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Aus einem Stadel wird ein Hotel...

...und aus Profitgier noch eines daneben. Ein Archiv-Gespräch mit Maridl Innerhofer (1921-2013) anlässlich ihres 100. Geburtstags.
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Foto: Agostino Fuscaldo

Ihr Vater Franz Innerhofer wurde durch faschistische Schlägertrupps im April 1921 ermordet – wenige Wochen nach Ihrer Geburt. Hat dieses historische Ereignis Ihr Schreiben beeinflusst?

Maridl Innerhofer: Ich kann sagen, diese Geschichte hat mein ganzes Leben beeinflusst, denn mein Vater, der Lehrer Franz, hat mir ein Leben lang gefehlt. Ich musste immer für alle anderen da sein und habe selbst  immer nach jemandem gesucht, der mir Halt geben könnte. Das wäre, da bin ich mir sicher, mein Vater gewesen, denn von ihm hab ich nur Gutes gehört. 

Ich habe aber immer versucht meinen Ärger mit Ironie auszugleichen.

Konnte Ihnen Ihre Mutter diesen Halt nicht geben? 

Meine Mutter war eine sehr verbitterte Frau. 1914 hatte sie ihren ersten Mann, ebenfalls einen Lehrer, geheiratet, der 1917 im 1. Weltkrieg gefallen war. 1920 heiratete sie den Lehrer Franz Innerhofer und dieser starb zehn Monate nach der Hochzeit. So hatte ich es als Kind eigentlich am besten bei meiner Tante, hier in Marling. Diese hatte 9 Kinder und ich durfte mit diesen auf einem Bauernhof aufwachsen. 

Warum haben Sie für Deutschland optiert?

Ich wurde zwangsumgesiedelt! Das ist eine komplizierte Geschichte. In der Optionsfrage wusste meine Mutter nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Sie entschied sich aber letztendlich auszuwandern. Ich wollte nicht auswandern, ging aber mit einem Marlinger Bauern schwarz über die Brennergrenze, da ich jemanden in Innsbruck besuchen wollte. Unmittelbar nach der Grenze haben sie uns erwischt und ich wurde zwangsumgesiedelt. 

Warum haben Sie genau in diesen Jahren begonnen Dialektdichtung zu pflegen?

Ich weiß nicht, das Heimatgefühl war – in diesen schweren Zeiten – vielleicht im Dialekt noch da. Wir hatten damals Theater- und Singgruppen wo die Stücke und Lieder immer im Dialekt geschrieben waren. In Anlehnung an die vielen Volks- und Heimatlieder, habe ich begonnen Gedichte zu schreiben – über Bäche und Bäume oder über die Sennerin. 

Haben Sie diese ersten Gedichte noch?

Diese einfachen Verse gingen alle im Krieg verloren und nach dem Krieg habe ich lange Zeit überhaupt nichts mehr geschrieben, da gab es anderes zu tun. Ich bin auch nicht eine, die sich am Abend den Schmerz von der Seele schreibt, ich hatte andere Sorgen.

 

Ab wann haben Sie wieder zur Feder gegriffen?

Das muss wohl irgendwann Ende der 1960er Jahren gewesen sein, als ich wieder begonnen hab „sogenannte“ Gedichte zu schreiben. In diesen Jahren war auch die bekannte Mundartschriftstellerin Anni Kraus immer wieder bei mir, in meiner Marlinger Privatzimmervermietung zu Gast. Während des Tages ging sie spazieren und abends las sie immer den anderen Gästen vor. So etwas hätte ich mich nie getraut. Einmal kam sogar Alfred Gruber vorbei, um Frau Kraus zu besuchen. Dass auch ich bereits eigene Gedichte geschrieben hab, wussten beide nicht. Erst einige Jahre später wurde ein Buch der Schriftstellerin Margit von Elzenbaum herausgegeben. Dieses Buch war für mich der eigentliche Anreiz, erstmals an eine Buchveröffentlichung zu denken. 

Wann wurden Ihre Mundartgedichte erstmals verlegt? 

Alfred Gruber hat eher zufällig einige meiner Gedichte gesehen und gelesen. Daraufhin setzte er alles Nötige in Bewegung. Der Künstler Karl Grasser gestaltete Illustrationen und 1974 kam mein erster Gedichtband in Mundart Hennen und Nochtigolln in die Läden. Enthalten waren Gedanken, unkomplizierte Überlegungen in Mundart. Auf der Rückseite des Buches war ein Foto von mir abgedruckt, weshalb ich dann häufig von Bekannten und Freunden angesprochen wurde, die irgendwie beanstandeten, warum ich denn meine Tätigkeit als Dichterin immer verschwiegen hätte. 

Ihre Tätigkeit als Burggräfler Mundartdichterin…

… zu Beginn musste ich natürlich überlegen, wie ich die Burggräfler Mundart niederschreibe. Da habe ich mir meistens die Worte laut vorgesagt oder ich habe in meinem nähren Umfeld die Dialektworte auf ihre Richtigkeit überprüft. Manchmal hab ich auch meiner Nachbarin einen Satz auf Hochdeutsch gesagt, den sie mir dann auf Dialekt nachsagte. Sich über die Hochsprache der Burggräfler Mundart zu nähern, war schon sehr spannend. 


Als bekannteste Südtiroler Mundartdichterin wurden Sie auch zu internationalen Treffen eingeladen...

Ich hab mich sogar mit Mundartdichtern getroffen, die ihre Texte auf Plattdeutsch verfasst haben. Auch wenn ich anfangs wenig verstand, was sie sagen und schreiben, mit der Zeit gewöhnten sich meine Ohren an gewisse Ausdrucksweisen. Die Themen und Motive in den Gedichten der verschiedenen Mundarten sind ähnlich. 

Welche Themen haben Sie am meisten beschäftigt?

Bei mir kamen verstärkt die Themen Heimatschutz und Tourismus dazu, da ich gesehen hab, wie sich meine Landsleute immer mehr für den Tourismus prostituieren. Da waren viele imstande, alles für den Fremdenverkehr aufzugeben und bis heute muss ich mit ansehen, wie schwach das Selbstbewusstsein gewisser Leute ist. Aus einem Stadel wird ein Hotel und aus Profitgier noch eines daneben… Warum können die Leute, insbesondere im Tourismus, nie genug bekommen? Nach der Herbstsaison müssen sie dann alle zum Arzt oder selbst auf Kur.

Diesen Ärger mussten Sie in ihre Gedichte übertragen?

Ich schreibe mir auf, wenn ich mich über etwas freue oder wenn mich etwas besonders ärgert. Ich habe aber immer versucht meinen Ärger mit Ironie auszugleichen. Die Leute wollen es eben lustig, mein Ärger über gewisse Zustände, ist dadurch aber nicht vergangen. 

Seit 2010 zählt der Ötztaler Dialekt zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe. Was unterscheidet diesen Dialekt vom Burggräfler Dialekt? Geografisch trennt beide ja nur das Bergmassiv der Texelgruppe...

Der Burggräfler Dialekt ist viel weicher als jener des Ötztales. Es ist aber schade, dass unser Dialekt, vor allem durch den Tourismus, viel Ursprüngliches verloren hat. Früher hat man noch Zwui für Zwei gesagt, Drui für Drei sagt man ja beispielsweise heute noch. Zu Meran hat man früher Marun gesagt. Auch das hört man heute nicht mehr. Seit kurzer Zeit finden sich aber dialektale Wortwendungen wieder verstärkt auf Plakaten und in den Medien und auch viele junge Menschen schreiben ihre Kurzmitteilungen am Mobiltelefon in ihrem Dialekt. Mundart-Literatur hingegen, gibt es kaum.