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Resilienz als Herausforderung

Warum manche Jugendliche trotz schwieriger Startbedingungen in der Schule erfolgreich sind – eine Sonderstudie der OECD und der Vodafone-Stiftung.
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Jugendliche
Foto: Pixabay

Resilienz als Herausforderung

Resilient sind Schülerinnen und Schüler, wenn sie aus einem schwierigen Umfeld kommen und trotzdem gute Leistungen erbringen. Allgemein bezeichnet der Begriff Resilienz die psychische Widerstandsfähigkeit des Einzelnen und damit die Fähigkeit, widrigen Umständen konstruktiv zu begegnen und sie als Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung zu nutzen. Eine neuere PISA-Sonderstudie, die am 22.01. 2018 in Berlin vorgestellt worden ist, befasst sich mit Jugendlichen, deren sozioökonomischer Hintergrund sich im untersten Viertel ihres Landes befindet und deren Leistung bei PISA 2015 sich mindestens auf dem Niveau 3 der internationalen Kompetenzstufen in allen drei Fächern Mathematik, Naturwissenschaften und Leseverständnis befindet. Der sozioökonomische Status wird mit einem Index erfasst, der sich aus dem Beruf und dem Bildungsstand der Eltern ergibt, sowie aus den im Haushalt verfügbaren kulturellen Gütern (ESCS=Economic, Social and Cultural Status).

Eine Forschungsgruppe der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) um Tommaso Agasisti hat mit einem gegenüber den bisherigen Resilienzstudien neuen Ansatz diese Personeneigenschaft länderspezifisch erfasst. (Tommaso Agasisti, Francesco Avvisati, Francesca Borgonovi, Sergio Longobardi -  „Academic resilience: What schools and countries do to help disadvantaged students succeed in PISA“). Die für Deutschland spezifische Studie ist von der Vodafone Stiftung Deutschland ausgearbeitet und veröffentlicht worden.

Neue Definition der Resilienz

Diese Studie stellt eine neue Definition der Resilienz vor. Wie bisher werden wie bei den meisten Resilienzstudien der OECD die benachteiligten Schülerinnen und Schüler als Angehörige des untersten Quartils der sozioökonomischen Verteilung eines jeden Landes identifiziert. Neu ist die Kennzeichnung der resilienten Leistung mit Hilfe der internationalen Kompetenzstufen (proficiency levels). Resilient werden jene Schülerinnen und Schüler bezeichnet, die gemessen am sozioökonomischen Hintergrund aus den niedersten 25 % der Bevölkerungsverteilung kommen und in allen drei PISA-Bereichen  – Mathematik, Naturwissenschaften und Leseverständnis – mindestens die Stufe drei erreichen. Leistungen auf der Stufe 3 zeigen auf, dass die Schülerinnen und Schüler für die Herausforderungen des späteren Lebens gerüstet sind und entsprechen einem Niveau, das mindestens 50% aller Schülerinnen und Schüler in den OECD – Ländern erreichen. Jugendliche mit Leistungen auf der Kompetenzstufe 3 sind in der Lage, die Voraussetzung für eine aktive gesellschaftliche Teilhabe und lebenslanges Lernen zu erwerben.

Prozentsätze resilienter Jugendlicher in verschiedenen Ländern

In der Studie wird zunächst aufgezeigt (Tabelle auf Seite 12), dass es in allen Ländern einen bestimmten Prozentsatz  Jugendlicher gibt, die als resilient bezeichnet werden können. Es wird weiters untersucht, welche Faktoren  die Resilienz begünstigen und andererseits, welche schulischen Bedingungen wenig oder keinen Einfluss auf gute Leistungen der sozial benachteiligten Jugendlichen haben.

Der Prozentanteil der resilienten Schülerinnen und Schüler in einigen Ländern und Gebieten:

Die Ergebnisse für die Südtiroler Schule und der Aufteilung nach Sprachgruppen befinden sich an den Signifikanzgrenzen. Außerdem ist es müßig, die Sprachgruppen miteinander zu vergleichen, da zum Zeitpunkt der Erhebung (Frühjahr 2015) die Situation der italienischen Schule noch erheblich von jener der deutschen Schule abwich, z.B. bezüglich des Anteils an Kindern mit Migrationshintergrund. Die Messung des Index ESCS wurde für jedes Land und jede Sprachgruppe gesondert  vorgenommen, was den Vorteil hat, dass Resilienz immer bezogen auf den in dem betreffenden Land eigenen sozio-kulturellen Status betrachtet wird.

Einen hohen Anteil an resilienten Schülerinnen und Schüler kann man jenen Ländern finden, die gute durchschnittliche Leistungen in den Kernkompetenzen aufweisen bei gleichmäßiger sozialen Verteilung des Lernerfolgs.

Länder mit dem höchsten Resilienzanteil sind Hongkong (53,1%), Makao (51,7%), Singapur (43,4%), Estland (42,1 %), Japan (40,4%), Kanada (39,6%), Finnland (39,1%), Taiwan (37,3%). Südtirol reiht sich in die Länder mit hoher Resilienz ein.

Weniger als 1% Resiliente haben die Dominikanische Republik, Algerien, Kosovo, Tunesien und Peru.

 

Welche Faktoren begünstigen Resilienz?

In der Studie der Vodafone-Stiftung „Erfolgsfaktor Resilienz“ wird aufgezeigt, dass Resilienz zunächst eine persönliche Eigenschaft ist und individuelle Merkmale die Chancen auf Resilienz beeinflussen. In der Studie wurden das Geschlecht, die zuhause gesprochene Sprache und innerhalb des untersuchten Quartilbereichs der sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler nochmals die Verteilung des sozioökonomischen Status berücksichtigt. Alle diese Faktoren beeinflussen die Resilienz.

Die Studie untersucht weiters die Faktoren auf Schulebene, die zu einer höheren Resilienz unter sozial benachteiligen Schülerinnen und Schüler beitragen. Es ergab sich, dass die soziale Herkunft der Mitschülerinnen und Mitschüler der bei weitem bedeutsamste Faktor für Resilienz ist. Mögliche Gründe dafür seien:

  • Die Schülerinnen und Schüler beeinflussen und unterstützen sich gegenseitig innerhalb der Gruppe
  • Schulen mit sozial besser gestellten Schülern sind besser ausgestattet oder für Lehrkräfte attraktiver und bekommen deshalb ‚bessere‘ Lehrkräfte
  • Sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler bekommen an Schulen mit günstigerem Sozialprofil mehr Aufmerksamkeit von Lehrkräften und Eltern und können so ihre Fähigkeiten besser entwickeln.

Auf Südtirol umgelegt trifft der zweite Punkt nicht zu und auch der dritte Punkt scheint weniger stichhaltig zu sein. International konnte gezeigt werden, dass eine bessere Ausstattung nur dann hilfreich ist, wenn sie direkt dazu beiträgt, den Lernprozess zu verbessern.

 

Ein positives Schulklima ist ein Schlüsselfaktor für Resilienz

„Ein zentrales Ergebnis der Studie ist die Bedeutung eines positiven Schul- und Unterrichtsklimas für Resilienz“. (Vodafone-Studie 2018) Die Bedingungen für ein positives Unterrichtsklima werden in folgenden Merkmalen ausgemacht:

  • Die Schülerinnen und Schüler hören der Lehrerin / dem Lehrer aufmerksam zu
  • Im Klassenzimmer ist ausreichend ruhig und es herrscht ein fruchtbares Arbeitsklima
  • Den Lehrpersonen gelingt es ohne Schwierigkeit, die Schülerinnen und Schüler  zur Ruhe zu bringen
  • Die Schülerinnen und Schüler können ungestört arbeiten
  • Die Schülerinnen und Schüler fangen gleich nach Beginn der Stunde an zu arbeiten.

„Schulen, an denen die Schülerinnen und Schüler den Unterricht als geordnet wahrnehmen, haben jenseits aller anderen in der Studie berücksichtigten Faktoren einen höheren Anteil resilienter Schüler. Dieser Befund zeigt sich im internationalen Vergleich wie auf nationaler Ebene (bez. auf Deutschland – Anm. der Red.)...“.

Auf Südtirol bezogen hat die damalige Evaluationsstelle im Rahmen ihres Evaluationsberichts 2010 eine Faktorenanalyse vorstellt, in der die ungestörte Arbeit im Klassenzimmer und das fruchtbare Arbeitsklima als wichtigster Faktor für das produktive Lernen hervortrat. Die Faktorenanalyse wurde auch auf einem internationalen Kongress der Bildungswissenschaften vorgestellt (Franz Hilpold et al.: „Evaluationsbericht der deutschen Schule in Südtirol 2010“)

 

Ein motivierender Führungsstil der Schulleitung prägt das Schulklima

„Die Studie zeigt auch, dass der Führungsstil der Schulleitung einen Beitrag zu einem positiven Schulklima leisten kann. Um den Führungsstil der Schulleitung zu bestimmen, wurden Lehrerantworten zu folgenden Aussagen ausgewertet:

  • Die Schulleitung versucht, bei der Festlegung von Prioritäten und Zielen innerhalb der Schule einen Konsens mit allen Lehrkräften zu erzielen.
  • Der Schulleitung sind meine Bedürfnisse bewusst.
  • Die Schulleitung regt neue Ideen für meine berufliche Fort- und Weiterbildung an.
  • Die Schulleitung behandelt die Lehrkräfte als Fachleute.
  • Die Schulleitung gewährleistet unsere Miteinbeziehung in Entscheidungsfindungen.

Das Lernklima profitiert dabei besonders, wenn es der Schulleitung gelingt, Lehrer von einer gemeinsamen Mission zu überzeugen und sie auf strategische Ziele und Ergebnisse auszurichten (Vodafone-Studie 2018).

Entscheidend sei der Studie zufolge neben persönlichen Faktoren und der sozialen Mischung an der Schule vor allem das Schulklima, das einen wesentlichen Beitrag zur Resilienz sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler leistet.