Politik | Countdown

"Schauen wir nach Deutschland"

Die in Wien tätige Wirtschaftsjournalistin Esther Mitterstieler plädiert für das Ende eines "schwachsinnigen Zweikammersystems" - und somit ein klares Ja am Sonntag.
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Foto: Esther Mitterstieler

Das Ja ist die klar bessere Wahl. Warum? 65 Nachkriegsregierungen beweisen den Schwachsinn eines gleichberechtigten Zweikammersystems, das Italien seit Jahrzehnten blockiert. Das Land braucht nicht nur den Aufbruch, es droht in der Pleite zu versinken, und das meine ich ernst. Eine Staatsschuldenlast von mehr als 130 Prozent der Wirtschaftsleistung, dazu eine de facto Rezession seit mehreren Jahren, eine immens hohe Arbeitslosigkeit besonders unter den jungen Menschen.  

"Es ist en vogue im Europa dieser Tage: schimpfen gegen die böse Regierung, schreien gegen die da oben - und leider sich instrumentalisieren lassen von Heilversprechern, die bei näherer Betrachtung das Gegenteil bringen."

Populisten wie Beppe Grillo heizen die Stimmung derart auf, dass sich die Leute mit seinen falschen Versprechen gerne im Chor jener sehen, die Matteo Renzis Regierung schlecht machen. Es ist en vogue im Europa dieser Tage: schimpfen gegen die böse Regierung, schreien gegen die da oben - und leider sich instrumentalisieren lassen von Heilversprechern, die bei näherer Betrachtung das Gegenteil bringen. Schauen Sie nach Rom. Chaos pur. Deshalb braucht das Land eine klare Linie, und dafür steht das Ja. Ich bin mir bewusst, dass die Änderung dem Regierungschef mehr Macht verschafft, schauen wir nach Deutschland, das hat dem Land nicht geschadet. Die ökonomischen Daten sind ein Beweis dafür.

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Mensch Ärgerdi… Do., 01.12.2016 - 11:46

Jetzt trägt die Verfassung sogar Schuld an den Staatsschulden und daran, dass italienische Parlamentarier die Parteien wechseln wie die Unterhosen. Aber ein deutsches Modell würde ich auch bevorzugen, nur Schade dass Deutschland ein Bundesstaat ist, also genau das Gegenteil der Reform die hier angepriesen wird!

Do., 01.12.2016 - 11:46 Permalink
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Lorenz Brugger Do., 01.12.2016 - 12:15

Ich erlaube mir eine kleine Ergänzung:
In Deutschland gibt es wie allerseits bekannt, den Bundestag und den Bundesrat. Der Senat in Italien würde nach der Verfassungsreform ähnlich aufgebaut werden wie der Bundesrat, der auch in Deutschland nicht gewählt wird sondern aus den Vertretern der Bundesländer besteht (die Länder entscheiden eigenständig wer das ist): Insgesamt gibt es 69 Mitglieder, je nach Bevölkerungszahl der Länder aufgeteilt. Im Bundesrat sitzen die Ministerpräsidenten der Länder, aber z.B. auch Bürgermeister. Der Bundesrat kann selbst Gesetzesvorschläge machen, ihm müssen Gesetzesvorschläge aus dem Bundestag vorgelegt werden und er muss bei einigen Gesetzen seine Zustimmung geben. In Deutschland gibt es die sogenannten Zustimmungsgesetze, die der Bundesrat zustimmen muss, ansonsten gibt es kein neues Gesetz. Das betrifft Verfassungsänderungen, Finanzen der Länder und einige Gesetze zur Verwaltung der Länder. Alle anderen Gesetze werden Einspruchgesetze genannt, die der Bundestag auch ohne Bunderat beschließen kann. Der Bunderat kann Einspruch erheben, den der Bundestag aber überstimmen kann.

Vergleicht man nun neuen Senat mit Bundesrat, so wird klar: sie sind sich sehr ähnlich. Nur was die Frage der Finanzen angeht, hat die Kammer den Vorrang, was in Italien aber durchaus nachvollziehbar ist. Die Angst vieler, dass durch das Ungleichgewicht die Demokratie zu Schaden kommt und Autokraten leichter die ganze Macht an sich reißen können, ist so gesehen schlicht aus der Luft gegriffen, wenn man sich anschaut, wie demokratisch Deutschland nach der Nazizeit geworden ist.

Do., 01.12.2016 - 12:15 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Do., 01.12.2016 - 13:04

Antwort auf von Lorenz Brugger

Ein äußerst hinkender Vergleich, ist doch Deutschland ein Bundesstaat mit Bundesländern dessen Kompetenzen die der italienischen Regionen um einiges überschreiten. In so einen Fall kann es durchaus Sinn machen den Bundesrat so aufzubauen wie er in Deutschland aufgebaut wird, also ist die Befürchtung eines Ungleichgewichtes sehr wohl gegeben. Ich bin gerne für einen italienischen Bundesrat aber erst wenn Italien ein Bundesstaat wird, sonst ist der Vergleich einfach für die Katz.

Do., 01.12.2016 - 13:04 Permalink
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Lorenz Brugger Do., 01.12.2016 - 14:36

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Es ist völlig unerheblich, ob Bundesstaat oder Zentralstaat, es geht allein darum, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Kammern im Parlament nicht automatisch zu dieser gefürchteten Diktatur führt. In einem Bundesstaat wie Deutschland können einzelne oder alle Länder auch nicht verhindern, dass ein Gesetz erlassen wird (außer über den Bundesrat!) oder dass ein Parlament abgesetzt bzw. eingesetzt wird oder dass ein Autokrat/Populist oder wer auch immer an die Macht kommt...

Und auch wenn Sie es gerne hätten, die Bundesländer in Deutschland können auch nicht einfach tun und lassen, was sie wollen. Sie können nur in bestimmten Gebieten abweichende Gesetze erlassen (so wie Südtirol z.B.). In den allermeisten Fällen müssen auch sie sich an die Gesetze des Bundes halten, wenn dieser ein Gesetz erlassen hat. siehe dazu: https://www.brandeins.de/archiv/2006/ortsbestimmung/was-machen-eigentli…
Ihre Kompetenzen sind bereits durch Regelungen im Bund ziemlich eingeschränkt...

Nebenbei: Italien ist kein echter Zentralstaat, sondern ein dezentraler Einheitsstaat, in welchem die Regionen tatsächlich über einige Kompetenzen verfügen. So wie Frankreich, a propo: Frankreich ist ein Zentralstaat mit einem semipräsidentiellen Regierungssystem und einem Staatspräsidenten, der ziemlich viel Macht auf sich vereint, also all das was man in Italien als Vorzeichen für eine Diktatur hernimmt... und wie lange gibt es in Frankreich nun schon eine funktionierende Demokratie? Und was ist mit Großbritannien, wo ein Zentralstaat mit dem oft als Paradebeispiel bezeichneten parlamentarischen Regierungssystem und einer ähnlichen Ungleichheit in den Kammern einwandfrei funktioniert? Sorry... aber nach den Überlegungen mancher hier, müsste halb Europa schon längst wieder autokratisch beherrscht sein, was nicht einmal ansatzweise so ist.

Do., 01.12.2016 - 14:36 Permalink
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Mensch Ärgerdi… Do., 01.12.2016 - 18:07

Antwort auf von Lorenz Brugger

Erstens hat keiner behauptet es würde "automatisch" zu einer Diktatur führen; zweitens hat genau so wenig wer behauptet die Regionen können heute mit der jetzigen Reform Staatsgesetze verhindern; drittens habe ich nie behauptet die Bundesländer könnten in Deutschland tun und lassen was sie wollen. Wer lesen kann ist klar im Vorteil. Ich behaupte, dass ein Bundesstaat eine andere Ausgangslage für eine hohe Kammer abgibt als ein zentralistischer Staat, ok? Die Kompetenzen der Bundesländer sind weit aus größer als die der Regionen heute, und noch viel größer als die der Regionen morgen sollte (Gott bewahre!) das ja gewinnen. Das ergibt wohl als logische Schlussfolgerung, dass die Länder viel weniger Interesse daran haben bei gewissen Materien mit zu entscheiden, weil sie das bereits schon selbst tun. Somit wird Macht eben mehr aufgeteilt anstatt sie nur in den Händen der Partei zu überlassen die in Rom das sagen hat, oder etwa nicht?
So, summiert man nun diesen Aspekt die vielen anderen machtkonzetrierenden Elemente ( Wahl des Staatspräsidenten, Wahl der Verfassungsrichter, Vormachtsklausel, usw.) ist es unbestreitbar, dass es eine strake Unausgewogenheit zu Stande kommen würde.
Wenn man dann der Meinung ist, ein solches System sei für Italien angebracht weil es anderswo (Stichwort Frankreich) funktioniert, bitte! Aber bitte nicht das offensichtliche verneinen, das bringt die Diskussion keinen Schritt weiter.

Do., 01.12.2016 - 18:07 Permalink
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Lorenz Brugger Fr., 02.12.2016 - 10:22

Antwort auf von Mensch Ärgerdi…

Ich verneine doch gar nicht, dass es ein Ungleichgewicht geben wird... Ich schaue mir nur Europa und die Welt an, sehe, dass es anderswo seit Jahrzehnten eben so praktiziert wird (Frankreich, Großbritannien, USA, Schweiz, Deutschland, Spanien, alles lupenreine Demokratien!) und denke, ja es könnte auch in Italien funktionieren. Und das ist der springende Punkt.

Naja, das mit dem lesen geb ich gern zurück: ich habe das in meinem ersten Kommentar hier geschrieben, und damit muss ich auch giorgias widersprechen, mehrere Aussagen und Artikel gelesen und gehört, die eine zu extreme Machtfülle der Abgeordnetenkammer befürchten und es deswegen die Angt davor, dass man es Autokraten leicht macht, die Macht an sich zu reißen. Sie wollen die gleichberechtigten Kammern von daher unbedingt beibehalten... das Problem dabei: wenn das nicht jetzt geändert wird, dann warten wir wieder 30 Jahre bis der Senat sich erstaunlicherweise selbst abwählt. Alleine deswegen ist ein Ja wichtig. Die Verfassung muss sicher in einigen Punkten in Zukunft angepasst werden (wurde sie ja auch schon in Vergangenheit) und das kann nach wie vor nur mit dem Senat passieren.

Ihr Argument: in einem Bundesstaat kann es Sinn machen, eine Ungleichheit der Kammern zu praktizieren. warum? ich impliziere hier, dass die Länder eine gewisse Macht haben, die Regierung und die Verfassung zu beeinflussen, sonst würde das ja irgendwo keinen Sinn machen. soweit richtig? Ich meine, wenn die Länder ihr eigenes Süppchen kochen, schön und gut, aber was interessiert es die Bundespolitik? Von daher der Bundesrat, damit die Länder eine Stimme im Bund haben und mitgestalten. Die Kompetenzen, von denen sie sprechen, können Länder nur selber bestimmen, sofern der Bund nicht bereits Gesetze erlassen hat, was in Deutschland eben bereits in so ziemlich allen Bereichen passiert ist. Das bedeutet, die Länder haben sehr wohl das Interesse an allen Materien! Zur Information (bitte lesen ;) : https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/gesetzgebung_neu/gesetzgebu…
Diese Kompetenzen beziehen sich maßgeblich auf Anpassungen der Bundesgesetze in dem jeweiligen Bundesland und die Selbstorganisation von bestimmten Verwaltungseinheiten wie z.B. Polizei oder auch Schule. Die von Ihnen angesprochene Machtverteilung ist nicht maßgeblich durch das Konzept Bundesstaat geregelt sondern durch Verfassungsgericht, Parlament und Staatspräsident. Die Länder sind regional begrenzt und über die Bundespolitik stark eingeschränkt. Ich befürworte ein föderalistisches System, weil es den Regionen mehr Spielraum gibt. Doch in Italien hat diese Föderalisierung zu nichts geführt, im Gegenteil. und deshalb möchte man es wieder ändern in etwas, das es bereits vor der Reform 2006 gab. Das ist nachvollziehbar... So und deswegen auch der Vergleich zu anderen Einheitsstaaten mit schwachen Regionen, die ebenfalls ein Ungleichgweicht in ihrem Parlament haben und trotzdem funktionieren.

Ich glaube einfach, nicht jeder Staat ist für einen Bundesstaat geeignet bzw. hat er die Voraussetzungen dafür. Und Italien mit einer massiven Korruption, einer extremen Ungleichheit zwischen Nord und Süd und einem erheblichen Problem mit organisierter Kriminalität dazu Schwarzgeld und Steuerhinterziehung in hohem Maße, wird als Bundesstaat schlecht funktionieren, vor allem wenn es um Geld geht, was man auch gesehen hat.

Fr., 02.12.2016 - 10:22 Permalink
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Profil für Benutzer gorgias
gorgias Do., 01.12.2016 - 17:26

Bei diesem Referendum gibt es gute Gründe dafür als auch dagegen zu stimmen. Schade dass in dieser Reihe alle nur die Gründe aufzählen die für ihr Plädoyer sprechen aber nicht wirklich die Gründe nennen die gegen ihre Option sprechen um sie zu entkräften.

Übrigens ist keiner für die Beibehaltung eines perfekten Zweikammernsystem. Somit ist dieser Beitrag im Grunde überflüssig.

Do., 01.12.2016 - 17:26 Permalink
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Profil für Benutzer F. T.
F. T. Do., 01.12.2016 - 19:38

Ich muss nur lächeln wenn ich sehe mit welchem Eifer Leute, die sowieso sich lieber heute als morgen an ihren geliebten
Operettenstaat anschliessen möchten, die derzeitige italienische Verfassung verteidigen,und dann noch ihre abstrusen Ratschläge verteilen möchten wie man Italien reformieren soll.Ich glaube wir sollten alle auf Fachleute hören und nicht auf
selbsternannte Verfassungsexperten. Die magere Figur die der gute Köllensberger bei der TV Diskussion mit Senator Zeller
abgegeben hat, ist Beweis genug. Es reicht eben nicht sich die Parolen von seinem GauklerChef vorschreiben zu lassen.
Schade,der Köllensberger könnte in einer mehr demokratischen Partei sich sicher einbringen. So landet er, dank seiner
Chefs, am Abstellgleis.
geschoben.

Do., 01.12.2016 - 19:38 Permalink
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Profil für Benutzer Waltraud Astner
Waltraud Astner Fr., 02.12.2016 - 12:13

@F.T.
Für die Zugehörigkeit zu einem funktionierenden Staat, der nicht ständig Probleme hat und selber schafft, kann man schon mal einen etwas eigenwilligen Musikgeschmack hinnehmen. :-)

Fr., 02.12.2016 - 12:13 Permalink