Verbotener Kuss
Foto: Sonja Schiefer
Politik | M5S gegen Lega

Fünf Sterne gegen Lega

Das Duell Salvini gegen Di Maio eskaliert. Der Innenminister droht mit Vertrauensvotum.
Vier Monate nach der Vereidigung des neuen Kabinetts ist die anfängliche Euphorie der Regierungspartner der Ernüchterung gewichen. Lega und M5S liegen auf Konfrontationskurs. Wichtigstes Konfliktthema: die Justiz.  Die Fünf-Sterne-Bewegung  hält eine Reform der Verjährungsfristen für vordringlich, die Lega lehnt den entsprechenden Vorstoss von Justizminister Bonafede ab. Im Gegenzug drohen die Grillini, im Senat Salvinis umstrittenes decreto sicurezza zu kippen. Der Innenminister wiederum droht mit der Vertrauensfrage. Damit hat das Verhältnis zwischen den Regierungsparteien einen Tiefpunkt erreicht. Jede Seite pocht auf Priorität für die eigenen Reformvorschläge. Die Fünf-Sterne-Bewegung will erreichen, dass bei Korruptionsvergehen die Verjährungsfrist ausgesetzt wird, um eine Straffreiheit der Täter zu verhindern. Die Ministerin und Anwältin Giulia Bongiorno weist das Ansinnen entrüstet zurück: "Significa introdurre una bomba atomica nel processo penale." Das Klima ist gereizt, eine Gruppe M5S-Senatoren hat angekündigt, gegen Salvinis Dekret zu stimmen, scheint sich aber nach langen Diskussionen damit zu begnügen, vor der Abstimmung den Saal zu verlassen. 
 
Insgesamt mutet die Lage eher chaotisch an. Die Fünfsterne-Bewegung musste ihren Widerstand gegen die Trans-Adria-Pipeline aufgeben. Die Basis reagierte aufgebracht. Die Lega wiederum musste auf Drängen der Grillini im Turiner Gemeinderat plötzlich gegen die von ihr stets befürwortete Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin-Lyon stimmen. Innenminister Salvini hat mittlerweile die Verantwortlichen für die jüngste Überschwemmungskatastrophe ausfindig gemacht: "L'ambientalismo da salotto che non ti fa toccare l'albero nell'alveo." 
 
Doch mittlerweile bestimmen offenbar nicht mehr die Parteien die Agenda der Regierung, sondern die Naturkatastrophen oder andere unvorhergesehene Ereignisse. Eine Millarde Euro wurden den betroffenen Regionen bereits zur Verfügung gestellt.  
 
Die 12 Toten in Sizilien wiederum haben die Diskussion um illegales Bauen neu entfacht. Auf der Insel sind nach einer vom Corriere publizierten Statistik 57 Prozent der Häuser gesetzeswidrig gebaut.
 
Der vor 7 Jahren verfügte Abriss des überschwemmten Gebäudes wurde nie durchgeführt. Nach der simplen Logik, dass im Süden abgewählt wird, wer illegales Bauen bekämpft. Bei den Regionalwahlen in Sizilien war auch der M5S-Spitzenkandidat Giancarlo Cancelleri ins Fettnäpfchen getreten, als er den "abuso per necessità" rechtfertigte.
Finanzminister Tria kämpft derweil vor der EU-Kommission um das Haushaltsgesetz. In dem in Brüssel hinterlegten Gesetz fehlen Kernstücke der versprochenen Reformen.  Das bedingungslose Grundeinkommen ist nur angedeutet, wichtige Details fehlen. Der Bürgerlohn galt als wichtigste Reform der Fünfsterne-Bewegung. Doch Lega-Staatssekretär Giancarlo Giorgetti winkt ab: "Il reddito di cittadinanza ha complicazioni attuattive non indifferenti." Was für die Cinque Stelle das Grundeinkommen war, ist für Salvinis Lega die Reform der Pensionsregelung Fornero: wer 38 Beitragsjahre aufweist, sollte mit 60 in Pension gehen dürfen.  Doch auch hier bleibt vieles nur angedeutet. Die hohen Kosten wirken abschreckend.
 
Das von den Grillini nun vorgelegte "anticorruzione"-Gesetz, das Steuerhinterzieher und korrupte Politiker und Verwalter hinter Gitter bringen soll, ist der Lega ebenso ein Dorn im Auge wie die vom M5S geforderte "absolute Transparenz" bei Parteispenden. In einem Abänderungsantrag fordert sie die Streichung von 8 missliebigen Artikeln. 
Vizepremier Di Maio ist indessen erneut nach China geflogen ("con nun velivolo Alitalia ed in 2a classe"), Innenminister Salvini hält sich in Ghana auf. Ab Dienstagnachmittag kommt es im Senat zur Konfrontation über das umstrittene decreto sicurezza des Innenministers. Der an Deutlichkeit wie üblich keine Wünsche offen lässt: "Speriamo che non facciano scherzetti, se no cade il governo."  
Dass ein Vizepremier wenige Monate nach seinem Amtsantritt mit dem Sturz der Regierung droht, ist kaum ermutigend für die politische Zukunft des Landes. In den Umfragen liegen die beiden Regierungsparteien fast gleichauf: 30,6 % für die Lega, 29 % für die Fünf-Sterne-Bewegung. In der Liste der beliebtesten Politiker führt Staatspräsident Mattarella mit 65 % vor Giuseppe Conte mit 61, Salvini mit 60 und Di Maio mit 57 Prozent.
Die für 11 Uhr anberaumte Sitzung der Verfassungskommission der Kammer ist indessen unter lautstarken Auseinandersetzungen auf unbefristete Zeit verschoben worden
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Marcus A. Di., 06.11.2018 - 13:53

"eskalieren, drohen, Implosion, Gespenster, manipuliert usw.".....

Persönlich bin absolut kein Freund der Lega und des M5S und wäre mehr als froh, wenn dieser Spuk zugunsten einer (hoffentlich und endlich!!!!!!!!!!!!) seriöseren Politik Platz machen würde, aber wenn man sich die Artikel des Gerhard M. durchliest, so ist hat das mit seriösem Journalismus nicht mehr viel zu tun, sondern ist subjektive, tendenziöse Meinungsmache.

Wenn sich jemand als Journalist bezeichnet, so kann man zumindest in Ansätzen objektive Berichterstattung erwarten, unabhängig davon ob es sich hier bei salto um eine "Kolumne" handelt.

Di., 06.11.2018 - 13:53 Permalink
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Klaus Griesser Di., 06.11.2018 - 16:28

Gerhard, ich bin nicht in der Lage, die italienische Regierungspolitik zu verteidigen, aber du kannst dem M5S nicht abstreiten, dass es ansatzweise eine Alternative darstellt, um die anscheinend unaufhaltsame neoliberale Tendenz zu behindern. Ein wichtiges Merkmal dazu ist, dass sie nicht auf die üblichen Wirtschaftslobbys hören, wie sie in den "linken" und rechten Parteien, vor allem aber in den EG-Spitzen bzw. in deren Politik stets präsent sind. Frag dich doch mal, wie "erfolgreich" die vergangenen Regierungen u die EG-Spitze denn unterm Strich sind: der Reichtum der Reichen nimmt unaufhörlich zu, die Demokratie geht baden, die Rechte scheint aufzublühen mit der Fahne "Die Ausländer sind schuld!". Und du grinst über des M5S Probleme mit dem ihnen aufgezwungenen Koalitionspartner? Ma ti rendi conto?

Di., 06.11.2018 - 16:28 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Di., 06.11.2018 - 21:03

Antwort auf von Klaus Griesser

Die 5 Sterne Bewegung hat sich letztendlich doch nur als Nikolauspartei geoutet. Ein wenig hergeschenktes Geld hier, ein wenig Condono dort, Hauptsache man bietet den Süden was für seine Stimmen. Das ist Berlusconismo 2.0, wo werden denn hier neoliberale Tendenzen behindert? Wer profitiert denn letztendlich von den wachsenden Staatsschulden? Immer die gleichen Lobbys!

Di., 06.11.2018 - 21:03 Permalink
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Hartmuth Staffler Di., 06.11.2018 - 17:37

Ich bin nicht immer einer Meinung mit Gerhard Mumelter, diesen Beitrag finde ich aber sehr informativ und journalistisch ohne Makel. Es steht jedem Leser frei, nach Lesen der geschilderten Tatsachen die Rechts-Links-Chaoten von M5S oder die Rechts-Populisten der Lega für sympathisch oder unsympathisch zu finden.

Di., 06.11.2018 - 17:37 Permalink
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Michael Bockhorni Mi., 07.11.2018 - 09:04

also ich bin immer wieder sprachlos wie unhinterfragt auch von seriösen Medien wie Ö1 oder hier auf salto wortwörtliche Übersetzung aus dem italienischen übernommen werden ohne Inhalt und Begrifflichkeit abzuchecken. Beim "reditto di cittadinanza" handelt es sich um die finanzielle Sozialhilfe, welche es in Südtirol und natürlich in allen EU Ländern (außer Italien, Griechenland und Bulgarien) gibt. Mehr dazu unter https://blog.ksoe.at/kopernikanische-wende-im-sozialstaat-italien/

Mi., 07.11.2018 - 09:04 Permalink