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Wie wird der Post-Corona-Tourismus?

Um ein Reset in Richtung Resilienz und Nachhaltigkeit zu begleiten, braucht es noch einen Gang mehr, finden die Tourismusforscher Thomas Bausch und Harald Pechlaner.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Tourism - Pollution
Foto: Mark de Jong on Unsplash

In Zeiten von Covid-19 sind auch in der Tourismusforschung fiebrige Aktivitäten zu beobachten. Um ein Reset in Richtung Resilienz und Nachhaltigkeit zu begleiten, braucht es aber noch einen Gang mehr, finden Thomas Bausch vom Kompetenzzentrum Tourismus und Mobilität der unibz und Harald Pechlaner vom Center for Advanced Studies von Eurac Research.

Academia: Herr Prof. Pechlaner, Herr Prof. Bausch, Sie beide beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Tourismus. Haben Sie schon einmal eine Situation erlebt, die mit jener seit Ausbruch der Pandemie vergleichbar ist?

Thomas Bausch: Natürlich gab es vielfältige Krisensituationen im Tourismus, ob aus terroristischen, gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Gründen. Allerdings waren diese meist räumlich begrenzt. Darüber hinaus trifft diese Krise eine Branche, die sich in ihrem Geschäftsmodell auf ein stetiges Wachstum ausgerichtet hat. Insofern ist die aktuelle Situation schon sehr einmalig.

Harald Pechlacher: Das Dramatische an der Situation ist definitiv die globale Dimension. Grenzen wurden geschlossen, durch die fehlende Mobilität sind Wertschöpfungsketten zusammengebrochen, ein Auslandstourismus wurde vielfach unmöglich gemacht. Gerade die damit verbundene Unsicherheit und Angst werfen die Frage auf: Wird es wieder ein Zurück zu einem normalen Reisen geben?  

Bausch: Dahinter steckt aber auch die Frage, ob die Art, wie wir bisher mit dem Thema Reisen umgegangen sind, als Normalität zu bezeichnen ist. Auf der einen Seite formuliert man im Pariser Abkommen Ziele für den Klimaschutz, schließt Biodiversitätsabkommen und sieht, dass unser Globus in vielerlei Hinsicht mit diesem Wachstumsansatz überfordert ist. Doch gleichzeitig strebt nun jeder wieder zurück zu dem, wie es war. Könnte diese Krise also nicht auch ein Anlass sein, sich zu überlegen, was eigentlich normal wäre? Wie sieht ein nachhaltiger Ansatz für Reisen und Tourismus aus, von dem wir ja meilenweit entfernt sind.

Sie haben in einem Paper von einem Tsunami gesprochen, der zur Zeit in der Tourismusforschung rund um das Thema Covid-19 tobt. Geht es in dieser Forschungsoffensive auch um einen solchen Reset der Tourismusindustrie?

Bausch: Wir sehen eben eher, dass überall Mikro-Forschungsprojekte entstehen. Angewandte und empirische Begleitforschung, mit der Branchenpartnern wie Seilbahnen, Airlines oder Reiseveranstaltern solide Daten und Entscheidungsgrundlagen geliefert werden. Auch wir als Kompetenzzentrum machen gerade eine Feldstudie für verschiedene lokale Bergbahnen. Damit kann sich die Wissenschaft durchaus verdient machen. Doch ob solche Arbeiten auch wissenschaftlich wertvoll sind, ist eine andere Frage. Statt für jeden Ort ein Recovery Strategy Paper zu machen, wäre in der Forschung jetzt geboten, auf eine Meta-Ebene zu gehen. Also zu fragen, wie eine Transformation der Tourismusbranche hin zu einem langfristig tragfähigen und eben auch weniger krisenanfälligen System aussehen könnte. Dazu gibt es bislang wenige Initiativen, das kann ein Einzelner auch fast nicht leisten, weil man global denken muss.

Sehen Sie das ähnlich, Herr Pechlaner?

Pechlaner: Bei Eurac Research sind wir traditionell in der angewandten Forschung aktiv, und empfinden diese auch als sehr wertvoll, weil sie stärker auf eine Lösungsfindung fokussiert. Wir haben zu den Auswirkungen von Covid-19 mit dem WIFO der Handelskammer Bozen im April eine Studie zu Südtirols Unternehmen gemacht, die den heimischen KMU vor allem wegen ihrer familienbetrieblichen Struktur ein recht gutes Zeugnis in Sachen Resilienz ausstellt. Und gemeinsam mit der Welttourismusorganisation sind wir bereits seit zwei Jahren dabei, ein Monitoringsystem für nachhaltigen Tourismus aufzubauen. In diesem Rahmen haben wir im Sommer eine Erhebung unter Südtiroler Tourismusbetrieben und Gästen gemacht, um Anpassungsstrategien in Folge der Pandemie abschätzen zu können und zu erkennen, wo die größten Probleme liegen. Dazu wird aber auch noch eine Befragung der Bevölkerung kommen.

 

Warum?

Pechlaner: Wie wir auch aus den Diskussionen mit der Welttourismusorganisation wissen, sind die Ressentiments und Vorbehalte gegenüber dem Tourismus in der Bevölkerung infolge von Covid-19 noch mehr geworden. Deshalb wollen wir auch in Südtirol stärker beobachten, wie es um die gesellschaftliche Verankerung dieser Branche bestellt ist und immer breitere Gesellschaftsschichten bei der Weiterentwicklung des Tourismus mitzunehmen. Es gab hierzulande ja bereits vor Corona eine Overtourism-Diskussion. Da gilt es dran zu bleiben, um den Verantwortungsträgern in Politik und Wirtschaft Befunde an die Hand geben zu können.

Herr Bausch, Sie haben das Wachstumsmodell angesprochen, auf dem nicht nur Südtirols Tourismussektor basiert. Gilt es dieses Modell umzubauen?  

Bausch: Hier müssen wir qualitatives von quantitativem Wachstum unterscheiden, auf das beispielsweise die Airline-Branche ausgerichtet war. Südtirols Tourismusbranche wuchs in den vergangenen 15 Jahren um rund 10%; im selben Zeitraum verzeichnete man bei den Airlines eine Verdoppelung, bei den Kreuzfahrten sogar eine Verdreifachung. Diese bewusste Beschränkung, kein quantitatives Wachstum mehr zu wollen, ist schon einmal ein wichtiger Ansatz. Auch qualitativ geht es nicht darum, dass jetzt jedes 3-Sterne Haus in Richtung 5 Sterne streben muss. Ein zentrales Thema muss hier der Best-of-Class-Ansatz sein: Also innerhalb der eigenen Zielgruppe die Gästewünsche bestmöglich zu erfüllen, und gleichzeitig eine hohe betriebliche und regionale Wertschöpfung zu erzielen.

Welche Hilfestellung kann die Forschung leisten, um möglichst viele Klassenbeste, aber auch keinen Overtourism zu haben?

Bausch: Sie sollte neue Instrumente und Modelle entwickeln, die auch über lokale Problemstellungen hinausgehen. Ein Beispiel ist das Thema Besucherlenkung.  Hier fehlen heute noch gute mathematisch-statische Modelle, mit denen die Flüsse der Gäste beschrieben und gelenkt werden können. Gleichzeitig braucht es Lösungen, um überhaupt eine Akzeptanz solcher Systeme zu erreichen. In solchen Bereichen kann die Forschung einen Mehrwert generieren, durchaus auch auf Basis von Fallstudien. Diese dürfen sich dann aber nicht in einer singulären Lösung für den Pragser Wildsee erschöpfen, sondern sollten zu universal anwendbaren Instrumenten führen. Ich denke, diesbezüglich haben wir auch als öffentlich finanzierte Forschungsinstitute eine gesellschaftliche Verpflichtung, mehr zu machen. Und gerade im Bereich Tourismusforschung sollten wir noch stärker aus unseren disziplinären Elfenbeintürmen herauskommen. Wir haben nun zum Beispiel im Rahmen des italienischen Fördertopfes zur Covid-Forschung ein gemeinsames Projekt mit dem Institut für Mathematik und Statistik der Universität Bologna eingereicht.

Pechlaner: Interessanterweise bringen sich jetzt plötzlich Informatiker und Experten für Künstliche Intelligenz maßgeblich in die Tourismusforschung ein. Ich denke, die Krise zeigt uns wirklich klar auf, dass wir mehr Multi- und Interdisziplinarität brauchen. Bei Eurac Research haben wir da schon einige Übung. Das von mir mitgeleitete Center for Advanced Studies trägt diesem Anspruch sogar explizit Rechnung. Interdisziplinarität ist aber auch ein mühevolles Geschäft und ziemlich aufwändig. Doch die Mühen sind es wert und mit rein disziplinären Zugängen waren wir bisher ganz offensichtlich nicht imstande, die großen Fragen der Welt zu lösen.

Kann auch die Digitalisierung ein Vehikel für einen touristischen Reset sein?

Pechlaner: Sie kann in jedem Fall bestehende Prozesse optimieren, aber auch Wertschöpfungsketten radikal verändern. Die Digitalisierung wird sich massiv in vielen Bereichen niederschlagen – von Buchungen und Verkauf über Mobilität bis hin zu den Erlebnissen selbst, Stichwort Experience Design. Die klassische Welt der Reiseveranstalter und Reisebüros, ist beispielsweise gerade dabei, sich komplett zu verändern. Denn Kunden buchen zunehmend anders, definieren ihre Erlebnisse anders, ja, erleben die Destination generell anders, weil sie teilweise durch technische Möglichkeiten gelenkt werden bzw. dies auch selbst über ihr digitales Verhalten beeinflussen. Und: Es wird große Sprünge in der Produktentwicklung geben. Weil Menschen beispielsweise mehr oder weniger arbeiten können, wo sie wollen und so Hotelzimmer auch zu Büros werden.

Bausch: Dennoch können wir das Problem des Overtourism nicht durch die Digitalisierung lösen. Denn sie ändert nichts an der Frage, warum so viele Menschen ein, zwei oder mehrmals im Jahr mit einem bestimmten Profil ihrer Wünsche von A nach B wollen. Das touristische Hauptprodukt bleibt davon unberührt: 3 Quadratmeter Strand, ein Bett, eine Dusche und ein bis drei Mal pro Tag ein Essen. Das Grundproblem, dass wir auf diese Weise ein zu hohes Tourismusaufkommen haben, können wir nur über einen gesellschaftspolitischen Konsens lösen: Wie viel Tourismus wollen wir wo zulassen, wo liegt unser Maximum? Diese Frage kann die Digitalisierung nicht lösen. Sie kann uns allerdings die Steuerung und Kontrolle dieser Grenzen ermöglichen.

 

Das heißt, touristische Hotspots gibt es nur auf Vorbestellung?

Bausch: Genau. Das klappt für das Ötzi-Museum wie für jeden anderen Hotspot. Wir haben eine bestimmte Kapazität, die lasten wir aus, indem man sich vorab über elektronisches Ticketing einen Platz zu einer bestimmten Zeit sichert, und mehr gibt es nicht. Doch dafür brauchen wir einen Konsens von Politik, allen Stakeholdern und der Bevölkerung.

Herr Pechlaner, die Eurac hat mit der Studie „Zukunft Tourismus Südtirol 2030“ bereits Zukunftsvisionen für die Branche entwickelt. Hat sich daran mit Covid-19 Wesentliches geändert? 

Pechlaner:  Nein. Ich würde eher sagen, dass die Handlungsvorschläge, die wir seinerzeit gemacht haben, sehr gut in die Zeit passen, ja, dass bestimmte Themen sogar noch aktueller werden. Beispielsweise der Ansatz, dass auch bei der themenspezifischen Entwicklung von Landesteilen stärker über die Raumplanung und -ordnung Einfluss genommen werden sollte. Das wäre von mir aus der nächste fällige Schritt.

Bausch: Als ich vor einem Jahr nach Südtirol kam und Antrittsgespräche mit allen Akteuren geführt habe, habe ich öfters auf Euer Konzept verwiesen. Es war recht erstaunlich, dass sich viele sehr zurückhaltend zur Verbindlichkeit des Konzeptes äußerten, obwohl ja die meisten bei der Erarbeitung mit am Tisch saßen. Ich habe aber den Eindruck, dass die Ängste, die nun mit der Pandemie verbunden sind, zu einer Reflexion geführt haben. Denn wenn die Gefahr besteht, dass viele Betten leer bleiben, sind hohe Kapazitäten möglicherweise nicht mehr so wünschenswert. Vielleicht birgt Covid-19 tatsächlich die Chance, dass es da und dort tatsächlich zu einem ernsthaften Commitment aller Beteiligten hinsichtlich Kapazitätsbeschränkungen in Verbindung mit räumlichen Entwicklungskonzepten kommen könnte.

Pechlaner: Ich denke, in Covid-Zeiten ist noch einmal klargeworden, wie groß die gesellschaftliche und politische Bedeutung von Tourismus ist. Wenn wir dieses Momentum nutzen können, ist die Tourismusforschung eigentlich ein wunderbares Beispiel dafür, wie Multi- und Interdisziplinarität künftig aussehen kann. Wir vereinen auf unseren Konferenzen regelmäßig unterschiedlichste Disziplinen wie Geografie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Pädagogik, Informatik und vieles mehr.  Vielleicht gibt uns Covid-19 den Impuls, dies noch mehr zu tun, und tatsächlich ein Vorbild für andere Forschungszweige zu werden.