Gesellschaft | Bruneck

Die Optimistin

Von einer Frau, die nicht auf die Schnauze gefallen ist und für Mensch und Natur die Krallen ausfährt.
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Christine Baumgartner
Foto: Maria Lobis

„Tun Sie“, sagte Bischof Joseph Gargitter 1980 zu ihr und zu Rudi Kiebacher. Noch im selben Jahr eröffnete Christine Baumgartner mit neun Gleichgesinnten in Brixen den ersten Weltladen des Landes. Die Diözese stellte zwei Räume zur Verfügung. Der öffentliche Diskurs über Globalisierung war noch nicht angestoßen, das Vertrauen des Südtiroler Oberhirten in die Brixner Utopisten umso überraschender. Im Mai 2004 erhielt Christine Baumgartner für ihr sozialpolitisches Engagement den Bischof-Gargitter-Preis. Den nahm sie gerne an, mit dem Verdienstkreuz des Landes Tirol Monate später wusste die Frau aus Bruneck weniger anzufangen.

Die 74-Jährige schreibt Leserbriefe und nimmt den Hörer zur Hand, wenn Initiativen und Werbekampagnen sich gegen Mensch oder Natur richten. Bei Bürgerversammlungen ergreift sie furchtlos das Wort: „Mein Hirn habe ich dabei und auf die Schnauze gefallen bin ich zum Glück nicht.“ Durch die Randlosbrille fixieren ihre Augen einen Zeitungsbericht zu André Hellers Hofgarten-Projekt in Brixen: „Muss alles in Erlebnis- und Vergnügungssparks münden?“, fragt sie und schüttelt den Kopf.

Die ausgebildete Säuglingsschwester, Psychologin und Psychotherapeutin war nicht nur Mitbegründerin des italienweit ersten Weltladens in Brixen, sondern vor 27 Jahren auch die erste Vorsitzende der Organisation für eine solidarische Welt. Maßgeblich war sie am Entstehen des Gesetzes für Entwicklungszusammenarbeit in Südtirol beteiligt. Seit 15 Jahren kämpft sie bei der Plattform pro Pustertal für die Riggertalschleife und bei der Initiative für direkte Demokratie für ein tragfähiges Südtiroler Landesgesetz zur direkten Demokratie.

Manchmal übersteigen die patriarchalen Strukturen im Land ihr Denkvermögen: „Tu, was du kannst, mit dem was du hast, dort wo du bist“, sagt sie sich dann. Toleranz und Respekt hat sie von den Eltern gelernt: Diesen wurde während des Faschismus das Sägewerk in Bozen enteignet. Sie bauten sich im Pustertal im Holzgewerbe einen neuen Betrieb auf. Das Spielen mit italienischsprachigen Kindern erlaubten sie der Tochter und den vier Söhnen ausdrücklich.

Vor 46 Jahren ging Christine Baumgartner als eine der ersten Südtiroler Laien mit dem Österreichischen Entwicklungsdienst nach Zaire, lernte Französisch, setzte sich mit Entwicklungsthemen auseinander. Die Belehrungen europäischer Besserwisser störten sie. Lieber hörte sie den Menschen in Afrika zu, war fasziniert von deren Lebensfreude und Klarheit. Die Kinderkrankenpflegerin war in ein praxisorientiertes Team eingebunden, das sich um Gesundheitsvorsorge rund um Tuberkulose, Entwurmung, sauberes Trinkwasser und Bildung kümmerte. Hauptsächlich Frauen und Kinder waren ihre Zielgruppe und bayrische Ordensschwestern mit ihr im Einsatz. Letztere versorgten die Lernwillige mit Literatur zu Soziologie, Psychologie und Pädagogik. Das Basiswissen für ihr späteres Psychologie- und Therapiestudium eignete sie sich so in Afrika an. Die Abschlussarbeit in Innsbruck widmete Christine Baumgartner Jahre später den Auswirkungen des Stillens auf die Bindung zwischen Mutter und Kind. Gestillte Kinder fremdeln früher und weniger als jene, die mit Flaschenmilch ernährt werden. Jede Mutter könne stillen, das hat sie bei den Frauen in Zaire gelernt: Das sei gut für die Seele des Kindes. Die Kampagnen von Nestlé, auch in Afrika Babynahrung zu verkaufen, bezeichnet sie als verwerflich.

Die Profitgier großer Konzerne löst Übelkeit in ihr aus: „Diese Wirtschaft tötet“, unterstreicht sie Papst Franziskus’ Aussage. So lange sie kann, will sich Christine Baumgartner einmischen. Sie zieht eine Werbekarte für „Südwind“ aus der Tasche. Vor einem Jahr stand das Wiener Magazin zu internationaler Politik, Kultur und Entwicklung vor dem finanziellen Aus. Auch Christine hat durch Abo-Werbung zu dessen Weiterbestand beigetragen. „Austeilen“, sagt sie bestimmt, hängt sich ihre Tasche um und entschwebt mit der Rittner Seilbahn nach Oberbozen. Dort darf sie bei einer Versammlung nicht fehlen. „Tun Sie“: Der Satz von Bischof Gargitter schwingt nach.

(Maria Lobis)