Politik | Interview

“Mobil auch ohne eigenes Auto”

Von den Koalitionspartnern ist Madeleine Rohrer enttäuscht. Aber eine Panne und “die Autopartei” sollen die Mobilitätswende nicht verhindern, sagt die Meraner Stadträtin.
Madeleine Rohrer
Foto: Facebook/Meran Smart City Merano

In Meran haben die Koalitionspartner die Stadtregierung von Bürgermeister Paul Rösch vergangenen Donnerstag auflaufen lassen. Wieder einmal. Mit 17 Ja, 13 Nein und einer Enthaltung wurde im Gemeinderat ein Eilantrag der oppositionellen Lista Civica angenommen und damit die geplante testweise Sperrung der alten Eisenbahnbrücke an der Speckbacherstraße für den Autoverkehr abgelehnt. Die hatte die Stadtregierung einstimmig beschlossen, um festzustellen, ob die Brücke künftig definitiv gesperrt werden könnte.

Weil auch Vertreter ihrer Partei für den Antrag der Civica und gegen den Testversuch gestimmt haben, hat Veronika Stirner am Wochenende ihren Austritt aus der SVP verkündet. Stirner war eine der Anrainerinnen, die Unterschriften für die Sperrung gesammelt hatten. Sie werde bei den nächsten Gemeinderatswahlen die Liste Rösch/Grüne unterstützen, kündigt Stirner in einem Kommentar auf salto.bz an. Der Parteiaustritt sei ein Schritt, der “schon längst überfällig” gewesen sei – “und dann passieren manchmal Dinge, die das Fass zum Überlaufen bringen”.

Während sich die Civica äußerst zufrieden zeigt, ist die Irritation bei Bürgermeister Rösch und seinen Unterstützern groß. So auch bei Madeleine Rohrer, die als – 2015 von außen berufene – Mobilitätsstadträtin die Pläne für die angestrebte Verkehrsberuhigung maßgeblich vorantreibt. “Befremdlich” sei es, dass “auch Räte der mitregierenden SVP und von Alleanza per Merano” mit ihrer Stimme die Rücknahme des gemeinsam gefassten Beschlusses erwirkt hätten, schreibt Rohrer auf Facebook.

salto.bz: Frau Rohrer, was war für die Eisenbahnbrücke, die zur Zeit ja ohnehin gesperrt ist, vorgesehen?

Madeleine Rohrer: Derzeit sind an der Brücke dringende Bauarbeiten im Gange. Sie wird seit Anfang Februar saniert, um die Stabilität zu sichern – unabhängig, für wen sie künftig offen oder geschlossen gewesen wäre.

Am 18. Juni hat der Meraner Stadtregierung beschlossen, nach Abschluss der Sanierungsarbeiten Anfang Juli die Brücke bis Ende Oktober testweise für den Autoverkehr zu schließen. Warum?

Bereits 2016 haben wir einen Detailverkehrsplan erstellt, wie es sie neben dem großen Verkehrsplan für ganz Meran auch für die einzelnen Stadtviertel gibt. Dieser sieht die Aufwertung der Brücke für Fußgänger und Radfahrer vor und damit wesentlich mehr Sicherheit für die schwächsten Verkehrsteilnehmer. Es gibt einen Beschluss von 2016, mit dem die Stadtregierung diesen Detailverkehrsplan angenommen und damit die Maßnahme grundsätzlich gutgeheißen hat.

Die Maßnahme, die Eisenbahnbrücke Radfahrern und Fußgängern vorzubehalten?

Die Speckbacherstraße und die Straßen entlang des Lidos sind sozusagen eine der Haupt-Radverkehrsachsen der Gemeinde. Und die Brücke hat keinerlei Relevanz für den städtischen Verkehr. Das besagen bereits der Verkehrsplan und der Beschluss der Stadtregierung von 2016. Ebenso ist darin festgehalten, dass die Brücke ziemlich schmal und ohne Gehsteig ist und es Konflikte zwischen Radfahrern, Fußgängern und Autofahrern gibt.
Deshalb wurde im Plan damals schon festgehalten, dass die Brücke für den Autoverkehr gesperrt werden könnte.

Es spricht nicht für die Vertrauenswürdigkeit und Professionalität von anderen Parteien, wenn ihre Stadträte Ja sagen und sie die eigene Mannschaft dann nicht hinter sich haben.

Es hat auch eine Unterschriftensammlung von Anrainern gegeben, nach der die Stadtregierung die Testphase zur Schließung beschlossen hat. Was haben die Anrainer gefordert?

Sie haben an genau diesen Verkehrsplan von 2016 erinnert, wo eine mögliche Sperrung als Maßnahme drinsteht. Während der aktuellen Sperre wegen Sanierungsarbeiten haben die Anrainer gemerkt, dass es gut funktioniert, dass sie an Lebensqualität gewonnen haben. Daher haben sie die Bitte vorgebracht, die Brücke definitiv zu schließen.

Die Testphase wurde von Ihnen, Bürgermeister Paul Rösch und dem Hauptmann der Ortspolizei am 19. Juni im Rahmen einer Pressekonferenz im Anschluss an den Beschluss der Stadtregierung kommuniziert.

Gespräche hat es schon einige Zeit davor gegeben. Im Zuge der Unterschriftensammlung war auch jemand von den Kaufleute-Vertretern bei mir und hat gesagt, dass man große Schwierigkeiten sehe, wenn die Brücke für den Autoverkehr definitiv gesperrt würde – Stichwort Erreichbarkeit. Man befürchtete geschäftliche Einbußen. Daraufhin habe ich der Stadtregierung vorgeschlagen die Brücke probeweise für den Autoverkehr zu schließen, das Pro und Contra der Maßnahme zu erproben.

 

Können Sie die Bedenken der Kaufleute nachvollziehen?

In Meran werden ungefähr 60 Prozent der Besorgungen mit dem Rad oder zu Fuß erledigt. Das ist eine sehr hohe Anzahl an Bewegungen, die nicht mit dem Auto gemacht werden. Verkehrsberuhigung ist also auch ein Vorteil für die Wirtschaft. Die kurzen Wege spielen insgesamt für die Meranerinnen und Meraner eine große Rolle.

Was wäre nach der Testphase angedacht gewesen?

Die Laufzeit bis Ende Oktober haben wir deshalb gewählt, um auch die Zeit des Schulverkehrs zu untersuchen. Bevor eine endgültige Entscheidung gefallen wäre, wären die Vor- und Nachteile abgewogen worden, es wäre evaluiert worden, wie sich eine Schließung der Brücke für den Autoverkehr auf die Lebensqualität der Anrainer, aber auch die Handelsbetriebe auswirkt. Auch Verkehrszählungen waren geplant.
Wir hatten übrigens schon einmal eine solche Testphase, in der Peter-Mayer-Straße in Untermais – ein ganz ähnlicher Fall. Die Straße wird gerne als Abkürzung genutzt, ein Abschnitt ist sehr eng und die Anrainer haben über zu viel Durchzugsverkehr geklagt. Da haben wir gesagt, wir probieren es. Und die Verkehrsberuhigung hat sich bewährt. Die Straße wird demnächst als Einbahnstraße mit Radweg umgebaut.

Wurde der Beschluss für die Testphase an der Eisenbahnbrücke von der  Meraner Stadtregierung einstimmig gefällt?

Ja.

Verkehrsberuhigung ist auch ein Vorteil für die Wirtschaft. Die kurzen Wege spielen insgesamt für die Meranerinnen und Meraner eine große Rolle.

Die Stadträte der Koalitionspartner haben dafür gestimmt?

Auch SVP und Alleanza per Merano waren dafür.

Anderen hat die Entscheidung weniger gepasst. Die oppositionelle Liste La Civica hat selbst Unterschriften gesammelt und am Donnerstag (27. Juni) einen Eilantrag im Gemeinderat präsentiert – für ein Nein zur testweisen Schließung der Brücke. Wie überrascht waren Sie, als Sie gesehen haben, dass der Antrag – zweifelsfrei dank Stimmen aus den Reihen der Mehrheit – angenommen wurde?

Dazu gibt es zweierlei zu sagen: Zum einen gehen wir ja schon Richtung Gemeinderatswahl 2020 und Mobilität ist immer ein sehr emotionales Thema. Entsprechend hat es mich nicht überrascht, dass die Opposition ihrer Aufgabe nachgekommen ist und ein Thema aufgegriffen und in den Gemeinderat gebracht hat, das Diskussionsstoff birgt.

Und zum anderen?

Eher hat mich – ich muss sagen fast schon menschlich – enttäuscht, dass Partner, mit denen man arbeitet und die sagen, für uns geht etwas gut, dann nicht das Rückgrat und die Ehrlichkeit haben, auch dahinter zu stehen. Vor allem, weil es sich hier nur um eine Testphase gehandelt hätte.
Dass die Mobilitätswende, die wir in Meran schaffen wollen, keine einfache Sache ist, ist klar. Dem bin ich mir, aber auch die Kollegen der Liste Rösch/Grüne sehr wohl bewusst. Aber es spricht nicht für die Vertrauenswürdigkeit und Professionalität von anderen Parteien, wenn ihre Stadträte Ja sagen und sie die eigene Mannschaft im Gemeinderat dann nicht hinter sich haben.

Von dieser “Panne”, wie Sie den Vorfall im Gemeinderat bezeichnen, wollen Sie sich nicht drausbringen lassen, schreiben Sie auf Facebook – die “Autopartei” habe nur einen “Etappensieg” erzielt. Wen meinen Sie mit der “Autopartei”, vor der Sie nicht einknicken wollen?

Zur Autopartei zähle ich all jene, die sich unter Mobilität einzig und alleine das Autofahren vorstellen können.


 

Sie meinen damit keine bestimmte politische Partei?

Nein. 2012 haben wir die Meraner gefragt, wie sie sich fortbewegen. Damals waren 33 Prozent der Wege, die die Meraner täglich zurücklegen, mit dem Auto. 2017 haben wir dieselbe Zählung wiederholt. In diesen fünf Jahren hat der Autoverkehr um fünf Prozent zugenommen. Das ist ein, nennen wir es fast natürlicher Trend, wenn man andere Formen der Mobilität nicht unterstützt. Wenn wir eine sozial gerechte, aber auch lebenswerte Stadt haben wollen, dann geht das nur, indem die anderen Verkehrs- und Mobilitätsformen gefördert werden. Und wenn es dann solche Gefahrenstellen wie an der Eisenbahnbrücke oder in der Peter-Mayer-Straße gibt, mit viel Radverkehr und wenig Platz für Fußgänger, hilft die Förderung dieser sanften Mobilität am Ende auch dem Autoverkehr.

Inwiefern?

Je mehr Menschen auf das Rad umsteigen oder zu Fuß gehen, desto mehr Platz bleibt den anderen auf den Straßen und der Verkehr witd flüssiger. Das war auch der Hintergedanke, wieso wir im Unterschied zu Bozen gesagt haben, wir möchten nicht sofort die Euro-3 verbieten, um die Grenzwerte für NO2 einhalten zu können. Vielmehr wollem wir, dass durch bessere Angebote die anderen Formen der Mobilität stärker genutzt werden. Mobil muss man auch ohne eigenes Auto sein können.

Zur Autopartei zähle ich all jene, die sich unter Mobilität einzig und alleine das Autofahren vorstellen können.

Die Liste Civica hat nun einen Beschlussantrag vorgelegt, in dem sie die Stadtregierung auffordert, eine Machbarkeitsstudie für einen zweiten Übergang neben der Eisenbahnbrücke in Auftrag zu geben, der nur für Radfahrer und Fußgänger gedacht wäre und damit allen mehr Sicherheit garantieren würde. Können Sie dem etwas abgewinnen?

Analysieren, ob eine weitere Infrastruktur sinnvoll wäre, kann man immer. Anschließend ist es eine Frage der Prioritäten und der Finanzierung. Eine Schließung hätte sofort mehr Sicherheit Fußgänger und Radler gebracht.

Wird es einen weiteren Versuch geben, die Eisenbahnbrücke auch nur testweise für den Autoverkehr zu sperren?

Der Gemeinderat hat klar gesagt: keine Testphase. Wenn wir den Gemeinderat, der die demokratische Vertretung der Meranerinnen und Meraner ist, ernst nehmen, wird es so schnell keine Testphase geben.

Sie haben die Wahlen zum Gemeinderat erwähnt, die in gut zehn Monaten auch in Meran stattfinden. Werden Sie erstmals dafür kandidieren?

Für diese Entscheidung ist noch etwas Zeit.