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Langsame Blumen

Anna Gruber versucht sich im Anbau von regionalen Schnittblumen und leistet Pionierarbeit auf dem Gebiet der Slow Flowers: “Da tut sich gerade etwas.”
Anna Gruber, Slow Flowers
Foto: zebra.

Slow Food, Slow Tourism, Slow Tech – das Konzept der Langsamkeit und der Entschleunigung hat unlängst auch das Blumenbeet erreicht. In Algund versucht sich eine junge Frau im Anbau von regionalen Schnittblumen und leistet hierzulande Pionierarbeit auf dem Gebiet der Slow Flowers. zebra. hat sie auf dem Feld besucht.

 

Für Anna Gruber aus Ulten ist das Thema Nachhaltigkeit seit Jahren ein fixer Bestandteil ihres Alltags. Die 32-jährige Pädagogin, Fotografin und Mutter verzichtete vor einigen Jahren im Selbstexperiment ein Jahr lang auf den Kauf von Kleidung und übt seitdem das Selbermachen und neu denken. Mit ihrem Partner Daniele Piscopiello betreibt sie – derzeit noch nebenberuflich – solidarische Landwirtschaft und bietet biologische Gemüsekisten im Abo sowie ihre Produkte in einem Laden in Meran an. Annas neuestes Projekt ist der Anbau, Verkauf und das Arrangieren von Wild- und selbst angebauten Schnittblumen.

Anna, wie bist du auf die Blume gekommen?

Anna Gruber: Ich bin ein sehr kreativer Mensch. Neben meinem Beruf als Kindergärtnerin habe ich mit Daniele die solidarische Landwirtschaft und den Gemüseanbau aufgebaut. Derzeit bin ich in Mutterschaft. Bei der körperlichen Feldarbeit und meinem Job als Mama fehlte mir manchmal die geistige Herausforderung. Da brachte mein Partner mich auf die Idee mit den Blumen. Ich habe mich informiert und verschiedene Floristik-Kurse absolviert. Schnell habe ich begriffen: Es braucht eine nachhaltige Alternative zu konventionellen Schnittblumen, denn auf Blumen können und sollten wir nicht verzichten. Sie gehören zu den Ritualen der Menschen schon seit Jahrtausenden dazu. Blumenkronen waren die ersten Kronen, die den Menschen aufgesetzt wurden. Mit Blumen werden Rituale begleitet.

Ohne Blume keine Party!

Genau. Blumensträuße, Bouquets und Girlanden machen Feste, Geburtstage, Hochzeiten, fröhliche Anlässe, aber auch Beerdigungen zu etwas Besonderem. Die Menschen haben eine sehr emotionale Bindung dazu. Bei meinen Recherchen habe ich aber auch herausgefunden, wie groß die Bedeutung von Schnittblumen auf dem Weltmarkt ist und wie verheerend die Auswirkungen ihres Anbaus sein können – für Mensch und Natur. Dieser Gegensatz faszinierte und inspirierte mich dazu, mich den Slow Flowers zu widmen.

 

Was meint das Konzept „Slow Flowers“?

Blumen, insbesondere Schnittblumen sind eine weltweit gehandelte Massenware. Sie werden mit enormem Ressourcenaufwand produziert und gehandelt und es ist ein großes Geschäft. In jedem Discounter bekommen wir heute einen Strauß für wenige Euro. Die Blumen haben nicht den Wert, den sie eigentlich verdienen. Dem will die Idee der Slow Flowers entgegenwirken. Dabei geht es um saisonale, regional angebaute Blumen, die ohne Pestizide und weite Transportwege auskommen. In der weiteren Verarbeitung wird außerdem weitgehend auf Plastik verzichtet.

Steht dahinter eine Organisation?

Nicht direkt, aber weltweit haben sich junge Landwirt*innen der Idee verschrieben und sich zu losen Netzwerken formiert, die meist auf nationaler Ebene das Konzept von Slow Flowers vorantreiben. Ich bin Mitglied im Netzwerk von Slow Flowers Italy. Dort treten Anbauer*innen in Kontakt zueinander, geben Tipps, bieten Fortbildungen und tauschen sich beispielsweise über lokale Anbaubedingungen aus. Es geht aber auch um die Sensibilisierung von Konsumentinnen und Konsumenten.

Wir widersetzen uns dem Diktat der Dringlichkeit

Inwiefern?

Wer Slow Flowers anbaut, weist nicht nur darauf hin, was im Welthandel schiefläuft, sondern informiert und sensibilisiert auch für die Anbauweise, die Besonderheiten und die Saison der verschiedenen Schnittblumen. Die Menschen haben oft den Bezug zum natürlichen Produkt verloren, wissen nicht mehr, wann welche Blumen wachsen. Wer im Herbst Pfingstrosen oder im Winter Sonnenblumen anfragt, kann die im konventionellen Handel auch bekommen. Oft werden diese aber unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen im globalen Süden angebaut und mit viel Chemie behandelt. In haufenweise Plastik verpackt, reisen sie dann tausende Kilometer im Flugzeug und in Kühltransporten um die ganze Welt, bis sie bei uns auf dem festlich gedeckten Tisch landen.

Aber es gibt doch auch faire Blumen?

Ja, diese sind zumindest unter fairen Bedingungen produziert worden und bieten Menschen, die auf Jobs im Blumenanbau angewiesen sind, angemessene Löhne und würdige Arbeitsbedingungen. Sie sind eine Alternative zu Billig-Blumen. Der massenhafte nicht biologische Anbau, die Verpackungsfrage und die weiten Transportwege blieben als Problem aber bestehen.

 

Wie bekommst du deine Blumen an den Mann und die Frau?

Die Nachfrage ist da. Ich biete, ähnlich wie mit den Gemüsekisten, Blumen-Abos an und habe auch schon Gärtnereien beliefert. Lieber bin ich allerdings mit den Kund*innen in direktem Kontakt. Samstags gibt es meine Blumen und Sträuße in unserem Laden „Farm to table“ in Meran. Ansonsten arrangiere und liefere ich auf Bestellung. Weil ich noch am Anfang stehe, muss ich mitunter sogar ein bisschen bremsen. Aber so ist das eben: Wir haben keine Massenware.

Blumen haben nicht den Wert, den sie verdienen

Bisher waren biologische und regionale Blumen eher die Ausnahme. Jetzt ein neuer Trend?

Ja schon, da tut sich gerade etwas. Auch ich habe bis vor wenigen Jahren zwar Lebensmittel sehr bewusst eingekauft, mir bei Blumen aber kaum Gedanken gemacht. Die esse ich ja schließlich nicht. Da muss man allerdings das große Bild sehen. Es ist eine Frage des Lebensstiles und der persönlichen Prioritäten und Wertigkeiten. Und die handeln viele Menschen derzeit neu mit sich aus.

Wie kann man sich den Anbau der Blumen vorstellen? Was wächst bei uns überhaupt?

Dazu gibt es kaum Erfahrungswerte. Also probiere ich vieles einfach aus und schaue mich ständig nach Neuem um. Wie auch im Gemüseanbau, gedeiht jenes mal besser und anderes mal weniger gut. Die Palette an Blumen, die hier gedeihen, ist sehr breit: von Tulpen, Narzissen und den klassischen Frühlingsblühern über Verbenen, Dahlien, Wicken, Lupinen, Zinnien, Nelken und vieles mehr. Dazu kommen noch jede Menge Wildblumen, die
beispielsweise nur wachsen, wenn die Wiese eben nicht im Sommer dreimal gemäht wird. So wie die wilde Karotte, eine meiner Lieblingsblumen.

 

Und im Winter, müssen wir da auf Blüten verzichten?

Im Herbst und Winter gibt es in der Natur auch bei uns viele Materialien, mit denen gearbeitet werden kann. Im Sommer kann man Blumen trocknen uns ihre Leuchtkraft somit haltbar machen. Auch frische Blüten können wir im Winter hervorlocken, wenn wir etwa Zweige einfrischen und ins Warme stellen. Aber genau diese Vergänglichkeit oder auch das Abwechseln der Jahreszeiten macht die Blumen besonders. Wir widersetzen uns ganz bewusst dem Diktat der Dringlichkeit.

Der Start für das neue Standbein Blumenanbau ist geglückt. Wie soll es jetzt weitergehen?

Das nächste Ziel ist es, bald von der Landwirtschaft allein leben zu können. Ich möchte den Blumenanbau und besonders die Verarbeitung weiter ausbauen und nach Möglichkeit auch größere Aufträge wie Hochzeiten – Stichwort Green Wedding – übernehmen. Derzeit haben wir noch keinen Hof, sondern pachten die Felder. Unsere Anbauflächen sind ziemlich verstreut. Irgendwann ein Hof näher bei den Feldern oder vielleicht ein Tiny Haus, das wäre schön. Auch das Abhalten von Kursen und Workshops in Zusammenhang mit Slow Flowers und Floristik könnte ich mir gut vorstellen. Ideen haben wir viele!


Anbieter*innen von Slow Flowers…

  • verzichten auf Pestizide
  • düngen nur mit organischem Dünger
  • verzichten auf den Einsatz von genmanipulierten Pflanzen
  • beziehen nach Möglichkeit biologisches Saatgut
  • nutzen keine Steckmassen aus Kunststoff
  • versuchen so gut es geht, in Kreisläufen zu wirtschaften
  • arbeiten und verpacken möglichst ohne Einmal-Plastik