Gesellschaft | Tumortote

Ärztemangel. Geldnot. Fehlendes Wissen.

Die Diagnose Krebs ist kein Todesurteil, aber die mit einhergehende Mangelernährung muss effizient behandelt werden und das versäumen die öffentlichen Krankenhäuser.
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Pro Jahr erhalten weltweit zehn Millionen Menschen die Diagnose Krebs - sieben Millionen Menschen sterben jährlich daran. Der Krebs - Er nistet sich ein und sein einziges Ziel heißt Zerstörung, seine Taktik ist die Auszehrung. Und diese beginnt oft schon lange bevor die Diagnose gestellt wird. Internationale Studien sprechen von 20 bis 40 Prozent Krebstoten infolge einer Mangelernährung. Diese Zahlen treffen auch in Südtirol zu, bestätigt Michael Kob von der Abteilung Klinische Ernährung am Krankenhaus Bozen. Im Südtiroler Tumorregister werden jährlich etwa 3000 Krebspatent_innen gelistet. Davon sterben 1900  noch in demselben Jahr, darunter sind 380 bis 760 Krebstote infolge einer Mangelernährung. 

Diese Zahlen müssten nicht so hoch sein    

Forschungsergebnisse zeigen, wie die Mangelernährung behandelt werden kann und der Kampf gegen den Tumor somit chancenreicher wird. Screenings-Tools und einfache Messverfahren helfen den Fachärzt_innen, den Nährstoffhaushalt der Krebskranken zu analysieren. Dies ermöglicht eine qualitative Ernährungstherapie mit einer gezielten Zufuhr der fehlenden Nährstoffe. Die Lebensqualität der Tumorpatient_innen sowie die Verträglichkeit von Chemo- und Strahlentherapien werden verbessert, das Immunsystem gestärkt und die Schmerzen reduziert. Im besten Fall kann der Tumor besiegt werden. 

Den Feind verstehen 

Wenn man weiß, wie ein Krebs funktioniert, ist es widersinnig, eine Mangelernährung nicht effektiv zu behandeln, betont der Komplementärmediziner Rudolf Gruber. Ein Tumor ist in erster Linie eine Krankheit der Zelle. Die Wurzel allen Übels schlummert somit in ihr. Normalerweise gehen Zellen in den Zelltod, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren, nicht aber die Tumorzelle. Sie ist genetisch verändert und rebelliert sozusagen gegen das System. Trotz Fehlfunktionen bleibt sie bestehen und saugt die ganze Energie in sich auf. Für die restlichen Körperfunktionen bleibt kaum bis keine Energie übrig, der Krebs zehrt am Körper. Eigentlich müsste das Immunsystem alle Kräfte aktivieren und mit Hilfe des Hungergefühls die benötigte Energie verlangen. Dem ist aber nicht so: Der Tumor hat einen eigenen Stoffwechsel, ändert das Hungerempfinden und leitet den Energiehaushalt um. Nur mehr die Tumorzellen und Metastasen werden ernährt. Der restliche Körper wird ausgezehrt, bis nichts mehr übrig ist. Der Körper hat somit nicht mehr die nötige Energie, gegen den Tumor anzukämpfen. Laut Gruber sei es die falsche Schlussfolgerung, zu denken, dass man den Krebs aushungern könne. „Das Problem einer Krebserkrankung ist, dass die angrenzenden Zellen des Tumors träge und faul werden und sich nicht auf die Tumorsituation einlassen. Sich einzulassen darauf, das wär die viel bessere und effektivere Strategie“, erklärt Gruber. Zur Metastasierung kommt es schlussendlich, weil die Umgebung dermaßen schwach ist, dass der Tumor überhandnimmt, eskaliert und wie eine Bombe platzt.

EU empfiehlt die Behandlung der Mangelernährung 

Anfang der 2000er Jahre wurden vom Europarat Experten eingesetzt, um ernährungsmedizinische Themen im Krankenhaus zu untersuchen. Die Ergebnisse sind eindeutig ausgefallen. In Folge dessen hat der Europarat bei der stationären Aufnahme von Patient_innen im Krankenhaus Screenings auf Mangelernährung empfohlen, aber in den wenigsten Ländern werden sie angewandt. Der Facharzt für Diätetik und klinische Ernährung Michael Kob bemängelt, dass diese Empfehlung auch in Südtirol nicht umgesetzt werde. Diesen Vorwurf weist Luca Armanaschi, Direktor des Amtes für klinische und strategische Entwicklung des Sanitätsbetriebes Bozen, zurück: „Die Patienten bekommen an ihre Bedürfnisse angepasste Menüs und die Fachleute bestimmen über die zusätzliche künstliche Ernährung.“ Aber Screenings-Tools gebe es tatsächlich keine. Aber: Die Sterberate der Krebskranken ist in Folge einer Mangelernährung viel zu hoch. Mit einer qualitativen Ernährungstherapie wären es laut dem Komplementärmediziner Gruber wie auch dem Facharzt für Diätelogie Kob weniger. 

Ein Tropfen auf dem heißen Stein 

Es gibt zwei öffentliche Dienste im Lande, wohin sich mangelernährte Krebskranke selbstständig wenden können: der Dienst für Diätetik und klinische Ernährung des Sanitätsbetriebes Bozen mit seinen Außendiensten sowie der Dienst für Komplementärmedizin in Meran.  Die Kapazitäten des Dienstes in Bozen  sind dem Andrang in keiner Weise angemessen, obwohl es schon sieben Außendienste gibt. Diese sind alle im Umkreis Bozen angesiedelt, somit werden die Patient_innen in den peripheren Gebieten des Landes benachteiligt. Auch der Dienst für Komplementärmedizin in Meran kann nur begrenzt helfen. Um allen Krebskranken gerecht zu werden, müsste der Dienst ausgebaut werden, sagt Michael Kob von der Abteilung Klinische Ernährung am Krankenhaus Bozen. Das bestätigt die hohe Dunkelziffer an Krebskranken, die neben der Behandlung im Krankenhaus alles mögliche ausprobieren, um den Krebs zu besiegen. „Leider verlieren sich viele im Dschungel der Ratschläge. Sie nehmen unkontrolliert und unreflektiert Zusatzpräparate zu sich, die oft wirkungslos bleiben oder sich beispielsweise mit der Chemotherapie schlecht vertragen“, so Rudolf Gruber, „Nur um sich zu informieren, genügen Bücher, aber um die richtige Reihenfolge und Dosisstärke zu finden, braucht es einen Experten, der feststellen kann, was der Körper wann und in welchem Maße braucht.“

Es fehlt an Zeit, Personal und Geld 

Für die qualitative Behandlung der Mangelernährung infolge einer Krebserkrankung haben die Ärzt_innen in den Südtiroler öffentlichen Krankenhäusern zu wenig Zeit, zusätzlich haben sie mit einem Personalmangel zu kämpfen. Für eine effiziente Zusammenarbeit von behandelnden Ärzt_innen und Ernährungstherapeut_innen fehle Geld, Zeit und Personal und vielfach auch das spezifische Wissen, meint der  Komplementärmediziner Rudolf Gruber. Er muss aber gestehen, dass es auch international gesehen wenige Spezialisten in diesem Bereich gebe.

Belastungen für das Gesundheitssystem

Längere Krankenhausaufenthalte folgen, wenn die Mangelernährung nicht behandelt wird. Dadurch kosten die Tumorpatient_innen der Krankenkasse mehr. Die Umstellung auf eine qualitative Ernährungstherapie fordert zwar mehr Zeit, Personal und kurzfristig auch mehr Geld, aber laut internationalen Studien werden die Kosten langfristig eingedämmt. In diesem Zusammenhang kritisiert der Komplementärmediziner Gruber das Südtiroler Versicherungssystem: „Leider gehe es in erster Linie nie um das Wohl der Patienten, sondern darum, möglichst viel Profit aus dem Ganzen zu schlagen und kurzfristig Kosten einzusparen.“ Trotz Nachfrage war die Südtiroler Krankenkasse nicht bereit, zu dieser Aussage Stellung zu nehmen. 

Kostensparen durch effizientere Behandlung 

Luca Armanaschi, Direktor des Amtes für klinische und strategische Entwicklung des Sanitätsbetriebes Bozen, lobt das Krankenkassensystem in Italien, aber räumt ein, dass eine bessere diätetische Behandlung Kosten sparen könne. Er verweist auf den Masterplan, der dieses Problem lösen solle. Dabei handelt es sich um einen strategischen IT-Masterplan, der eine einheitliche Informatisierung für den gesamten Sanitätsbetrieb Südtirol vorsieht. „Der Masterplan ist für uns ein Hebel, um Veränderung und Innovation im Betrieb voranzubringen und zu beschleunigen“, sagt der Generaldirektor des Südtiroler SanitätsbetriebesThomas Schael beim internationalen Kongress zur Innovation in der Gesundheitsvorsorge in Mailand am 11. November 2016. Bis 2019 soll der IT-Masterplan umgesetzt sein. Von der Landesregierung gibt es einen Zuschuss von 30 Millionen Euro.

Das Südtiroler Gesundheitssystem hat großen Aufholbedarf 

In naher Zukunft werde es eine Reorganisation des Krankenhaussystems geben, damit die Patient_innen in allen Bezirken dieselbe diätetische Betreuung bekommen, verrät Armanaschi. Ob es infolge dessen auch mehr ausgebildetes Personal geben werde, darauf konnte er keine Antwort geben.

Auch in Zukunft werden viele Krebspatienten aus der eigenen Tasche bezahlen müssen, wenn sie eine ganzheitliche Behandlung wollen. Wie teuer diese Behandlung ist, kommt auf die bestehende Mangelernährung und auf die Art des Tumors an. Dass nicht alle das nötige Geld dafür haben, ist eine traurige Tatsache. Die 20 bis 40 Prozent an Krebstoten in Folge einer Mangelernährung werden auch in nächster Zukunft Realität sein.