung einer Partei beweist sich durch das Projekt, für das sie steht, und nicht nur durch ihren Selbsterhalt. Deshalb

  • sollte Di Maios Angebot mit der Höflichkeit beantwortet werden, welche die 5-Sterne-Bewegung bisher vermissen ließ;
  • sollten die in ihrem Programm enthaltenen sozialpolitischen Vorschläge geprüft werden;
  • sollte nach dem Konzept gefragt werden, mit dem die 5SB das Migrationsproblem angehen will (Fluchtursachen; Menschenrechte z. B in Libyen; Ius soli);
  • sollte insbesondere nach Europa gefragt werden: Einhaltung der Verträge, Vorschläge von Macron (darüber steht im Brief an die „Repubblica“ kein Wort).

Mit solchen „Prüfsteinen“ würde die PD Di Maios Annäherung eine offensive Antwort geben. Dies sollte möglichst öffentlich geschehen, und es würde auch das PD-Profil schärfen.