Politik | Interview mit Prof. Mirco Tonin

„Diskriminierung ist überall“

Auch von der öffentlichen Verwaltung werden Afroamerikaner in den USA ungleich behandelt. Oft sind die „Täter“ gar nicht bewusst rassistisch, sagt Professor Mirco Tonin.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

Heißen Sie mit Vornamen DeShawn oder mit Nachnamen Jackson? Oder gar beides zusammen? Dann haben Sie in Amerika schlechte Karten – zumindest dann, wenn es darum geht, von öffentlichen Stellen eine Antwort auf etwaige Anfragen zu erhalten, die man per E-Mail gestellt hat. Der Grund dafür, ist dass Namen wie DeShawn Jackson oder Tyrone Washington auf eine afroamerikanischen Hintergrund schließen lassen. Somit hätten Sie schlechtere Chancen, auf Anfragen per E-Mail eine Antwort zu erhalten, als Ihre Mitbürger mit einem „weiß“-klingenden Namen wie Jake Mueller oder Greg Walsh. Das hat ein Feldexperiment gezeigt, an dem unter anderem Mirco Tonin, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Bozen, mitbeteiligt war.

In der Studie haben Mirco Tonin und seine Kollegen annähernd 20.000 E-Mails an öffentliche Stellen geschickt, an Job-Center, Schulen, Bibliotheken und Polizeiwachen. Dabei hat sich herausgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Antwort zu erhalten, bei Absendern mit einem „schwarz“-klingenden Namen um 4% geringer ist als bei Absendern mit einem „weiß“-klingenden Namen. Bei Anfragen an eine Polizeiwache handelte es sich sogar um 7%. Laut der Studie fällt die Diskriminierungen in ländlichen Gebieten stärker aus als in städtischen. Wie sehr Diskriminierung gegen Afroamerikaner in den USA noch eine Rolle spielt und wie diskriminierendes Verhalten auch bei bestem Willen jedem von uns unterlaufen kann, erklärt Mirco Tonin im Interview.
 

Wie lange haben Sie gebraucht, dieses Experiment durchzuführen?
Wir haben die E-Mails automatisch durch einen Verteiler versandt, aber mussten unter der Grenze von maximal 500 E-Mails täglich bleiben, um nicht als Spam gewertet zu werden. Das Ganze hat sich also innerhalb einiger Wochen abgespielt.

Was war dabei eure Methode?
Wir haben eine erste Runde E-Mails verschickt, dabei war es dem Zufall überlassen, wer eine „schwarz“-unterzeichnete oder eine „weiß“-unterzeichnete E-Mail bekommt. In der zweiten Runde haben wir eine weitere E-Mail an dieselben Empfänger geschickt, diesmal von einem anderen Absender, der wiederum einen typisch „schwarzen“ oder „weißen“ Namen haben konnte. Allerdings haben wir diesmal auch den Beruf des Absenders genannt, und zwar jeweils einen angesehenen Beruf. Das haben wir gemacht um sicherzugehen, dass die Diskriminierung nur aufgrund des vermuteten ethnischen und nicht des vermuteten sozialen Hintergrunds erfolgt. In der Tat hat sich auch durch das Nennen eines angesehenen Berufs wenig geändert.

Hatten Sie und Ihre Kollegen schon vor eurer Studie Evidenzen über Diskriminierung zwischen Weißen und Schwarzen?
Vor unserer Studie habe ich mich zunächst mit Literatur zum Thema auseinandergesetzt. Und da kommt ganz klar zum Vorschein: Die Diskriminierung ist überall. Zum Beispiel wurden identische Curricula an verschiedene Arbeitgeber verschickt. Zum Vorstellungsgespräch wurden aber hauptsächlich Bewerber mit „weiß“-klingendem Namen eingeladen. Solche Studien gibt es in sehr hoher Zahl und sie laufen sämtlich aufs Selbe hinaus: Schwarze sind in den USA benachteiligt. Wo es bisher eben wenige Studien gab, ist im öffentlichen Bereich, und hier sind Diskriminierungen natürlich umso schwerwiegender. Solche Unterschiede in der Behandlung sind absolut illegal, es darf sie nicht geben. Als wir unsere Studie in den USA präsentiert haben, hat man uns allerdings schon ein paar Mal entgegnet, dass man sich eigentlich noch schlimmere Zahlen erwartet hätte.

Wie fiel die Resonanz in US-amerikanischen Medien aus?
Über die Studie wurde in verschiedenen Zeitungen berichtet. Es ist für die USA auf jeden Fall ein Thema mit einer gewissen Relevanz. Vor allem die Diskriminierung von Seiten der Polizei, die in einigen Fällen sogar in exzessiver Gewalt und in Erschießungen gegen Afroamerikaner und sogar minderjährige Afroamerikaner ausartete, war vor einiger Zeit ein omnipräsentes Thema. Das war natürlich weit schwerwiegender als eine nicht beantwortete E-Mail. Und auch die Gesinnung dahinter muss nicht unbedingt dieselbe sein.

So?
Ja, das ist meiner Meinung nach eine wichtige Tatsache: Bei der Diskriminierung, die wir mit unserer Studie aufgedeckt haben, handelt es sich oft gar nicht um eine explizite Art von Diskriminierung oder Rassismus. Das heißt, die Personen, die diese Diskriminierung ausüben, haben oftmals die besten Absichten und sind sich ihres diskriminierenden Verhaltens gar nicht bewusst. Sie halten sich selbst für absolut fair und vorurteilslos, aber verhalten sich unbewusst doch nicht jedem gegenüber auf dieselbe Weise.

Auf diese Art und Weise zu diskriminieren, kann also jedem von uns passieren?
Genau. Das ist aber auch der Grund, warum wir mit solchen Experimenten und Studien einen Beitrag leisten können, dass sich konkret etwas ändert. Man hat zum Beispiel bereits zeigen können, dass unbewusste Diskriminierung gegenüber Frauen merklich zurückging, indem man lediglich auf diese Art von ungleicher Behandlung aufmerksam gemacht hat. In manchen Fällen gibt es also gar nicht eine bewusste böswillige Absicht zur Diskriminierung. Die Hoffnung war nun, dass diese Art von Diskriminierung in der öffentlichen Verwaltung zurückgeht, indem manche Beamten, die eigentlich keine schlechten Absichten haben, auf ihre unfairen, aber bisher nicht bewussten Verhaltensweisen aufmerksam werden. So können sie in Zukunft mehr Acht darauf geben, dass ihnen das nicht (wieder) passiert.