Chronik | Tenti-Prozess

Erinnerungslücken & Peinlichkeiten

Am Dienstag haben fünf Zeugen der Verteidigung ausgesagt. Gepunktet hat dabei die Anklage. Vor allem Chiara Pasquali hat eine mehr als nur peinliche Figur gemacht.
Tenti Prozess
Foto: salto
Gut zwei Stunden läuft an diesem Dienstagvormittag bereits die Verhandlung. Das Verfahren gegen die ehemalige Ressortdirektorin Katiuscia Tenti und den Bozner Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare geht in die Endphase. Auf dem Verhandlungskalender steht die Anhörung von fünf Zeugen der Verteidigung.
Es ist eigentlich ein sachlicher, ruhiger Verhandlungstag. Anklage und Verteidigung begegnen sich durchaus respektvoll - bis Zeuge Nummer 3 einvernommen wird. Die ehemalige Bozner Urbanistikstadträtin Chiara Pasquali sitzt im Zeugenstand, als Giancarlo Bramante plötzlich vehement protestiert.
Zum zweiten Mal in dem seit drei Jahren andauernden Prozess ist auch Katiuscia Tenti im Saal anwesend. Als der leitende Staatsanwalt eine Frage stellt, richtet sich der Blick der Zeugin ganz automatisch immer wieder auf die Angeklagte. Tenti nickt bejahend mit dem Kopf. Es ist mit größter Wahrscheinlichkeit eine unbewusste Geste.
Doch für Giancarlo Bramante ist es ein willkommener Anlass, um energisch dreinzufahren. Der Staatsanwalt verlangt vom Vorsitzenden Richter Carlo Busato lautstark einen Ordnungsruf. Ein Angeklagter darf in der Aula keinesfalls mit den Zeugen irgendwie Kontakt aufnehmen oder diesen beeinflussen. Busato ermahnt umgehend die Zeugin und die Angeklagte. Katiuscia Tenti entschuldigt sich und verlässt während der weiteren Aussage den Gerichtssaal. 
 
Man führt an diesem Vormittag ein kleines Psychospiel auf. Die Verteidigung hat ganz bewusst Katiuscia Tenti aufmarschieren lassen. Ihre Anwesenheit sollte die Zeugen beeindrucken und in die richtige Richtung führen. Bramante macht diesem Ansinnen mit seinem Schachzug aber einen Strich durch die Rechnung. 
Es ist nicht der einzige Sieg für den Staatsanwalt an diesem Verhandlungstag. Giancarlo Bramante hat sich perfekt auf die Befragung der Zeugen der Verteidigung vorbereitet und Beweisstücke ausgegraben, mit denen die Zeugen an diesem Tag regelrecht vorführt.
Es war kein besonders guter Tag für die Verteidiger Fabrizio Francia (für Katiuscha Tenti) und Carlo Bertacchi (für Antonio Dalle Nogare).
 

Vergesslicher Jurist

 
Als erster Zeuge schildert der Direktor des Amtes für Raumplanung in der Gemeinde Bozen, Fulvio Rizzolo, die Genesis der geplanten Ausweisung einer Wohnbauzone für 100 Wohnungen auf der Areal Mair-Defranceschini. Rizzolo Schilderung ist sachlich, detailreich und relativ unspektakulär. Der Zeuge bestätigt mehr oder weniger das, was im Verfahren bisher bekannt wurde.
Dann tritt Fabrizio Cavallar in den Zeugenstand. Cavallar ist Anwalt im Rechtsamtes des Landes, spezialisiert im Bereich Urbanistik. Als solcher hat er im Dezember 2012 das entscheidende Rechtsgutachten geliefert, mit dem letztlich der Widerstand des Rechtsamtes der Gemeinde Bozen aus dem Weg geräumt werden konnten. Cavallar hat am 12. Dezember 2013 in wenigen Stunden ein Rechtsgutachten verfasst, dass Katjuscha Tenti noch am selben Tag in die Gemeinde Bozen brachte.
 
Auf Fragen der beiden Verteidiger erklärt Cavallar, dass er keinen besonderen Kontakt zu Tenti hatte, den Auftrag für das Gutachten am Abend zuvor von seiner Vorgesetzen Renate von Guggenberg erhalten habe und dass er nicht wisse, was letztlich mit dem Gutachten in der Gemeinde passiert sei. Auch die Tatsache, dass er innerhalb von vier Stunden ein solches Gutachten schreibe, sei normal und durchaus üblich.
Wenig später zertrümmert der Staatsanwalt aber diese Version. Giancarlo Bramante legt eine Mail vor, mit der Katiusca Tenti am 11. Dezember 2013 das Gutachten direkt bei Cavallar bestellt. Das Schreiben geht an Renate von Guggenberg zur Kenntnis. Die Leiterin des Landesrechtsamtes leitet die Mail erst später an Cavallar weiter.
Zudem muss Cavallar auf die entsprechende Vorhaltung des Staatsanwaltes hin zugeben, dass am Morgen des 12. Dezember 2013 Tenti und Amtsdirektor Wilhelm Pallfrader bei ihm im Büro waren, um über den konkreten Fall zu reden. Erst danach habe er das Gutachten geschrieben. Auch die Tatsache, dass Cavallar das fertige Gutachten unmittelbar an Tenti schickt, fällt dem Juristen erst ein, als ihm der Staatsanwalt die Mail vorlegt.
Vor allem aber zeigt Giancarlo Bramante auf, dass Fabrizo Cavallar genau wusste, was mit seinem Gutachten danach passierte. Und dass der Informationsaustausch des Landesbeamten mit Tenti weit enger war, als von Cavallar dargestellt.
Der Staatsanwalt legt dazu eine SMS vor, die Katiusca Tenti nach der Genehmigung im Gemeinderat an Cavallar schickt.
 
 

Peinliche Stadträtin

 
Einen noch peinlicheren Auftritt liefert an diesem Vormittag aber Chiara Pasquali ab. Die ehemalige Bozner Stadträtin für Urbanistik sagt irgendwann: „Mit meinem Ausscheiden aus der Politik habe ich im Kopf eine Art Reset vorgenommen, deshalb kann ich mich an Vieles nicht mehr erinnern“.  Es die Reaktion auf die Fragen des Staatsanwaltes, der die ehemalige PD-Politikerin, mehr als nur in die Enge treibt. 

 
Dabei ist am Anfang das Erinnerungsvermögen der Ex-Stadträtin noch äußerst gut. Chiara Pasquali schildert auf die Fragen der beiden Verteidiger die „politischen Probleme“ um die Ausweisung der 100 Wohnungen. Sie beschreibt mehrere Treffen in der Gemeinde, die Rolle Tentis, das Rechtgutachten des Landes und schließlich die Genehmigung im Gemeinderat.
Ihre Beziehung zu Tenti beschreibt sie als normalen Kontakt zwischen zwei öffentlichen Institutionen. „Ich habe mit Tenti allgemein über den Bozner Bauleitplan gesprochen, aber nie über das Mair-Defranceschi-Areal“, sagt sie auf Nachfrage Bramantes.
 
Das Pech der ehemaligen Stadträtin: Sie wurde als einzige Zeugin an diesem Tag vorab nie verhört. Deshalb weiß Pasquali auch nicht, was die Ermittler ausgegraben haben. Sie tappt im Zeugenstand so von einem Fettnapf in den anderen.
Denn Giancarlo Bramante projiziert an diesem Vormittag im Gerichtssaal einen sichergestellten SMS-Verkehr zwischen Katiusca Tenti und Chiara Pasquali an die Wand, der genau das Gegenteil beweist. So hat die Stadträtin Tenti über die politischen Entwicklungen in der Gemeinde um die Bauleitplanänderung konstant auf dem Laufenden gehalten.
Pasquali und Tenti sind auch während der entscheidenden Abstimmung im Gemeinderat in Kontakt. Das zeigen die von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Kurzmitteilungen.
 
Auf den Unternehmer Antonio Dalle Nogare angesprochen, erklärte die Ex-Stadträtin im Zeugenstand, dass sie mit ihm zu tun hatte, es aber keine engere Bekanntschaft gegeben habe.
Auch hier zieht Giancarlo Bramante ein SMS aus den Ermittlungsakten. Unmittelbar nach der Genehmigung im Gemeinderat schreibt Antonio Dalle Nogare an Pasquali:
 
Spätestens damit ist die Märchenstunde von Chiara Pasquali im Zeugenstand vorbei. Auf die vorgelegten Beweise antwortet Pasquali danach nur mehr mit: „Ich kann mich nicht mehr erinnern“.
 
 

Nobler Landesrat

 
Die Anwältin der Gemeinde Bozen, Bianca Maria Giudiciandrea, bestätigt auch in der Aula die Aussagen, die sie vor der Gerichtspolizei gemacht hat. Sie wiederholt die Argumente gegen die Ausweisung der Zone und bestätigte den verbalen Schlagabtausch mit Tenti. Auch der Bozner Abteilungsdirektor Stefano Rebecchi fügt seinen bisherigen Aussagen im Zeugenstand keine neuen Details hinzu.
Mit viel Spannung wird am Nachmittag die Aussage von Cristian Tommasini erwartet. Der langjährige Wohnbaulandesrat und Tenti-Vorgesetzte schildert wortreich das Wohnbauprogramm, die politischen Hintergründe und die Arbeit seiner Ressortdirektorin Katiusca Tenti. Tommasini verhält sich dabei Tenti gegenüber durchaus nobel. Er versucht weder, sich plump zu distanzieren, noch die Verantwortung abzuwälzen, sondern er schildert die Vorgänge sehr nüchtern.
In den zentralen Punkten gießt der PD-Landesrat dabei aber Wasser auf die Mühlen der Anklage. Denn Cristian Tommasini widerlegt die Tenti-Ausssage, dass er seine Ressortdirektorin zu den Sitzungen des Verwaltungsrates des Wohnbau-Institutes (WOBI) entsandt habe. Er bestätigte die Tatsache, dass die technischen Details der Wettbewerbsausschreibungen allein in die Kompetenz des WOBI fallen.
 
Auch auf die Frage, ob er von Tenti über ihre Beziehung zu Antonio Dalle Nogare informiert worden sei, erklärt Tommasini: „Explizit oder durch eine Mitteilung nie“. Er habe davon aber in seinem Büro gehört. Dass er nie direkt nachgefragt habe, habe einen einfachen Grund gehabt. „In dieser Zeit kursierten so viele Gerüchte über mein Privatleben, die meiner Familie schaden sollten“, sagt Cristian Tommasini „dass ich bewusst diese privaten Dinge nicht ansprechen wollte.
Tommasini erklärt, dass er seiner Ressortdirektorin vertraut habe. Von den Machenschaften Tentis habe er nichts mitbekommen.
 

Reden über Salto

 
Auf die Frage Bramantes, wann dem Landesrat klar geworden sei, dass in diesem Fall etwas nicht stimmen könnte, sagt Cristian Tommasini: „Durch die Berichte in der Presse“. Als der Staatsanwalt fragt, ob es sich um einen Artikel auf Salto.bz gehandelt habe, bejaht der damalige Landesrat. „Danach habe ich bei Tenti direkt nachgefragt“.
Es ist das Stichwort, auf das der Staatsanwalt gewartet hatte. Denn Giancarlo Bramante spielt in der Aula ein abgehörtes Telefonsgespräch zwischen Katiusca Tenti und Cristian Tommasini vor. In dem Gespräch geht es um den am 26. Juni 2014 erschienenen Salto-Artikel mit dem Titel "Post von Katia“ und den Autor dieser Zeilen.
 
Telefongespräch Katiusca Tenti mit Landesrat Cristian Tommasini vom 26. Juni 2014.
 
Auf Nachfrage, warum er so regiert habe, erklärte Cristian Tommasini: „Der Vorwurf war für mich schwerwiegend“.
Damit war der Ankläger dort angekommen, wo er hinwollte.
Gründlicher kann man die Glaubwürdigkeit einer Angeklagten wohl kaum erschüttern. Und das durch die Zeugen der Verteidigung.