Gesellschaft | Interview

“Mit einer Trotzreaktion ist es nicht getan”

Hans Karl Peterlini war an der Uni Klagenfurt als am 9. Juni Mitglieder der Identitären Bewegung einen Hörsaal stürmten. Was steckt dahinter? Welche Antwort gibt man?

Sie sind jung, geben sich modern und intellektuell. Seit 2011 ist die Identitäre Bewegung in Österreich ein Begriff. “Nicht links, nicht rechts – identitär”, “eine neue Generation von Patrioten, die sich nicht damit abfindet, still und leise unterzugehen”, so bezeichnen sie sich. Hinter dem Namen, dem hippen Auftreten und den Aktionen, die Mitglieder Identitärer Bewegungen in ganz Europa – zuletzt auch am Brenner – abhalten, verbirgt sich allerdings etwas anderes: “Ein beständiger ‘Fremden’hass und die Ablehnung universaler Menschenrechte in moderner, jugendlicher Verpackung”, das kennzeichnet laut den Autoren des Buches “Die Identitären – Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa” die Identitäre Bewegung (zu der die Autoren auch die italienische CasaPound zählen).
Das größte Feindbild: das Fremde, gegenwärtig in Form des Islam. Da ist die Rede von “Islamisierung”, von “Ausländerkriminalität”, der Sorge vor “Überfremdung”, “Austausch” und der Notwendigkeit eines “ethnokulturellen Selbsterhalts“. In Deutschland steht die als rechtxextrem eingestufte Bewegung inzwischen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, in Österreich fallen die Identitären immer wieder durch Störaktionen auf. Nach der Stürmung der Theateraufführung von Elfriede Jelineks “Die Schutzbefohlenen“ an der Uni Wien im April war es zuletzt vor einer Woche soweit. Am Donnerstag, 9. Juni stürmte ein Dutzend Identitärer eine Lehrveranstaltung zu “Flucht, Asyl und Migration” an der Uni Klagenfurt, hielt Transparente mit der Aufschrift “Integration ist eine Lüge” in die Höhe und spielte eine Steinigungsszene nach. Der Rektor der Uni, der in den Hörsaal eilte, bekam einen Fausthieb in die Magengegend versetzt. Einer, der an jenem Tag an der Universität Klagenfurt war, ist Hans Karl Peterlini. Der Südtiroler Journalist und Autor ist seit 2014 als Professor für Erziehungswissenschaft und Interkulturelle Bildung in Klagenfurt tätig.

Herr Peterlini, wie haben Sie den Nachmittag des 9. Juni erlebt?
Hans Karl Peterlini: Ich war auf der Uni, habe von dem Vorfall aber erst gehört, als es bereits vorbei war. Unser Universitätsassistent hat mich angerufen, ein junger Muslim aus Bosnien, der aus einer Flüchtlingsfamilie von 1992 stammt. Er war sehr sehr betroffen wegen der Aktion, die den Islam als nur patriarchal, steinigend und kriminell unter Generalverdacht stellen sollte.

Es war nicht das erste Mal, dass eine Universität für solche Störaktionen ausgewählt wurde.
Die Uni Klagenfurt bietet sich als Feindbild geradezu an, Jörg Haider wollte sie seinerzeit sogar schließen. Sie hat den Ruf, gegen rechtsextreme Tendenzen und für Inklusion zu arbeiten. Und am Donnerstag wurde die Uni ja mit dem Vorwand angegriffen, dass sie die “islamistische Unterwanderung”, die “Überfremdung” Österreichs deckt. Die Uni als ein Hort, der nicht auf der Seite der jungen Österreicherinnen und Österreicher steht. Wobei man sich fragen muss, wer sind die jungen Österreicherinnen und Österreicher? Sie sind und waren ja immer schon sehr plural und vielfältig, auch von ihrer Herkunft her. Aber immerhin gibt es diese Vorstellung, dass ein “reines, deutsches Österreich” vor dieser Bedrohung verteidigt werden muss.


Video der Identitären Aktion am 9. Juni: Eine Person, die sich als Frau im Burka verkleidet hat, “steinigt” den am Pranger stehenden Österreicher in Lederhosen.

Haben Sie sich mit der Identitären Bewegung beschäftigt?
Vor jenem Donnerstag nicht. Obwohl sie schon vorher ein, zwei Mal mit harmloseren Aktionen in Kärtnen in Erscheinung getreten ist. Die Uni war aber ein sehr sicherer Boden, die meisten Studierenden sind sehr sensibel für solche Fragen. Daher habe ich mir so etwas nicht erwartet. Obwohl es zu erwarten gewesen wäre. Man braucht sich nur anschauen, wie viele Menschen bei den Bundespräsidentenwahlen Norbert Hofer gewählt haben.

Sie sehen einen Zusammenhang zwischen dem Aufwind von Hofer beziehungsweise der FPÖ und den Vorfällen?
Die Identitäre Bewegung ist eine Gegenbewegung. Vermutlich nicht nur, aber weitgehend junger Leute, die in der Migrationsbewegung, in den Flüchtlingsbewegungen – ich spreche bewusst nicht von Migrationswelle oder -flut – eine Bedrohung ihrer Identität sehen. Das drückt auch der Name aus.

Eine begründete Angst?
Hinter solchen Ängsten stecken in der Regel verschobene Ängste. Soziale Ängste, Aggressionen gegen ungleiche Verhältnisse in der Gesellschaft, ich vermute auch Bildungsbenachteiligung.

Jene Ängste, aus denen ein Teil der Politik, siehe FPÖ in Österreich, AfD in Deutschland versucht, Kapital zu schlagen…
Ich würde auch die konservativen Regierungsparteien dazuzählen. Im Grunde waren die Nuancen des Bundespräsidentschaftskandidaten der ÖVP oder der vorigen SPÖ-Innenministerin schwer von dem zu unterscheiden, was die FPÖ sagt. Die ganze klirrende Rhetorik vom Grenzmanagement, das diese “Gefahr” abwenden soll und das “Wir können nicht mehr verkraften” – all das hat diesen Bewegungen natürlich sehr in die Hände gespielt. Das Reden über Migration ist vergiftet worden, von höchster Stelle. Auch vom Außenminister (Sebastian Kurz, Anm.d.Red.), der leider so ist wie sein Name, was die Sorgfalt im Umgang mit diesem Thema angeht. Ebenso hat sich der zurückgetretene Bundeskanzler nicht sehr unterschieden. Es ist eine Stimmung erweckt worden, als müsste Österreich jetzt wirklich geschützt werden.

Es scheint, als würde sich die Identitäre Bewegung dieser Aufgabe nur allzu gern annehmen?
Man muss dieses Phänomen schon ernst nehmen. All das, was junge Menschen real belasten kann, wird auf “das Andere” projiziert. Es ist nicht mehr so leicht einen Arbeitsplatz zu bekommen, es können nicht mehr alle studieren, es haben nicht alle Zugang zur Wohlstandsgesellschaft – es gibt eine große Perspektivlosigkeit unter den jungen Leuten. Das sind existenzielle Sorgen, die irgendwohin ent-sorgt werden. Und entsorgt werden sie am einfachsten auf die Feindbilder, die sich gerade anbieten. In der Nachkriegszeit nach dem Ersten Weltkrieg waren es vor allem die Juden, derzeit eignet sich niemand besser als Feindbild als syrische Flüchtlinge.

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Politik und Medien nicht nur in Österreich ordnen die Identitären dem rechtsextremen Spektrum zu. Teilen Sie diese Einschätzung?
Sie sind auf jeden Fall ins rechtsextreme Eck zu stellen, ja. Das bezweifelt niemand. Sogar die Kronen-Zeitung hat sie als Neonazis bezeichnet, das will schon was heißen. Es genügt die Internetauftritte der Bewegung anzuschauen. Auf der Facebook-Seite der Kärntner Gruppe gibt es ein Video, das auf die nationalsozialistische Mythologie anspielt. Darin heißt es: “In Europa dunkelster Stunde erhebt sich die letzte wehrhafte Generation.” Da trieft es vor Werwolf-Mythologie, vor Untergang durch die “islamistische Überflutung”, wie sie gern genannt und die dann völlig verzerrt wahrgenommen und als Bedrohung der eigenen Existenz betrachtet wird. Deshalb auch diese aggressiven Schübe.

Die Identitären werden zwar als Rechtsextreme eingestuft, aber sie präsentieren sich nicht beziehungsweise nicht mehr so. Keine Springerstiefel und rasierte Schädel, sondern hippe Kleidung und Frisuren. Was es erschwert, sie auf den ersten Blick zu erkennen und zu reagieren. Wie kann man mit einem solchen Phänomen umgehen?
Das ist eine wirklich schwierige Frage. Erstens ist das Ganze nicht mehr so eindeutig. Obwohl man politisch schon sagen kann, dass sie eindeutig rechtsextrem sind. Aber damit ist ja nichts getan. Nur weil ich denen ein Etikett “Neonazi” aufklebe, habe ich noch nichts bewirkt. Damit werde ich sie in ihrem Gefühl, von der Gesellschaft ausgeschlossen, geächtet, stigmatisiert zu sein, eher noch bestärken. Ich glaube, es ist gut, das Phänomen zu benennen, aber damit ist es nicht getan. Ebensowenig mit Empörung und Entrüstung.

Wie reagiert man also?
Einerseits ist die gesamte Politik gefordert. Wenn es soziales Unbehagen und Gruppen gibt, die das Gefühl haben, die Zukunft fährt ohne sie ab, dann ist das politisch ernst zu nehmen. Aber das sind zunächst gar nicht die Fragen von Migration-Nicht-Migration, offene Grenzen-geschlossene Grenzen, Aufnahme-Gesellschaft oder Gesellschaft, die die Vorhänge zuzieht.

Sondern?
Es geht um die – selbstverständlich utopische – Frage einer Gesellschaft, die gute Bedingungen für alle schaffen muss. Und da steckt nicht nur Österreich, sondern ganz Europa und die gesamte auf einem entfesselten Kapitalismus gegründete Gesellschaftsordnung in einer Krise. Es können nicht alle mithalten und wir haben eine wachsende Bevölkerungsschicht von Ausgeschlossenen. Das ist der beste Nährboden für Rechtsextremismus, und morgen vielleicht auch wieder für Linksextremismus.

Thematisieren Sie Vorfälle wie jenen am Donnerstag mit Ihren Studierenden?
Ja, das wird sicher Thema in künftigen Lehrveranstaltungen sein. Auch von der Uni selbst sind deutliche Signale gekommen, dass man sich sicher nicht zurückschrecken lässt. Das interkulturelle Lehrangebot wird sicher nicht zurückgeschraubt, sondern eher noch verstärkt. Wobei auch hier die Trotzreaktion nichts nützt. Die größte Frage ist, wie kommt man an diese Gruppen heran?

Der Vorfall zeigt, wie weit die Vergiftung öffentlicher Diskurse in der Frage der Flüchtlingsbewegungen fortgeschritten ist, wie gefährlich die gesellschaftlichen Bruchlinien aufklaffen, wie fertil der Boden für rechtsextremes und inhumanes Gedankengut und nachfolgende Gewaltakte immer noch und wieder ist.
(Hans Karl Peterlini auf Facebook)

Haben Sie eine Antwort darauf?
Es ist sehr schwer. Sicher kann eine Annäherung nicht durch Verketzerung passieren. Sofern möglich, sollte versucht werden, einen Dialog zu führen. Keinen beschuldigenden Dialog, sondern schauen, welche Ängste hinter der vordergründig vorgebrachten Angst stehen. Bei den militanten Kernen wird das wahrscheinlich nicht viel bringen. Da muss oft das Leben die Lehren erteilen und das Strafrecht greifen. Durch das aggressive Eindringen in einen Hörsaal und den Fausthieb in die Magengrube eines Rektors wurden Recht und Gesetz verletzt.

Nun werden das aber nicht alle so sehen?
Es gibt auch Leute, die sagen, dass es eine Kunstperformance war. Aus meiner Sicht wäre das Verkennung von Kunst und eine Verharmlosung.

Sie haben die Reaktion der Universität Klagenfurt angesprochen. Kann Wissenschaft und Forschung einen Beitrag leisten, um solchen bedenklichen Auswüchsen entgegenzuwirken?
Was mir in der ganzen Migrationsforschung auffällt ist, dass vor allem erforscht wird, wie es den Migrantinnen und Migranten geht. Es gibt sehr viel Forschung in Österreich über die Marginalisierung von Migrantinnen und Migranten und über gute Bewältigungen diese Marginalisierung. Das ist alles sehr sehr wichtig…

Hört sich allerdings nach einem “Aber” an…
Es gibt ganz wenig Forschung zu Fragen wie: Was löst das in der ganzen Bevölkerung aus? Welche Veränderungen gibt es? Welche Ängste tauchen auf? Aber auch die Frage, wie es Menschen eigentlich gelingt, gut zusammen zu leben. Wie schaffen es Menschen, obwohl medial und politisch alles vergiftet ist und wirklich schädliche Diskurse geführt werden, gut miteinander auszukommen? Die Prozesse guten Zusammenlebens sind kaum erforscht. Siehe die Wahlergebnisse in Österreich: Dort, wo wirklich Migrationsdichte herrscht, haben viel mehr Menschen Alexander Van der Bellen gewählt. Sprich, dort wo das reale Zusammenleben stattfindet, ist die Angst vor dem oder den Fremden gar nicht so groß. Da hätte die Wissenschaft eine große Aufgabe, das mehr zu erforschen. Und hier könnte man an die Medien anknüpfen. In den Medien gibt es oft nur die Negativ-Beispiele zu sehen, wie es nicht funktioniert.


Auf Facebook findet man eine Seite der “Identitären Bewegung Südtirol”. Die Rhetorik ist dieselbe wie in Österreich...

Das heißt, die Medien sind mit Schuld, wenn nun die Stimmung derart aufgeheizt ist und zu kippen droht?
Ich würde kein einseitiges Bild von den Medien zeichnen. Ein paar Medien versuchen tatsächlich Stimmung zu machen und zu vergiften. Aber manche bemühen sich, ein vielfältiges Bild von Migrationsgesellschaften zu vermitteln. Der Journalismus ist oft sehr sensibel dafür, auch wenn diese Art der Berichterstattung oft schnell in die Gutmenschen-Schublade abgeschoben wird. Leider. Aber was doch schon immer etwas im Vordergrund steht, ist das Misslingen von Zusammenleben und Integrationsprozessen. Nichtsdestotrotz liegt die größte Verantwortung bei der Politik, finde ich. Auch wenn die Medien diese Negativ-Stimmung erzeugen oder verstärken, müsste die Politik die Verantwortung erkennen, wenn sie Ängste verstärkt statt beruhigt. In Österreich ist das in den letzten Monaten geschehen: Man hat sich verstärkend auf gewisse Ängste eingelassen. “Wir müssen die Grenzen zumachen, weil wir uns schützen müssen, weil keine Frau sich nachts auf die Straße trauen kann usw.”. Das ist für mich verantwortungslos.

Können Sie einen Moment benennen, ab dem diese politische Haltung Überhand genommen hat?
Ich würde sagen seit den Vorfällen an Silvester in Köln und Hamburg, die schnell als Signal zur Kehrtwende benutzt wurden. In Österreich noch krasser als in Deutschland, wo zumindest die Bundeskanzlerin ihre Haltung gewahrt hat und sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein scheint. Was schade ist, ist, dass ich bis zu dem Zeitpunkt fast stolz darauf war, in Österreich zu arbeiten, weil es ungeheuere Solidarität und großen Einsatz in der Flüchtlingsbewegung gegeben hat. Es war einfach schön. Und da ist sehr sehr viel kaputt gemacht worden. Die Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft gibt es weiterhin, aber sie ist medial und politisch völlig in den Schatten gedrängt worden, hinter diese Grenzmanagement-Frage.

Sie verwenden immer wieder das Wort “Verantwortung”…
Ich finde kein anderes Wort dafür. Politik muss es aushalten können, dass es auch mal eine Stimmung gegen sie gibt anstatt sich dieser Stimmung anzupassen und sich auf die Seite jener zu stellen, die Unmut verspüren und sich von diesen vor sich hertreiben lassen.

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gorgias Do., 16.06.2016 - 15:28

Die Diskussion ist auch deshalb vergiftet, weil man gewisse Themen tabuisiert und solange alle ausgrenzt bis nur noch solche Enthemmte übrig bleiben, die nicht vor faschistischen Mitteln zurückschrecken wie Veranstaltungen zu stürmen und Gewaltanwendung.

Do., 16.06.2016 - 15:28 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 16.06.2016 - 20:57

1) "Auch vom Außenminister (Sebastian Kurz, Anm.d.Red.), der leider so ist wie sein Name, was die Sorgfalt im Umgang mit diesem Thema angeht." Nur Außenminister? Nein offiziell: Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres; zuvor: Integrationsstaatssekretär! Der muss es ja wissen?!? Flexibel muss man in der Politik sein!

2) "Der Journalismus ist oft sehr sensibel dafür, auch wenn diese Art der Berichterstattung oft schnell in die Gutmenschen-Schublade abgeschoben wird. Leider." Das ist die Folge davon, wenn man Flüchtlinge und Migranten in Medien und folglich in der Gesellschaft entweder nur verteufelt oder nur veridealisiert und nicht versucht, ein realistisches Bild zu zeichnen. Die Realität ist meisten ein bisschen differenzierter: ein bisschen vom einen Extrem und bisschen vom anderen und sehr dazwischen, worüber kaum jemand spricht.

Do., 16.06.2016 - 20:57 Permalink