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"Dann kommt auch der Krieg wieder“

Im Hinblick auf die Europawahlen diskutierten am Freitag in Bozen Gregor Gysi und Giuseppe de Cristofaro über die Krise der Linken in Europa, Populismus und Lösungen
Gysi. Gregor
Foto: sputnik.de
Die Europawahlen rücken näher. Das heißt für die Parteien: Ab in den Wahlkampfmodus, sich seinen Platz im europäischen Parlament sichern. Auch die linken Parteien wollen sich einen Weg ins EU Parlament bahnen. „Es soll aber kein enger Forstweg sein,“ meinte am Freitag Giuseppe di Christofaro, Sekretariatsleiter der Sinistra Italiana, „wir müssen uns eine gute Bergstraße bauen, mit genügend Platz, wenn wir etwas verändern wollen“. Dafür bräuchte es aber eine geeinte Linke, statt der vielen linksgerichteten Splitterparteien, die es zurzeit in Italien gäbe, erklärte Christofaro und fügte hinzu: „Daran arbeiten wir zurzeit, an einer einheitlichen Partei für Europa“. 
„Es soll kein enger Forstweg sein, wir müssen uns eine gute Bergstraße bauen, mit genügend Platz, wenn wir etwas verändern wollen."
Giuseppe di Christofaro.
Einen Weg nach Bozen musste sich sein Kollege aus Deutschland an diesem verschneiten Freitagabend ebenso hart erkämpfen: Fast zwei Stunden zu spät erschien der ehemalige Fraktionsvorsitzende  der Linken im deutschen Parlament Gregor Gysi; das Auto war kurz nach dem Brenner im Schneechaos stecken geblieben. „Eins ist klar“, so Gysis humorvollen Eingangsworte, „weder Deutschland, noch Österreich oder Südtirol sind auf Schnee vorbereitet.“ Dann sprach auch der deutsche Spitzenpolitiker von Einigkeit. Die Schere zwischen Arm und Reich, die sogenannte soziale Frage, sei keine nationale mehr, sondern durch die Globalisierung eine internationale geworden. Nicht nur globale Konzerne entkämen der Steuerlast durch die ungerechte Gesetzgebung in Europa. Da Steuern noch nicht an Staatsangehörigkeit gebunden seien, wie es etwa in den USA der Fall ist, hätten die reichsten Griechen zur Zeit der griechischen Finanzkrise vor wenigen Jahren sich im Ausland niedergelassen und keinen Cent gezahlt, erklärte Gysi. „Als ich den griechischen Premier Tsiprasfragte, warum er das nicht ändere, antwortete er, ‘Weil ich das alleine nicht durchbringen kann. Ich brauche Deutschland und Frankreich, die nachziehen‘.“ Nur geeint, könne man also die EU zum Positiven verändern, sie weiterbringen, unterstrich der Politiker. 
Ein Weg zurück zu nationalen Grenzen und Visumspflicht sei eine Zumutung für die heutige Jugend, erklärte Gysi in seinem Plädoyer für Europa. „Die würden doch denken, wir sind verrückt,“ meinte er und schlug vor, „wir Alten müssen dafür sorgen, dass die EU bleibt, aber sie gleichzeitig kritisieren und reformieren.“
 
Von Reform und Fortschritt sind wir aber noch meilenweint entfernt. Davon spricht nicht nur die Krise der Linken, auch die Prognosen für die kommenden Europawahlen fallen recht düster aus. Den anti-europäischen und rechtspopulistischen Parteien wird ein beträchtlicher Stimmenzuwachs vorausgesagt. Noch liegt die rechte, sogenannte Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie bei etwas mehr als 6 Prozent. Doch Steve Bannon, ehemaliger Chefstratege des Weißen Hauses unter Donald Trump, sowie ehemaliger Leiter des rechtspopulistischen Nachrichtenportals Breitbart, tourt gerade durch Europa. Mit seiner Bewegung The Movement will er Rechtspopulisten für die EU Wahlen stützenund einen, um ihnen ein Drittel der Sitze im EU Parlament zu sichern. Mit von der Partie sind Marine Le Pen aus Frankreich, Brexit-Verfechter Nigel Farage, Afd-Politikerin Alice Weidel, sowie Matteo Salvini der italienischen Lega.  
Ein Weg zurück zu nationalen Grenzen und Visumspflicht sei eine Zumutung für die heutige Jugend, erklärte Gysi in seinem Plädoyer für Europa.
Gregor Gysi und Giuseppe de Cristofaro hatten am Freitagabend in einem kleinen Pressesaal in Bozen eine Erklärung für die Erstarkung des Rechtspopulismus in Europa parat, es mangelte nicht an Selbstkritik. Die Welt sei zu unübersichtlich geworden, zu komplex, meinte Gregor Gysi: „Und wo Medien und Politik nicht mehr für Aufklärung sorgen, gewinnen jene, die einfache Antworten bieten,
Zurück zum Nationalen, zum Einfachen, zum Verständlichen, so wie es früher war. „Die Linke hat es versäumt, ein besseres Modell zu bieten,“ resümierte Gysi. Sein italienischer Kollege ging einen Schritt weiter, und führte die aktuellen Entwicklungen auf einer Krise der allgemeinen Politik zurück. Früher hätte Politik allgemeine Konsensmeinungen gebrochen. So etwa wurde Sklaverei zu einer Zeit abgeschafft, in der ein Großteil der Menschen sich für die Praktik der Sklavenhaltung aussprach. „Wenn politische Führer keine alternativen, innovativen Ideen durchgesetzt, und dadurch mit der öffentlichen Meinung gebrochen hätten, hätte es nie Fortschritt gegeben!“, erhitzte sich de Christofaro. „Die heutige Politik hingegen schlägt aus dem gesellschaftlichen Diskurs Kapital, nimmt die öffentliche Meinung auf und gewinnt dadurch Stimmen“.
Vielleicht ist das der Grund, warum die linken Parteien eine marginale Rolle in der europäischen und den meisten nationalen Politiken Europas spielen? Komplexe Antworten, die gegen den Massenkonsens und Zeitgeist gehen? Bei der letzten EU-Wahl erhielt die EU-Fraktion des linken Spektrums, Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linkenur 6 Prozent. Die beiden größten Fraktionen machten die europäischen Sozialdemokraten mit 25 Prozent und die europäischen Christdemokraten mit 29 Prozent aus. Mit der Krise der etablierten Parteien europaweit, sind diese Zahlen aber alles andere als stabil. Eine Garantie, dass 2019 pro-europäische Parteien die Mehrheit erhalten, gibt es nicht. Vor allem aus diesem Grund sind die heurigen Europawahlen wichtigerdenn je. Die EU beginnt mit Initiativen bereits jetzt, die Europäer zum Wählen aufzufordern.
Eines garantiere ich ihnen. Wenn die EU zusammenbricht, kommt auch der Krieg wieder. Und das will ich nicht.
Gregor Gysi
Beide Politiker waren sich am Ende einig: Die Linke dürfe dem rechtspopulistischen Modell nicht nachgeben, sondern müsse ein anderes Rezept bieten, als nationale, vereinfachte Lösungen: „Wir müssen den Leuten sagen, es gibt Themen, die man lokal regeln kann, und Themen, die man nur international bewältigen kann,“ meinte der deutsche Spitzenpolitiker. Die soziale Frage, Klimawandel und andere aktuelle Probleme seien komplex und nur geeint mit Europa zu lösen. Laut Gregor Gysi könnten nationale Ökonomien sich gegen wirtschaftlichen Riesen wie Russland, den USA und China mit ihrem neuen Seidenstraßenprojekt niemals durchsetzen. Dasselbe gelte für die Nahostpolitik, in der die EU nur geeint ihre Stimme durchsetzen könne. Auch die Regulierung internationaler Konzerne, um die soziale Frage gerechter zu gestalten, sei nur durch europaweite Gesetzesänderung und gemeinschaftliche Reform möglich.Und zum Schluss holte Gysi sein stärkstes Argument hervor, nämlich, die Tatsache, dass es zwischen den Mitgliedern der EU noch nie Krieg gegeben hätte. Angesichts der turbulenten kriegerischen Geschichte Europas ein Unikum. Gregor Gysi blickte ernst in die Runde: „Eines garantiere ich ihnen. Wenn die EU zusammenbricht, kommt auch der Krieg wieder. Und das will ich nicht.“ 
Mehr gibt es dem nicht hinzuzufügen.
 
 
 
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Karl Trojer Di., 05.02.2019 - 17:06

Die größte Chance für die Rechtspopulisten ergibt sich aus der jahrzehntealten Zersplitterung der sozial ausgerichteten Parteien, diese zerstört Glaubwürdigkeit !
Sinnvoll wäre die rasche Gründung einer einzigen Europäischen Sozialdemokratischen Partei in die alle Mittelinks- und Links-Parteien einfließen.

Di., 05.02.2019 - 17:06 Permalink
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Christian Mair Mi., 06.02.2019 - 08:40

Die Linke kann Wirtschaftspolitik und ein Identifikationsprojekt für die gesamte EU anbieten. Eine solche Politik muss beispielsweise die Widersprüche der Bankenkrise und Griechenlandpolitik auflösen, bürgerliche Rechte EU weit sicher, soziale Absicherung in dergesamten EU organisieren, transteritoriale EU Wahlen vorantreiben.

Leider ist durch das Festhalten an der neoliberalen Agenda der Sozialdemokraten eine Partei links davon mehr als notwendig.
Und die Grünen sind viell. in Südtirol noch eine linke Partei, im deutschsprachigen RAum aber eine liberal-bürgerliche Partei.

Was ist also die Strategie der Linken für die Europawahlen in Südtirol?
KAnn man den Erfolg Octavia Bruggers wiederholen und eine gemeinsame Kandidatin aufstellen?

Mi., 06.02.2019 - 08:40 Permalink