Umwelt | Ortlergebiet

Wenn die Lawine kommt

Das Amt für Lawinenverbauung wird oberhalb von Trafoi auf einem steilen Berghang Schutzdämme errichten. Die Flächen von drei Privatpersonen werden dafür zwangsbesetzt.
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Foto: Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung West
Am Fuße des Ortlers tief unten im Tal liegt die Stilfser Gemeindefraktion Trafoi. Die Ortschaft mit rund 90 Einwohner*innen befindet sich unterhalb des Großen Tartscher Kopfes und gilt als lawinengefährdet: Es ist die Steintallawine, die immer wieder die Stilfersjoch-Straße und die Gebäude im Auslaufbereich des bekannten Lawinenstrichs bedroht. Im Lawinenkataster sind drei Abgänge aus den Jahren 1977, 1980 und 2006 verzeichnet.
Die Südtiroler Agentur für Bevölkerungsschutz schätzt das Gefahren- und Schadenspotential als sehr hoch ein. Im Lawinengebiet sind bereits Stahlschneebrücken, Verwehungszäune und ein Lawinenauffangdamm errichtet worden. Allerdings bedecken sie damit nur etwas mehr als ein Drittel der rund 17 Hektar großen Fläche des Anbruchgebietes der Lawine.
 
 
Auf dem steilen Gelände entschied sich das Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung deshalb, im untersten Bereich der Sturzbahn zwei Lawinenauffangdämme zu bauen. Vergangenen März hat der Gemeindeausschuss von Stilfs dem Vorhaben zugestimmt. Mit den Dämmen sollen die Staatsstraße, das Nationalparkhaus, das Hotel Bella Vista, die Villa Thöni und die Garni Interski geschützt werden.
 

Der Widerstand

 
Daran ändert auch eine Unterschriftensammlung im Jahr 2021, die 43 der rund 90 Einwohner*innen mitgetragen haben, nichts. „Wir Trafoier sind uns sehr wohl bewusst, in welcher Gefahr wir uns befinden, deshalb möchten wir nochmals betonen, dass wir nicht prinzipiell gegen eine Verbauung sind, sondern für eine sinnvollere, wirksame und sichere Verbauung für uns alle“, schreiben die Bürger*innen.
Sie befürchten, dass sich im Becken der Dämme Schneemassen auftürmen, bei Überlastung überlaufen und seitlich abgeleitet werden. Das bringe andere bewohnte Gebäude in Gefahr. Außerdem bleibe die Stilfserjoch-Straße weiterhin in der roten Zone, eine sichere Erreichbarkeit aller Dorfteile werde also nicht gewährleistet.
Amtsdirektor für Wildbach- und Lawinenverbauung West, Peter Egger, weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben uns für die geeigneteste und zweckmäßigste Variante entschieden. Wenn eine Gefahrensituation erkannt wird, haben wir den gesetzlichen Auftrag zu intervenieren“, erklärt Egger. Eine optimale Lösung gebe es unter dem steilen Berghang des Großen Tartscher Kopfes schlichtweg nicht.
 
 
Eine Alternative zu Lawinenschutzdämmen wäre eine Abbruchverbauung mit Schneebrücken und -netzen. Diese auf dem unwegsamen Gelände anzubringen, würde jedoch die Arbeitssicherheit der Arbeiter gefährden und viel mehr Zeit in Anspruch nehmen als der Bau der Dämme. Während die Bauzeit für Letztere nur zwei Jahre dauern wird, brauche es für die Abbruchverbauung 20 bis 30 Jahre.
Theoretisch könnte der gesamte Berg mit Lawinenzäunen versehen werden. „Das wäre allerdings sowohl aus landschaftlicher Sicht als auch wegen der Arbeitssicherheit problematisch“, so Egger. Mit der ausgewählten Maßnahme könnten alle Gebäude aus der roten Zone gebracht werden, nur einzelne von ihnen bleiben in der blauen Zone, die eine immer noch hohe, wenn auch nicht sehr hohe Gefahr bedeutet.
 

Gefahr reduziert

 
„Die Schutzdämme sind so ausgelegt, dass sie dem Lawinendruck standhalten. Damit halten sie auch Muren und Steinschlag auf. Die Gefahr kann aber nie auf null reduziert werden. Trotzdem sind die Maßnahmen ein wesentlicher Schritt zur Sicherung des Geländes“, erklärt auch Amtsdirektor für Geologie und Baustoffprüfung, Volkmar Mair.
Der Bau der Lawinenschutzdämme betrifft Baugründe der Gemeinden Mals (Fraktion Tartsch) und Stilfs, aber auch von drei Privatpersonen aus Trafoi. „Keine der drei Privatpersonen hat ihr Einverständnis gegeben, deshalb wird die Zwangsbesetzung in die Wege geleitet“, erklärt Egger.
Udo Ortler ist einer der drei Grundbesitzer. Er verliert rund 500 Quadratmeter seiner 700 Quadratmeter großen Fläche oberhalb von Trafoi. Die anderen beiden Grundbesitzer verlieren weit weniger, jeweils um die 100 Quadratmeter. „Die Lawinenschutzdämme sind sicherlich die schnellere Lösung im Vergleich zu anderen möglichen Verbauungsarten. Obwohl das Steintal seit 40 Jahren mit dem bisherigen Lawinenschutz auskommt, ist der Schutz jetzt plötzlich dringend notwendig. Das wundert gar einige Bürger*innen im Dorf“, so Ortler.
 
 
 
 
Der Grundbesitzer bemängelt, dass das Amt für Wildbach- und Lawinenverbauung die Schutzdämme als einzig mögliche Variante vorgestellt hat. Interessant sei, dass die Gemeinde Stilfs wenige Stunden nach der ersten und einzigen öffentlichen Vorstellung das Projekt in dieser Form gutgeheißen hat, wodurch die Bevölkerung keine Möglichkeit mehr hatte, sich einzubringen. Außerdem erwecke das Vorhaben, angesichts der Eile und Vehemenz in der Umsetzung, den Eindruck, dass die Unterstützung bestimmter Dorfteile im Vordergrund stehe. „Es gibt viele Stellen in Trafoi, die mehr Schutz bedürften, etwa die steinschlaggefährdete Stilfserjoch-Straße, die Absicherung des Bachbettes oder die mehreren bekannten Hangrutschungen. Als Bürger hoffe ich, dass sich die öffentliche Hand auch um diese Stellen gleichermaßen kümmert.“
Stephan Gander vom Hotel Bella Vista stimmt zu, dass es im Ortlergebiet mehrere Gefahrenstellen gibt. Umso wichtiger sei es, dass sich der Zivilschutz um diese kümmert. „Wir begrüßen, dass die Lawinenschutzdämme gebaut werden. Das ist wichtig und notwendig, denn Sicherheit ist nicht diskutierbar.“ Das ehemalige Bauprojekt des Hotels wurde vorerst zurückgezogen. Die Bauarbeiten für die Lawinenschutzdämme sollen voraussichtlich in diesem Sommer beginnen.
Der Bürgermeister der Gemeinde Stilfs, Franz Heinisch, geht davon aus, dass die Schutzmaßnahme für die Steintallawine nicht die einzige bleiben wird. „Zurzeit arbeiten wir am Gefahrenschutzplan, der so schnell wie möglich fertig werden soll. Dabei zeigt sich bereits jetzt, dass es im Gemeindegebiet rund 80 Stellen mit Lawinengefahr gibt, die noch nicht behoben wurden“, so Heinisch. Ob dort überall Schutzmaßnahmen notwendig sind, müsse von Einzelfall zu Einzelfall entschieden werden.