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In der anderen Sprache

Ein Gespräch mit der deutsch-italienischen Autorin Helena Janeczek. Über das Schreiben in der „anderen Sprache“, Kriegsfotografen in Spanien und über Anita Pichler.
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Foto: Helena Janeczek

Die polnischen Eltern der Schriftstellerin Helena Janeczek haben den Holocaust überlebt und blieben nach dem 2. Weltkrieg als Displaced Persons traumatisiert in München, wo auch ihre Tochter Helena im Jahr 1964 geboren wurde. Seit Anfang der 1980er Jahren lebt Helena Janeczek in Italien, ihr dritter Roman La ragazza con la Leica über die Fotografen Gerda Taro und Robert Capa erschien 2017 und erhielt 2018 den Premio Strega. Im Rahmen einer Buchvorstellung zur verstorbenen Schriftstellerin Anita Pichler weilte Janeczek vor wenigen Tagen in Bozen.

Sie haben mit dem Buch „La ragazza con la Leica“ einen großen Erfolg gelandet. Es kommt nun bald in der Übersetzung, in einem deutschen Verlag. Übersetzen Sie es selbst?
Ich übersetze mein Buch nicht selbst, das könnte ich nicht. Ich kann dem Übersetzer aber natürlich helfen. Ich lebe mehr als die Hälfte meines Lebens hauptsächlich oder ausschließlich in einer anderen Sprache. Ich habe meine Sprache im Schriftlichen und Literarischen "umtrainiert".

Sie leben in einer anderen Sprache?
Wenn man in einem mehrsprachigen Kontext aufgewachsen ist, dann gibt es eigentlich keine anderen Sprachen. Es gibt ein paar Hauptsprachen, aber das Schönste und Beste in diesem Zusammenhang ist, wenn du mit Leuten zusammen bist, die mehr als eine deiner Sprachen können, dann kannst du mischen und du merkst es gar nicht, da ist ein halber Satz auf Deutsch, ein halber Satz auf Italienisch.

In Ihren Träumen wird Italienisch gesprochen?
Ich weiß nicht wie realistisch Träume sind. Im Grunde träume ich auf Italienisch, vielleicht manchmal mit einem deutschsprachigen Setting.

Sie kamen Anfang der 1980er Jahre nach Italien. Sind Sie damals zum ersten Mal der „anderen Sprache“ begegnet?
Nein. Meine Eltern hatten arbeitsmäßig in Italien zu tun, sie hatten hier auch schon seit langem gute Freunde und wir sind immer wieder nach Italien gefahren, um hier Urlaub zu machen. Ich war dann später auch einen ganzen Sommer in Italien, in einem Umfeld, in welchem nur Italienisch gesprochen wurde.

Sie haben 1989 bei Suhrkamp den Gedichtband „Ins Freie“ veröffentlicht. In deutscher Sprache...
Für mich hat das Deutsche etwas symbolisiert. Vor allem die Lyrik. Ich hatte dann später irgendwann das Gefühl, das ist im Großen und Ganzen eine Bürde, die ich mir da auferlege. Eine unglaublich wichtige Symbolfigur war für mich Paul Celan, der auch auf Deutsch geschrieben hat.

Ihre Familiengeschichte haben Sie später, in "Lezioni di tenebra" aufgearbeitet…
Die traumatische Wunde, die der Holocaust in meiner Familie hinterlassen hat, blieb für mich lange Zeit eine auferlegte Erbschaft. Im Buch Lezioni di tenebra habe ich mich Mitte der 1990er Jahre mit dieser Geschichte auseinandersetzt und sehr autobiografisch und dialogisch über die Erfahrung meiner Mutter als Holocaustüberlebende geschrieben. Ich sagte mir, ich nehme das an, aber ich gehe weiter, meinen eigenen Weg.

Ging Ihnen das Aufarbeiten der Familiengeschichte in der „anderen Sprache“ leichter von der Hand?
Italienisch war die Sprache meiner Gegenwart, meiner Zukunft. Es war die Sprache die ich von klein auf verbunden habe, mit Menschen die mir irgendwie eine Familie ersetzt haben - meinen Vater, meine Mutter. Es war die Sprache, die für mich die Welt öffnete.

Für die eben erschienene Übersetzung "Di entrambi gli occhi lo sguardo" von Anita Pichler haben Sie das Nachwort geschrieben. Wie gut kannten Sie die 1997 verstorbene Schriftstellerin?
Ich habe Anita Pichler bei einem Suhrkamp-Event in Venedig kennengelernt. Es gab damals Probleme mit meiner Hotelzimmerbuchung, auf der Party kam ich mit Anita Pichler ins Gespräch und konnte bei ihr übernachten. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben. Gut in Erinnerung habe ich auch an gemeinsame Zugfahrt nach Deutschland. Wir sind gemeinsam nach Frankfurt, haben über Dostojewski gesprochen und uns unsere Lebensgeschichten erzählt. Sie war eine Freundin.

Die Schriftstellerin Sabine Gruber ist eine der Nachlassverwalterinnen von Anita Pichlers literarischem Schaffenswerk. In ihrem jüngstem Buch geht es um einen Kriegsfotografen, wie bei Ihnen. Zufall?
Ja, davon wussten wir beide nichts. Die Bücher sind parallel entstanden. Auch mit dem Vorgängerroman von Sabine Gruber gibt es inhaltliche Überschneidungen.

Was macht Kriegsfotografen zu guten literarischen Hauptprotagonisten?
Sie sind in einer anderen Situation, wie beispielsweise ein Soldat, der den Zusammenhalt mit seiner Truppe hat, und wo die Wahrnehmung seiner selbst, Teil eines Ganzen ist. Das ist bei investigativen Kriegsjournalisten oder Kriegsfotografen anders. Diese fahren nach ihrer Arbeit wieder zurück ins normale Leben.

Wie kam es zur Beschäftigung mit historischer Kriegsfotografie für das Buch „La ragazza con la Leica“?
Im Zuge von Recherchen für meinen Vorgängerroman, fand ich an den Fotos von Robert Capa, zum Einsatz der Amerikaner in Süditalien um Montecassino, großes Interesse. Später folgte eine Ausstellung mit seinen Bildern in Mailand und die erste Retrospektive zu Gerda Taro, mit Bildern aus Spanien. Da habe ich realisiert, dass sie nicht nur nebeneinander gearbeitet haben, sondern dass es in einigen Fällen auch nicht zu entziffern ist, wer das Bild geschossen hat. Das Gesehene blieb dann irgendwie mit mir. Es hat mich fasziniert.

Sehen Sie Parallelen zur Fotografie heute?
Fotografie ist etwas, das uns heute begleitet, aber es gibt eben auch einige Aspekte, die wir heute fast schon nicht mehr nachvollziehen können. Etwa die Tatsache, dass Fotos bis zur Erfindung digitaler Instrumente, als Material physisch da waren, es gab Negative, es gab Abzüge. Ich finde es interessant, dass das Zeitalter der Leica, als weit verbreitete Kamera in jenen Jahren, in gewisser Hinsicht mit der Erfindung und Verbreitung von Smartphone-Kameras der Gegenwart Ähnlichkeiten hat: Sie waren teuer, aber viele konnten sie im gebrauchten Zustand günstig erstehen: Sie waren klein, kompakt und man konnte sie überall hin mitschleifen, Fotos von unten nach oben machen oder von oben nach unten. Ohne großen Aufwand.

Wie manifestierten sich männliche und weibliche Blickweisen auf den Krieg bei Ihren Romanfiguren?
Es gibt Bilder, wo die gleichen Subjekte dargestellt sind. Hierbei ist es ziemlich interessant festzustellen, wie sehr der subjektive, individuelle Blick einem gewissen Stereotyp entgegenläuft. Es gibt beispielsweise dieses bekannte Bild einer Soldatin die am Strand von Barcelona Schießübungen macht. Das Bild schaut aus wie ein Titelbild der Vogue, sehr feminin, sehr fashion, sehr glam.

Im Großen und Ganzen ist der fotografische Blick von Gerda Tavo distanzierter als der Blick von Capa, die Bilder sind immer sauber, mit einem großen Gefühl für Komposition. Die Bilder von Capa sind sehr emotional. Es war aber sicher nicht ihr Anliegen ein Foto im Krieg so zu machen, bei welchem dann eindeutig ihre Handschrift abzulesen wäre. Dennoch hat jeder eine andere Subjektivität und deshalb sind die Bilder in irgendeiner Weise unterschiedlich. Das sieht man besonders bei den Bildern der Zivilbevölkerung, auch weil der Spanische Bürgerkrieg der erste Krieg war, in welchem willentlich die Zivilbevölkerung zum Opfer wurde. Das Geschehene wurde über Fotografie gezeigt und kommuniziert.

Es scheint ein Trend zu sein, dass sich Schriftsteller und Schriftstellerinnen in ihren Büchern vermehrt mit historischen Fakten auseinandersetzen…
Absolut. Das Buch beruht auf einer sehr detaillierten Dokumentation. Ich habe in vielen Archiven recherchiert.

Ist diese investigative Beschäftigung mit Vergangenheit und das literarische Herausschälen wahrer Geschichten eine Antwort auf einen Journalismus, der mit Wahrheit nicht richtig umzugehen weiß?
Auch. Es ist eine Reaktion auf eine Krise des Wahrheitsanspruchs von Literatur, oder des Wahrheitsanspruchs von Geschichten im Allgemeinen.

Fakten vor Fiktion?
Literaten nähern sich einer Geschichte auf eine andere Weise, als Historiker oder Journalisten. Quellen sind heutzutage leicht greifbar, aber auch leicht fälschbar, wie das beispielsweise im Fall Claas Relotius beim Spiegel der Fall war. Historisches Quellenmaterial sollte als solches respektiert werden, die Arbeit des Erfindens soll auf einer anderen Ebene stattfinden.
Natürlich erfinde ich Situationen, für die ich keinen Nachweis habe, aber es sind fast alles sehr wahrscheinliche Erzählsituationen.

Polnische Eltern, aufgewachsen in München, seit vielen Jahren in Italien... wo ist Heimat?
Ich weiß es nicht. Früher, bei einem Autorentreffen von Suhrkamp, sprachen einige deutsche Autoren manchmal über ihre Wahlheimaten, da meinte ich – und auch Anita Pichler: Wahlheimaten gibt es nicht.

Warum?
Wenn du sie hast, kannst du sie schön finden, kannst sie lieben, kannst sie hassen, kannst versuchen von ihr wegzukommen oder sie kann dir indifferent sein. Du kannst dir Heimat nicht auswählen.

Sehnsuchtsorte statt Heimat?
Man kann Orte unglaublich lieben und eine Resonanz zu Orten und Landschaften fühlen, die mit dem Wesen jedes einzelnen zusammenhängen. Die einen lieben das Meer, die anderen die Berge. So wie auch Menschen an einen Urlaubsort gehen, um mit dem Ort in Kontakt zu sein, der ihnen gut tut.