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„Es ist eine Achterbahn“.

Wie führt man ein Unternehmen, wenn ein Viertel der Beschäftigten ausfällt und an allen Ecken Komponenten fehlen? Durst-CEO Christoph Gamper über den Corona-Alltag.
Gamper, Christoph
Foto: Durst AG
Salto.bz: Herr Gamper, Sie kommen gerade von einer Geschäftsreise aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zurück. Heißt das, bei Ihnen läuft aktuell mehr oder weniger Business as usual?
 
Christoph Gamper: Business as usual ist es auf keinen Fall. Ja, ich komme gerade aus Dubai und Abu Dhabi zurück, und wollte eigentlich noch weiter nach Australien. Ich war schon zwei Jahre nicht mehr in unserer dortigen Niederlassung und hätte dort dringend Dinge zum Abschluss zu bringen. Doch Australien musste kurzfristig abgesagt werden, weil unser dortiger Managing Director einen Impfdurchbruch hatte. Mein Verkaufsleiter wurde einen Tag vor Abflug positiv auf Omnikron getestet. Schlussendlich war ich dann alleine bei Kunden in Abu Dhabi und Dubai.  Also, von der Normalität sind wir leider noch weit entfernt. 
 
Sie haben nun von zwei Führungskräften gesprochen, die wegen des Virus nicht arbeiten können. Haben Sie auch einen Überblick, wie viele der insgesamt etwas mehr als 880 Beschäftigten der Durst-Gruppe weltweit derzeit das Bett hüten?
 
Aktuell sind es im Schnitt rund 25% der Belegschaft, die zwar nicht alle das Bett hüten, aber in irgendeiner Form vom Virus betroffen sind  ̶̶  auch aufgrund von Erkrankungen von Kindern und Verwandten oder Kontakten zu Infizierten. Die Regeln werden ja gerade an allen Ecken und Enden der Welt gelockert, aber bis vor kurzem war es so, dass wir sehr viele Fälle hatten, wo unsere Beschäftigten zwar nicht positiv waren, aber aufgrund der strengen Bestimmungen zu positiven Kontakten nicht zur Arbeit kommen konnten.
Aktuell sind es im Schnitt rund 25% der Belegschaft, die zwar nicht alle das Bett hüten, aber in irgendeiner Form vom Virus betroffen sind.
Und wie arbeitet man unter solchen Bedingungen? Oder konkreter: Was macht der CEO eines international tätigen Herstellers von hochtechnologischen großen Druckanlagen, um zu gewährleisten, dass der Laden trotzdem läuft?
 
Für mich als CEO ist das teils fast schon eine schizophrene Situation. Auf der einen Seite muss ich Umsatz generieren und dafür sehr langfristig planen, damit wir dann das nötige Material haben, um produzieren zu können. Und auf der anderen Seite fahren wir komplett auf Sicht, und haben eine Planungssicherheit von maximal zwei Wochen, weil die Politik anscheinend in Zwei-Wochen-Rhythmen handelt und sich das Virus ohnehin nicht kontrollieren lässt. Also, es ist wirklich ein Wechselbad der Gefühle. Nicht nur für den CEO, sondern für das gesamte Team. Wir wissen teilweise ja nicht einmal, wie viel Kapazität wir in der Produktion am jeweiligen Tag überhaupt zur Verfügung haben. Einerseits wegen der Mitarbeiter, anderseits auch wegen der Lieferkette. Denn es sind ja alle betroffen, nicht nur Zulieferer in China. Wir beziehen auch sehr viele Komponenten aus dem Umfeld, von mittelständischen Betrieben in Deutschland beispielsweise, und es geht allen gleich.
 
 
Um erst einmal beim Personal zu bleiben: Rein praktisch läuft es dann so ab, dass jeden Morgen erst einmal geschaut werden muss, wer hier ist und wer nicht?
 
Ja, es gibt am frühen Vormittag ein Update, wer von der Mannschaft da ist und wer nicht, und das wirkt sich dann halt entsprechend auf die Planungen, auf die Auslieferungen, auf die Kunden aus. Und die Reaktionen darauf bekomme ich rund zwei Tage später zu spüren, weil spätestens dann habe ich die ersten erbosten Kunden in der Leitung, die mich fragen, wo ihre Lieferung ist.
 
Unternehmerverbands-Präsident Heiner Oberrauch hatte erst kürzlich gewarnt, dass aufgrund des verschärften Personalmangels in einigen Fällen Lieferengpässe unvermeidlich sein werden. Diese Befürchtung können Sie bestätigen?
 
Also im Business-to-Business ist das zumindest in unserem Bereich längst schon passiert. Im Consumer-Bereich schlagen sich die Entwicklungen immer ein wenig verzögert nieder, aber bei uns ist das absolute Realität. Wir bauen sehr große Industriedruckanlagen, die der Digitalisierung dienen. Diese Systeme brauchen einerseits Tinten und Fluide und allerlei andere Dinge, die sie zum Laufen bringen und ein Bedrucken ermöglichen. Im Bereich dieser Chemiekomponenten sind wir vielfach in Zuteilung. Das heißt, wir können gar nicht mehr über den freien Markt kaufen, sondern müssen über Broker gehen, oder in jedem Fall einen unmöglichen Aufwand betreiben, um diese Komponenten auf dem Weltmarkt zu finden. Auf der anderen Seite brauchen wir Elektronikkomponenten, bei denen es bekanntlich ebenfalls  Lieferengpässe gibt. Eine unsere Stärken beruht darauf, dass wir jährlich über 20 Mio. Euro in Forschung und Entwicklung investieren, doch nun müssen wir angesichts mangelnder Verfügbarkeiten Komponenten redesignen, sprich andere Chips verwenden oder andere Boards bauen. Und das alles ist natürlich immer mit Zeitverzögerungen und einem Riesenaufwand an Energie verbunden.
Etwas können wir immer produzieren. Doch in vielen Fällen fehlt eben entweder der Mitarbeiter oder eine Komponente, um ein Produkt fertig zu machen, und dann steht alles auf der Halde.
Das heißt, Ihr Alltag besteht darin, laufend zu improvisieren, umzuplanen, Angestellte durch andere zu ersetzen… . Passiert es auch manchmal, dass gar nicht mehr produziert werden kann?
 
Nein, etwas können wir immer produzieren. Doch in vielen Fällen fehlt eben entweder der Mitarbeiter oder eine Komponente, um ein Produkt fertig zu machen, und dann steht alles auf der Halde. Und alles, was nicht ausgeliefert ist, bindet Cash und das wird halt irgendwann zum Problem. Für einige Unternehmen noch in viel stärkerem Ausmaß. Wir haben zum Glück die vergangenen 10 Jahre sehr gut gearbeitet, und haben noch etwas mehr Luft und etwas mehr Nerven, aber irgendwann geht auch uns der Platz aus.
 
Geht das jetzt seit zwei Jahren so oder hat sich die Situation mit Omnikron noch einmal zugespitzt?
 
Bereits seit November hat es eine Zuspitzung gegeben, die wir in dem Ausmaß auch davor nicht erlebt haben. Doch natürlich war es seit März 2020 eine Achterbahn. Zu Beginn wird alles mal zugemacht, dann schöpft man die erste Hoffnung. Wir haben damals auch sehr viele Aktionen gesetzt; wir waren glaube ich sogar die ersten in Südtirol, die Masken produziert haben, wir haben das Luftreinigungssystem Habitat entwickelt, neue Produkte auf den Markt gebracht.  Alles Dinge, die wir aus unserer Innovationskraft heraus geschaffen haben. Auch, um die eigene Belegschaft davor zu retten, in die Resignation, in dieses Loch zu fallen. Das ist uns auch gelungen, und ehrlich gesagt, vergangenen Sommer hatte ich geglaubt, das Ganze ist vorbei. Da hatten wir auch eine Riesen-Sommerparty gemacht ohne irgendwelchen Ansteckungen. Doch dann kam alles wieder voll zurück.
 
 
Und mittlerweile merkt man auch: Die Mannschaft, auch ich selber, wir sind einfach müde, wir können alle nicht mehr. Ich hatte selber um den Jahreswechsel herum trotz Booster auch noch einen Impfdurchbruch. Ich bin wirklich ein unverbesserlicher Optimist. Doch als ich dann zu Neujahr, statt auf der Hochzeit eines meiner besten Freunde zu feiern, in Isolation in einem Hotelzimmer in Florida saß, habe ich wirklich gedacht: Jetzt reicht’s mir wirklich.
 
Und es gibt noch keinen Hoffnungstreifen am Horizont?
 
Ich fürchte, die Probleme mit unseren Lieferketten sind noch nicht vorbei, das wird schätze ich zumindest noch mal 12 bis 18 Monate weitergehen. Dann ist natürlich zu sehen, wie es mit dem Infektionsgeschehen und den ganzen politischen Lösungen drumherum weitergeht.
Ich bin wirklich ein unverbesserlicher Optimist. Doch als ich dann zu Neujahr, statt auf der Hochzeit eines meiner besten Freunde zu feiern, in Isolation in einem Hotelzimmer in Florida saß, habe ich wirklich gedacht: Jetzt reicht’s mir wirklich.
Sie hatten 2020 bereits einen Umsatzrückgang von 12,5%. Hat sich die Situation 2021 noch einmal verschlimmert?
 
Nein, wir sind relativ schnell im Reagieren und konnten unsere Strategie zum Glück erfolgreich anpassen. 2021 konnten wir wieder ein Plus von ca. 25% erzielen und sind damit über dem Vor-Krisen-Niveau.
 
Dennoch sagen Sie, alle sind erschöpft und können nicht mehr. Was würde Unternehmen in dieser Situation helfen, welche Unterstützungen würden Sie sich von Politik oder auch der Gesellschaft erwarten?  
 
Wir haben uns in dieser Zeit hauptsächlich selber geholfen und werden das auch weiterhin tun. Mit neuen Produkten und Strategien, oder auch mit ganz simplen Dingen, wie dem eigenen Bistro, das wir eröffnet haben. Wir bekochen unsere Leute seit der Pandemie selber, mit einem eigenem Team, mit regionalen Produkten. Wir haben angefangen, Gemeinschaft noch stärker zu zelebrieren. Gesellschaftlich hilft es uns natürlich sehr, wenn es eine Anerkennung dafür gibt, wie wichtig das produzierende Gewerbe ist. Doch diesbezüglich haben wir hier in Brixen vollen Rückhalt. Die Politik selbst kann dagegen wenig ausrichten, vor allem nicht auf regionaler Ebene. Was wichtig wäre, ist dass es auf internationaler Ebene nicht mehr zu einer Abschottungspolitik kommt, wie in der ersten Phase der Pandemie, wo dann die USA für Europäer dicht machen und ähnliches. Vor allem, weil wir alle ohnehin gesehen haben, wie komplett sinnlos diese Ländersperren sind.
 
 
Hat die Tatsache, international tätig zu sein, in der Corona-Zeit eher zusätzlich geschadet oder genutzt?
 
Normalerweise hat sie uns in Krisenzeiten immer genutzt, denn irgendwo auf der Welt geht immer was, auch wenn es anderswo kriselt. Bei Corona hat es dagegen nun alle mehr oder weniger zeitgleich getroffen in der ersten Zeit. Und das war wirklich ein Problem, denn wir konnten uns nicht mehr bewegen. Und das ist ein Problem, wenn man große Industrieanlagen verkauft, die teils über Wochen installiert werden müssen. Wir haben eine sehr große Mannschaft, die um die Welt fliegt, um unsere Anlagen in Betrieb zu nehmen.
 
Und das war mit all den Reisebeschränkungen und Krankheitsfällen teils überhaupt nicht mehr möglich?
 
Genau. Nun ist es etwas besser geworden. Dennoch: Früher stieg man unkompliziert in ein Flugzeug, um beispielsweise in Brasilien in einer Woche eine Textilmaschine zu installieren. Heute braucht es dafür jede Menge Dokumente und Tests und unsere Mitarbeiter gehen zusätzlich ein großes Risiko ein, sich irgendwo auf der Welt zu infizieren und in Quarantäne zu landen.
 
Die Marktlage selbst muss einem digitalen Unternehmen wie Ihrem dagegen in die Hände spielen…
 
Absolut. Die Pandemie hat die Digitalisierung in einem Maß vorangetrieben, die selbst wir uns nicht vorstellen konnten. Davon haben wir bereits teilweise profitiert und werden in den kommenden Jahren noch viel stärker profitieren, wenn wir uns endlich wieder freier in der Welt bewegen werden können.
 
Vor diesem Hintergrund ist es wohl fast ein Wunder, wenn Sie jetzt schon wieder ein Vorkrisen-Niveau erreicht haben.
 
Das ist absolut kein Wunder und auch nicht der Politik oder sonst jemanden zu verdanken, sondern ganz alleine die harte Arbeit eines Riesen-Teams. Wir haben lustigerweise 2019, bevor das Ganze begonnen hat, einen Digital Nightmare Competitor erschaffen. Da ging es darum, sich im Rahmen der Strategieplanung selbst gedanklich den härtesten Mitbewerber zu erschaffen. Wir hatten dann einen Mitbewerber, der alles digital machte und wo es keinen Bedarf mehr für Druckerzeugnisse gab… Und ich muss sagen: Das war bei weitem nicht so ein schlimmes Szenario, wie das, was seither mit Corona eingetreten ist. Doch nun können wir sagen: Wir haben Corona bisher überstanden, wir werden alles andere auch überstehen.