Politik | SVP-Lega

Blind im hier und jetzt

Die Allianz zwischen SVP und Lega, ein Bündnis, das blind zur Zukunft steht, leer an Idealen und Visionen, fern von einer friedlichen Gemeinschaft der Vielfalt.
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Die große Frage lautet: Liegt es in der Natur einer Regierung aus SVP und Lega, zu einem sozialen Miteinander, einer Form der Brüderlichkeit, einer Harmonisierung der öffentlichen und privaten Interessen zu tendieren?

Ehrlich gesagt habe ich nicht den Eindruck, dass die Bevölkerung gerade große Lust hat, sich von Politikern regieren zu lassen, die für universelle, hehre Prinzipien der Inklusion stehen. Eher im Gegenteil. Der Vernunftstaat scheint dem Rechtsstaat zu weichen. Vielleicht sind sich Lega und SVP ja der aufklärerischen Zerbrechlichkeit bewusst, die der tatsächlichen Möglichkeit einer historischen Verwirklichung zu eigen ist. Und vielleicht entfernen sie sich deshalb so weit von der Idee einer Politik, die erzieht und sich auch selbst erzieht, und vielleicht reiten sie deshalb auf der gerade so beliebten Welle von Nationalstaatlichkeit und Nationalismus, ganz ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen und die Umwelt. Die Allianz zwischen SVP und Lega könnte kurzfristig und in wunderbarer Harmonie mit den aktuellen Tendenzen auch durchaus Ergebnisse bringen. Ein Lega-Argument könnte etwa so aussehen: Niemand kann aus seiner Zeit oder aus dem Geist seiner Zeit heraus – dieser Subjektivitäts-Defekt jedoch führt dazu, dass der grundlegende und deshalb auch verhältnismäßige Blickpunkt auf unsere heutige Zeit jenes Freiheitsprinzip nicht erfasst, der sich später zeigen wird. Wann? Schwer zu sagen, vielleicht erst nach zehn, zwanzig, dreißig Jahren. Doch der Moment wird kommen. Das Lega-Argument besagt, dass man sofort handeln muss, weil der Moment politisch günstig ist. Wenn zu Bossis Zeiten höhere Mauern zwischen Padanien und dem Rest Italiens hätten gebaut werden können, dann wären sie gebaut worden. Heute würde Salvini seine Mauer lieber weiter unten im Süden errichten, und das dürfen wir nicht auf die leichte Schulter nehmen, denn die Trennung zwischen Weißen und Schwarzen ist letztlich nicht so unrealisierbar. Aber sind denn tatsächlich in einer Gesellschaft, die die Kontamination einfach braucht, klare Trennungen so wünschenswert? Es versteht sich von selbst, dass alle Bürger sich gegenüber der Gemeinschaft verantwortlich fühlen und der gemeinsamen Ordnung gehorchen müssen. Doch dann lässt sich eine politische Einheit anstreben, bei der jeder Einzelne seine Qualitäten und Einstellungen leben kann – in einer Gemeinschaft der Vielfalt. Doch das sind zu komplexe Gedanken für jemanden, der in souveränistischen Kategorien denkt.

Eine edle Verfassung liegt nicht in den Möglichkeiten dieser Herrscher. Überhaupt hat sich das Ideal einer politischen Verfassung in eine sprichwörtliche Chimäre verwandelt. Dabei ist eine Verfassung doch etwas Göttliches, Spirituelles und historisch auch notwendig. Und so radikal ein Ideal auch erscheinen mag, so kommt es doch nicht vom Mars! Der Teufelskreis unserer Zeit besteht darin, dass keine Ideale mehr angeboten werden, keine gerechtere Gesellschaft, keine soziale Justiz, und dass stattdessen Angst geschürt wird, das verständliche Bedürfnis nach Sicherheit und dass dies dann zum Ideal erhoben wird. Dagegen ist es die Gerechtigkeit, diese Gemeinschaftstugend schlechthin, die eine ganz tiefe Bedeutung für die Gesundheit und das seelische Wohlbefinden jedes Einzelnen hat. Der totale Mangel an echten Idealen wird die Allianz aus SVP und Lega auf einen gemeinsamen Nenner bringen, der nach unvermeidlich nach unten weist. Ein Projekt hingegen, das auf einem Ideal basiert, ist alles andere als blind und utopisch und würde eindeutig nach oben weisen, in Richtung einer besseren Gesellschaft. Ohne dieses Ziel fehlt es uns mit Sicherheit an der vollen Fülle der Zukunft. Die Menschen sind nicht vortrefflich, aber ein Ideal ist nie überflüssig. Der Fehler steckt nicht im Ideal selbst, welches von Lega und SVP als hohl betrachtet wird; sie verwechseln es sogar mit abstrakten Gedankenspielereien. Die Projekte der Lega dagegen, mit ihrer Auffassung vom Staat als viriler Ordnung, die sich mit dem Volkwillen identifiziert, werden dazu führen, dass die menschliche Natur, ihre kostbare Vielfalt an Neigungen und Gefühlen, ihre Hoffnungen auf Fortschritt und Freiheit verstümmelt wird. Der exaltierte Nationalismus ist auf der Suche nach der heldenhaften Seele, die in sich die Zukunft eines einzigen Volkes trägt. Es wird normal sein, mit einer Pistole herumzulaufen, und Minister und Staatssekretäre wie Diktatoren einer neuen Religion mit angehängter Gesetzgebung zu akzeptieren, wird auch an der Tagesordnung sein. Fehlt nur noch ein König, aber auch der lässt sich finden.

Ein pazifistischer Staat, der stark und versöhnlich ist, ist aus der Mode geraten. Doch wenn wir wirklich zur menschlichen Evolution beitragen wollen, dürfen wir uns nicht von diesen unmittelbaren Tendenzen verwirren lassen, sondern müssen über das aktuelle historische Limit hinausgehen. Wir hier hingegen gehen einer spirituellen Verknöcherung der Gemeinschaft entgegen, während Salvini selbst bereits zum Vorbild für die europäischen Populisten geworden ist und Allianzen mit Le Pen sucht, mit den spanischen Ultrarechten von Vox, den Echten Finnen bis hin zu den ultrakonservativen Polen um Kaczynski und der deutschen AfD. Ihr Plan ist es, Europa mit einer großen Gruppe aus Ultrarechten und Souveränisten zu regieren.

Ein letztes Wort zum Thema Umwelt, das vielen Vertretern der SVP ein Dorn im Auge ist. Allen voran Frau Hochgruber Kuenzer, der Vorsitzenden des Bauernbundes, die entscheidend dazu beigetragen hat, dass es kein Projekt SVP-Umweltbewegung gegeben hat. Den Umweltschützern bleibt nun also nichts anderes übrig, als einer Herrschaft zu dienen, die sich für eine Form des „heilsamen Schutzes der Massen“ als Intelligenz-Elite versteht. Dieser Gedanke erinnert mich an finstere Zeiten. Und finstere Zeiten werden es wieder sein, denn jetzt muss die Alemagna gebaut werden, brauchen wir mehr Betten, mehr Touristen, mehr Straßen. Dem Bauernband wird dieser ruchlose Pakt mit den schlimmsten Zubetonierern des Landes noch bitter leid tun.

Leider leben wir momentan nicht in Zeiten des Fortschritts, sondern in Zeiten des Niedergangs. Da kann man sich nur schwer einen Weg vorstellen, der sich Schritt für Schritt dem Ideal annähert. Mir sind die Schwierigkeiten auf dem Weg von der Theorie zur Praxis bestens bekannt, ebenso wie die Unmöglichkeit einer perfekten Anpassung zwischen Realität und idealem Plan, an den wir uns jedoch notwendigerweise so weit wie möglich annähern müssen. Die Modelle zur Perfektionierung sozialer Gemeinschaften können nie hundertprozentig verwirklich werden, das ist verständlich. Doch sie können den Willen in die Richtung eines prinzipiell unbegrenzten sozialen Fortschritts lenken, in Richtung eines ewigen, unübertrefflichen und für immer beispielhaften Modells. Und das ist nicht nur ein frommer Wunsch.   

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Peter Gasser Sa., 12.01.2019 - 11:53

Antwort auf von Peter Gasser

„Der totale Mangel an echten Idealen wird die Allianz aus SVP und Lega auf einen gemeinsamen Nenner bringen, der nach unvermeidlich nach unten weist. Ein Projekt hingegen, das auf einem Ideal basiert, ist alles andere als blind und utopisch und würde eindeutig nach oben weisen, in Richtung einer besseren Gesellschaft“: Humanismus trifft auf Populismus und Wolfsrudelmentalität.

Sa., 12.01.2019 - 11:53 Permalink
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Peter Gasser Sa., 12.01.2019 - 18:47

"Dagegen ist es die Gerechtigkeit, diese Gemeinschaftstugend schlechthin, die eine ganz tiefe Bedeutung für die Gesundheit und das seelische Wohlbefinden jedes Einzelnen hat".
Aber diese Gerechtigkeit setzt Empathie voraus. Empathie mit unseren Mitmenschen, unseren Ahnen und unseren Nachfahren. Heute aber steht der "Nutzen" des gerade lebenden Menschen im Vordergrund. Die "Karriere", die "Rendite", auch die politische.
Wie kann ich einen Afrikaner diskriminieren, wo doch unsere Ahnen eine dunkel Haut hatten? Wie einen Syrer, Iraker, Libanesen, kamen doch unsere Ahnen von dort? Wie einen Flüchtling, stammen wir doch alle von Flüchtlingen ab?
Ist es diese "Gerechtigkeit", die uns heute verloren geht, und, welche fehlend, "Salvinis" erzeugt, uns aufgehetzt zunehemend als Ideal abhandenkommt, und wir daher in Zukunft immer mehr regiert/geführt werden von Menschen, welchen eben diese Gerechtigkeit abgeht (ohne dass sie diesen Verlust merken, wie einem Blinder das Fehlen der wunderschönen Farben nicht mangelt)?
Liegt hier auch ein Grund, dass sich in unserer Zeit jedes Jahr mehr Menschen durch eigene Hand töten als durch fremde Hand (in Kriegen und Kriminalität) umkommen? Auch in unserem eigenen "heiligen" Land Tirol?

Sa., 12.01.2019 - 18:47 Permalink
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Benno Kusstatscher Sa., 12.01.2019 - 19:35

"Und finstere Zeiten werden es wieder sein, denn jetzt muss die Alemagna gebaut werden..." Etwas schwarzgemalt, aber doch. Ich glaube nicht, dass der Südtiroler Öffentlichkeit diese Zusammenhänge bewusst sind. Nicht einmal eine Lehre aus der Valdastico wurde gezogen.

Allein, dass sogar Zaia durch die Medien posaunt, er würde persönlich bei der Dolomitenbahn Calalzo-Cortina-Toblach nicht locker lassen, just an jenem Tag an dem SVP und Lega einen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht einmal das Wort Cortina geschweige denn Dolomitenbahn vorkommt, lässt tief in die inneren Zustände bei der Lega blicken. Dass die STA auch noch höhnisch und zeitgleich nach Süden poltert, dass man über Cortina-Toblach erst nachdenkt, wenn Calalzo-Cortina fertiggebaut ist, obwohl Kompatscher öffentlich versprochen hatte, sich für die Bahn einzusetzen und das nie öffentlich revidierte, dass lässt tief in die SVP blicken.

Sa., 12.01.2019 - 19:35 Permalink
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Peter Gasser Mi., 16.01.2019 - 22:57

„Es versteht sich von selbst, dass alle Bürger sich gegenüber der Gemeinschaft verantwortlich fühlen und der gemeinsamen Ordnung gehorchen müssen. Doch dann lässt sich eine politische Einheit anstreben, bei der jeder Einzelne seine Qualitäten und Einstellungen leben kann – in einer Gemeinschaft der Vielfalt“.
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Ja, und es wird ein langer und bisweilen schmerzhafter Prozess sein bis dahin - und er wird Rückschläge haben.
Aber so wie ich immer wieder zu diesem Text zurückkehre bin ich der festen Überzeugung, dass auch die Gesellschaft wieder zurückkehren wird zu diesem Ideal, dem zu folgen sich (immer wieder) lohnen wird; und dieses Tal der Tränen, in welches wir nun, selbsverliebten Flötenspielern folgend, gleiten werden, auch wieder in eine neue und bessere Zeit führen wird.

Mi., 16.01.2019 - 22:57 Permalink