Gesellschaft | Gewaltdebatte

"Straftaten werden von Individuen begangen"...

..."und nicht vom Kollektiv." David Augscheller, Meraner Gemeinderat, wünscht sich Sachlichkeit in der aktuellen Debatte um Gewalt. Und warnt vor missbrauchten Emotionen.

David Augscheller ist Lehrer an der Fachoberschule für Tourismus und Biotechnologie und sitzt für Rifondazione Comunista im Meraner Gemeinderat. Auf Facebook hat er von der anstehenden "Demonstration gegen Ausländergewalt" – die am 3. Oktober in Meran hätte stattfinden sollen und schließlich abgesagt wurde – erfahren. Am Dienstag hat er einen Dringlichkeitsantrag im Meraner Gemeinderat eingereicht, gegen neonazistische und neofaschistische Propaganda. Er fordert den Gemeinderat auf, "den Versuch rechtsextremer und neonazistischer Personen und Organisationen, die Demonstration für die eigenen ideologischen Ziele zu missbrauchen", auf Schärfste zu verurteilen.

Herr Augscheller, die Demo am 3. Oktober ist abgesagt. Sind Sie froh darüber?
David Augscheller: Vorweg muss gesagt werden, dass es ein sehr ungüngstiger Kontext war, um eine solche Demonstration auszurufen. Automatisch haben sich nach der Bekanntgabe Kräfte – neonazistischer und neofaschistischer Ausrichtung – eingeschalten, denen sonst keine öffentlichen Räume zur Verfügung stehen. Und sich diese in der Demostration gesucht haben. Und obwohl die Veranstalter anscheinend keine politische Motivation hatten, hätte es voraussehbar sein können, dass gewisse Kreise auf den Plan treten.

Gefühle überwiegen, Fakten werden verschwiegen?
In diesem Fall sind Emotionen geschürt worden, vor allem in den sozialen Netzwerken. Für eine sachliche Diskussion keinenfalls förderlich.

Die Politik darf die zur Zeit vorherrschenden Emotionen nicht missbrauchen, um politischen Humus zu gewinnen.

Bedauern Sie, dass diese anfangs unpolitisch ausgerichtete Veranstaltung nun nicht stattfinden wird?
Ich finde Veranstaltungen dieser Art, also "gegen Gewalt" im Allgemeinen nicht unbedenklich. Gewalt wird instrumentalisiert. Und das ist schlimm, gefährlich und nicht zielführend. Das Problem ist, dass dadurch nicht sachliche Auseinandersetzungen mit aktuellen Problematiken gefördert werden.

Die da wären?
Sicher besteht ein gewisses Unbehagen in der Bevölkerung, sowie Integrationsschwierigkeiten, die es nicht zu verschweigen gilt. Auch Alkoholmissbrauch darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Problematik ist jedoch komplexer. Es darf sich nicht nur gefragt werden "Wie bekämpfe ich das rechtlich?", sondern es muss nach dem "Wieso kommt es überhaupt erst zu solchen Taten?". Vor allem als Politiker ist diese zweite Frage fundamental, wenn Lösungen gefunden werden sollen. Beim Alkohol etwa, wer lässt es überhaupt zu, dass dieser in Übermaßen konsumiert werden darf?

Hat sich der Meraner Gemeinderat mit den jüngsten Vorfällen beschäftigt?
Letzte Woche haben wir uns mit der derzeitigen Situation auseinandergesetzt, in Folge eines Dringlichkeitsantrages, der von den Räten der Mehrheit eingereicht worden war. Dabei ist dem Opfer des Vorfalls am Sandplatz sowie seiner Familie Solidarität ausgesprochen worden. Dass das angebracht und richtig war, das steht überhaupt nicht zur Debatte.

Es ist höchst problematisch, "Ausländer" mit "Gewalt", mit einem "Sicherheitsproblem", mit "Kriminalität" gleichzusetzen

Aber?
Ich würde mir wünschen, es wäre gut, wenn es diese Diskussionen auch dann gegeben hätte, als eine Frau auf dem Marconi-Platz vergewaltigt worden ist. Damals ist es vom Gemeinderat zwar zur Kenntnis genommen worden, aber es hat überhaupt keine Diskussion darüber gegeben. Auch in den Medien nicht.

In Meran fordert Bürgermeister Januth unter anderem die Installation zusätzlicher Überwachungskameras. Werden solche für mehr Sicherheit sorgen?
Kameras sind nicht unbedingt die Lösung, sie werden Gewalt nicht verhindern, sondern punktuell verlagern.

Es war ein sehr ungüngstiger Kontext war, um eine solche Demonstration auszurufen

Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach geeignet?
Ein Punkt wäre, im Ausschank mit Alkohol vernünftiger umzugehen, auch einmal "Stopp, es ist genug" sagen. Ein weiterer Punkt wäre, gewisse Gegenden in Meran besser zu beleuchten. Vor allem in Hinblick auf die Frauen. Sie haben das Recht, nachts alleine unterwegs zu sein und sich dabei sicher zu fühlen. Und in der Stadt gibt es Gegenden, die unterbeleuchtet sind und somit natürliche Orte der Gefährlichkeit darstellen. Ein letzter Punkt wäre natürlich auch mehr Präsenz der Sicherheitskräfte in sensiblen Zonen. Dort etwa, wo sich mehrere Lokale auf engem Raum befinden. Wie in der Freiheitsstraße.

Hat Meran ein Problem mit "Ausländergewalt"?
Es ist höchst problematisch, "Ausländer" mit "Gewalt", mit einem "Sicherheitsproblem" gleichzusetzen. Die Integration ist ein anderes Problem. Es ist zwar Fakt, dass gewisse Immigranten eher zu Gewalt neigen, aber es darf hier keine Kollektivisierung der Gewalt stattfinden. Es ist irreführend, wenn "Ausländer" mit "Kriminalität" gleichgesetzt werden. Es muss bodenständig und – ich wiederhole es nochmals – sachlich an die Debatte herangegangen werden. Ein krimineller Akt geht von einem Individuum aus, es ist ein Einzelner, der die Straftat begeht und nicht das Kollektiv. Also: Weg von Kollektivisierung!

Viele Jugendliche betrachten Gewalt als Kommunikationsinstrument.

Wie ist nun die Situation in Meran?
So akut ist die Lage nicht. Jedoch haben wir beobachtet, dass vor allem am Wochenende die Gewalttaten zunehmen.

Haben Sie eine Erklärung dafür?
Es sind hauptsächlich Jugendliche, die die Fäuste sprechen lassen. Viele betrachten Gewalt als Kommunikationsinstrument. Als Lehrer weiß ich, dass diese Problematik unter den Jugendlichen sehr präsent ist.

Spüren Sie im Gespräch mit den Menschen, dass Verunsicherung herrscht? Dass man sich nicht mehr auf die Straße traut, Angst hat?
Den Leuten ist sehr wohl bewusst, dass es hier nicht um Ausländer geht. Eine große Mehrheit der Bevölkerung will eine fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema und hat sich nicht von den Diskussionen auf Facebook – die übrigens jenseits jeder Logik und rechtlichen Möglichkeit geführt werden – verwirren lassen. Meran war und ist immer noch eine (welt-)offene, tolerante, inklusive Stadt. Ich habe bisher keine soziale Paranoien empfunden.

Glauben Sie, die Gemüter werden sich bald beruhigen?
Das kann ich nicht sagen, es spricht oftmals der Frust aus den Menschen. Mein Wunsch jedoch – ich kann es nicht oft genug betonen – ist eine sachliche Auseinandersetzung mit Gewalt im absoluten Sinn. Mit allen Beteiligten. Auch die sozialen Dienste wie Caritas oder der KVW sollen an Sicherhheitsgipfeln teilnehmen – die soziale und pädagogische Komponente muss in die Diskussion eingegliedert werden. Unter Berücksichtigung aller Aspekte von Gewalt – auch die häusliche Gewalt, die allzu oft verschwiegen wird.

Gewalt wird instrumentalisiert. Und das ist schlimm, gefährlich und nicht zielführend.

Welche Aufgabe hat die Politik dabei?
Die Politik darf die Kollektivisierung von Gewalt nicht bestätigen. Sie darf die zur Zeit vorherrschenden Emotionen nicht missbrauchen, um politischen Humus zu gewinnen. Wenn echte Lösungen gefunden werden sollen, muss mit Weitblick gehandelt und geschaut werden, wo die Ursachen für Gewalt zu finden sind.