Umwelt | Gastbeitrag

Vom Wald langt der Rand

„Der Wald ist keine touristische Kategorie; kein Tourist kommt wegen dem Wald nach Südtirol". Florian Kronbichler über diesen Satz bei den Toblacher Gesprächen.
Wald
Foto: Othmar Seehauser
Die diesjährigen Toblacher Gespräche, die 30sten ihrer Art und somit eine Jubiläumsausgabe, fanden letzte Woche statt und waren dem Wald gewidmet. Ihr Titel war: „Was wissen die Bäume?“ Dazu erklärend: „Herrlichkeit und Drangsal der Wälder“, auf Italienisch noch lyrischer: „Incanto e tormento delle foreste“. Thema und Titel sind zwar fast sträflich wortgleich den Wald-und-Bäume-Bestsellern des deutschen Försters Peter Wohlleben nachempfunden, aber macht nichts, - der Wald ist in dieser unserer Klimakrisenzeit privat wie politisch zum Spitzenthema aufgerückt, und außerdem ist den Machern der Toblacher Gespräche zuzutrauen, dass sie auch von alleine auf den Titel gekommen wären. Schöne, ja prophetische Texte sind eine Spezialität der Toblacher schon seit und dank Gründervater Hans Glauber.
Und dann doch dieser Sager zu Anfang. Er ist gefallen in der Auftakt-Podiumsdiskussion am Freitag, dem sogenannten Südtiroltag, und verbrochen hat ihn Alois Kronbichler, Tourismusberater und viel beauftragter „Leitbild“-Autor von Südtiroler Gemeinden. Dass er außerdem ein Vetter von mir ist, dafür kann er nicht, macht für mich seine Einschätzung aber zusätzlich betrüblich. „Der Wald ist keine touristische Kategorie, kein Tourist kommt wegen dem Wald nach Südtirol“? Bei allem Edlen, Hilfreichen und Guten, das in Toblach bis Sonntag noch gesprochen wurde, dieser eine Satz wird den „Gesprächen 2019“ als Belastung erhalten bleiben.
 
Denn wenn der Fachmann für Tourismus und Gemeinde-Leitbilder zu solcher Einschätzung kommt, was muss der Laie dann daraus schließen? Etwa, dass der Tourist auch ohne Wald nach Südtirol käme? Vetter Lois würde seine Aussage natürlich sofort erklären. So sei das nicht gemeint. Glaube ich sofort. Der Lois ist ja nicht blöd. Trotzdem, der Sager ist unverteidigbar, auch von dem, der ihn tut. Natürlich ist der Tourismusfachmann ein Freund des Waldes, sind wir alle, und natürlich anerkennt er dessen Wert fürs Image und also den Werbewert fürs Land. Aber wie immer mit Nicht-so-Gemeintem, je mehr es erklärt wird, desto fester sitzt es. Der Touristiker, der meint es so.  Der Wald ist keine touristische Kategorie. Gemeint: Er ist touristisch nicht erschließbar, nicht ausbeutbar, also ist er nicht. Du kannst ihn nicht verkaufen. So wie frische Luft. Wie unser Wasser, das aus Sicht so vieler „wirtschaftlich denkender Menschen“ – und das sind Touristiker ja – nur „verschwendet“ ist, wenn es nur den Bach hinunterrinnt und auf seinem Weg zum Meer nicht Kraftwerke antreibt, Beregnungsanlagen und Schikanonen speist oder in Flaschen zu Mineralwasser abgefüllt wird.
Der Wald muss sich Gleiches vorhalten lassen. Er steht nur so da – und bringt nichts. Offenbar, weil er gratis ist. Kein Eintritt für ihn abkassiert wird.
Der Wald muss sich Gleiches vorhalten lassen. Er steht nur so da – und bringt nichts. Offenbar, weil er gratis ist. Kein Eintritt für ihn abkassiert wird. Den Bauern als „Sparkasse“ dient er auch nicht mehr, besonders nicht mehr seit die Windwurfkatastrophe vom letzten Herbst die Holzpreise verdorben hat. Allenfalls dient er als Unterlage für Schipisten, Rodelbahnen, Mountainbike-Wege. Dem Touristen begegne der Wald sogar furchterregend. Der Berater erinnert ans Rotkäppchen-Trauma:  Böser Wolf im finstern Wald frisst Rotkäppchen und Großmutter. Ganz so finster sieht Vetter Lois den Wald dann auch wieder nicht, er rettet an ihm den „Waldrand“. Dieser schon, aber auch nur der Waldrand werde von den Touristen geschätzt und stelle somit sehr wohl eine touristische Kategorie dar.  
 
 
Der Waldrand also. Der mindestens. Wer unser Land nur einigermaßen kennt, wird solcher Erkenntnis nicht widersprechen. Hotels und Tourismusstrukturen generell – da ist dem Berater Recht zu geben – siedeln gern am Waldesrand. Waldrand ist reichlich vorhanden und ist im Notfall vervielfachbar. Denn muss ein Hotel in den Wald direkt gesetzt werden – und solches kommt vor – dann schafft es dadurch, allein durch sein Dasein, schon wieder Waldrand. Man braucht rund um Toblach (und Toblach ist nur ein Beispiel) die Augen nur ein bisschen offen zu haben und wird sehen: Wie viel Waldrand, also wie viel touristische Kategorie, ist doch in die Hänge gezeichnet, äh, geschnitten! Und wie sich die Ränder von Jahr zu Jahr vermehren! „Waldlichtungen“ ist ein noch schöneres Wort dafür. 
 
Hotels auf Waldlichtungen als Fortsetzung von Kulturlandschaft mit anderen, zeitgenössischen Mitteln. Und als Vorbeugung gegen die „Verdunkelungsgefahr“, ein Gespenst, das bei der gleichen Podiumsdiskussion Forstinspektor Pörnbacher an die Wand gemalt hat. Mit „Verdunkelung“ (eigentlich ein Begriff aus dem Strafrecht) meinte er, es bestehe Gefahr, dass durch Nicht-Bewirtschaftung von Almen und neuerdings die Klimaerwärmung Südtirols Landschaft sich verdunkele, was nicht im Sinne der Verwertung unserer Kulturlandschaft wäre. Der Forstinspektor bewies mit seiner Aussage, dass er noch nicht angekränkelt ist von der allgemein um sich greifenden Erkenntnis, wonach mehr Wald der beste Schutz gegen die CO2-Pest ist. Aber auch der Forstwirt muss die „Verdunkelungsgefahr“, so wie der Touristiker die Waldscheue, „nicht so gemeint“ haben.
Doppelzüngiges Toblach! Am Samstag, dem Haupttag der Toblacher Gespräche, die seit 30 Jahren das Hochamt des Umweltschutzes sind, startete am Tagungsort „Kulturzentrum Grand Hotel“ ein Oldtimer-Autokorso.
Doppelzüngiges Toblach! Am Samstag, dem Haupttag der Toblacher Gespräche, die seit 30 Jahren das Hochamt des Umweltschutzes sind, startete am Tagungsort „Kulturzentrum Grand Hotel“ ein Oldtimer-Autokorso. Das zeitliche und örtliche Zusammentreffen zweier doch einander eher widersprechender Events muss den Veranstaltern bewusst geworden sein. Aber absagen oder verschieben? Sie verlegten den Start vom Park vor dem Grandhotel auf den Parkplatz dahinter. Und rrumm, rrumm, auf ging’s – durch die Wälder!
 
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Hartmuth Staffler Di., 01.10.2019 - 19:55

Ich glaube, dass dieser Herr Alois Kronbichler, Vetter des Florian, wofür er aber nichts kann, mit seiner Aussage vollkommen Recht hat. Kein Mensch kommt wegen dem Wald nach Südtirol. Da die meisten deutschen Touristen die deutsche Grammatik beherrschen, kommen sie wegen des Waldes nach Südtirol, und das wohl in größerer Anzahl.

Di., 01.10.2019 - 19:55 Permalink
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Christoph Moar Di., 01.10.2019 - 20:33

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Mehr als "die meisten deutschen Touristen" sind es wahrscheinlicher "bestimmte Klassen von Touristen", die richtig den Genitiv anzuwenden wissen.
Umgangssprachlich, und besonders in bestimmten Altersstufen, ist der Dativ da durchaus im Spiel.

Das weiß auch der Duden, und vermerkt das nicht mehr als Fehler...

O tempora, o mores :)

https://www.duden.de/rechtschreibung/wegen_infolge_bezueglich

Di., 01.10.2019 - 20:33 Permalink
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Michl T. Mi., 02.10.2019 - 11:15

Der Wald rettet uns buchstäblich den Arsch. Wer im Wald keinen Zweck oder Wert sieht, ist schlicht ignorant und hat in der Schule nicht aufgepasst. Ohne Wald gäbe es weder Touristen, die nach Südtirol kommen könnten, noch Gastwirte, die sie bewirten könnten. Hier der Grund:
1. Unter ausreichender Sauerstoffzufuhr entsteht CO2 sowohl bei der Verbrennung kohlenstoffhaltiger Substanzen als auch im Organismus von Lebewesen als Produkt der Zellatmung. Da fast alles, was wir verbrennen, Kohlenstoff enthält, produzieren wir durch Verbrennung sehr viel vom Treibhausgas CO2 (bei zu viel Treibhauseffekt wirds ungemütlich hier auf der Erde!)
2. Pflanzen (WALD!), Algen sowie manche Bakterien wandeln CO2 durch Fixierung (Kohlenstoffdioxid-Assimilation) in Biomasse um (CO2 Speicherung). Mithilfe von Lichtenergie, Kohlendioxid (CO2) und Wasser werden bei der Photosynthese Kohlenhydrate und Sauerstoff produziert (den Sauerstoff brauchen wir Menschen wieder zur Verbrennung, siehe Punkt 1).

Mi., 02.10.2019 - 11:15 Permalink