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Foto: Thuner Tagblatt
Gesellschaft |  La Repubblica

Das ruhmlose Ende einer Zeitung

Der Fiat-Erbe John Elkann kauft La Repubblica und 13 weitere Zeitungen – ein Erdbeben in Italiens Medienwelt.
Jahrelang zog sie mit täglicher Verve gegen das Establishment der Halbinsel zu Feld – um schliesslich selbst in dessen  Hände zu fallen. Dass John Elkann, Fiat-Spross und Enkel des legendären Gründers Gianni Agnelli, das linke Aushängeschild der italienischen Medienwelt kassiert, mag überraschend wirken – auch weil der Automobilkonzern seine zahlreichen Medienbeteiligungen in den letzten Jahren stark heruntergefahren hat. Das Tagblatt La Repubblica hatte seine besten Jahre längst hinter sich. 1976 in den anni di piombo von zwei Ausnahmefiguren wie dem Unternehmer Carlo De Benedetti und dem Journalisten Eugenio Scalfari gegründet, war sie das Sprachrohr der linken Eliten – oder jener, die sich als solche fühlten.  
Schon seit etlichen Jahren leistete sich die Zeitung freilich den sträflichen Luxus, die Gesetze des Marktes zu ignorieren. 
Scalfari galt als Institution. In seinen überlangen Sonntagskommentaren legte er sich mit allem an, was nach konservativem Mief oder klerikaler Rückständigkeit roch – von Silvio Berlusconi bis zu Matteo Salvini.
Schon seit etlichen Jahren leistete sich die Zeitung freilich den sträflichen Luxus, die Gesetze des Marktes zu ignorieren. Während Europas wichtigste Tageszeitungen wie die Süddeutsche oder Le Monde mit durchschnittlich 40 Seiten auskommen, brachte es La Repubblica häufig auf das Dreifache – mit üppigen und überflüssigen Beilagen aller Art. Alles war zu lang und zu ausgiebig: die Kommentare, die Eugenio Scalfari auch mit 95 pünktlich schrieb, glichen Dissertationen im Kleinformat.
Zu den bizarren Rekordleistungen der römischen Tageszeitung gehörten jene 23 Seiten, die sie dem siechen polnischen Papst Johannes Paul II am Tag nach seinem Tod widmete. Als der Christdemokrat Giulio Andreotti 2013 im Alter von 93 Jahren starb, füllte La Repubblica mit diesem "Ereignis" die ersten 19 Seiten.
Diese zelebrative Zähflüssigkeit war einer der Gründe für den Niedergang des Blattes. Die Zeiten, in den La Repubblica täglich ein halbe Million Exemplare verkaufte, liegen über zehn Jahre zurück. Mittlerweile ist die Auflage auf 220.000 Exemplare gesunken – unter jene des Konkurrenten Corriere della Sera. Im Vorjahr verbuchte das Blatt einen Verlust von 18 Millionen Euro. Dennoch leistete es  sich eine unsinnige Rekordzahl von 350 Redakteuren, von denen viele nun mit Entlassung rechnen müssen.
 
 
Der Chefredakteur Carlo Verdelli wurde nach nur 16 Monaten bereits gekündigt. Er war vorher Leiter der Gazzetta dello Sport – ein in anderen Ländern unvorstellbarer Wechsel. Verdelli stand nach anonymen Morddrohungen aus vermutlich rechten Gruppierungen unter Polizeischutz.
Neuer Chefredakteur ist der von der Turiner Tageszeitung La Stampa kommende Maurizio Molinari. Seine Bilanz war dort alles andere als bestechend. Seit seinem Dienstbeginn im Februar 2016 ist die Auflage von 137.000 auf 88.000 gesunken. Molinari war lange Korrespondent in Washington und gilt als Freund der USA und Israels. Ihm werden gute Beziehungen zum Geheimdienst nachgesagt.
Er wird auch Verlagschef der gesamten Zeitungsgruppe des Gedi-Verlags von John Elkann. Dazu gehört nun ein ganzes Bündel von 13 Regionalzeitungen wie das Genueser Tagblatt Il secolo XIX, das schwächelnde Nachrichtenmagazin L`Espresso, die italienische Ausgabe der Huffington Post und mehrere Radio- und Fernsehsender wie Radio Deejay.
Mit Massimo Giannini wechselt ein profilierter Journalist von Radio Capital auf den Posten des Stampa-Chefredakteurs. Ihm kann ein Relaunch des angegrauten Blattes zugetraut werden, das über Jahrzehnte zu den besten Tageszeitungen der Halbinsel gehörte. 
Den Unternehmer und Mitbegründer Carlo de Benedetti versetzte der Verkauf der Repubblica derart in Rage, dass er versucht haben soll, die Zeitung zurückzukaufen. Daran wurde der 85-jährige von seinen Söhnen gehindert.
Direkt unter dem Zeitungstitel sind nun zwei Namen zu lesen: Fondatore Eugenio Scalfari, Direttore Maurizio Molinari. Zwei total gegensätzliche Welten, die nicht zusammenpassen. Und in denen der 96-jährige Gründer allemal mehr Vitalität ausstrahlt als sein farbloser Nachfolger. Zur Dämpfung seiner Verbitterung gestanden ihm die neuen Besitzer das Recht zu, seine Sonntagskolume weiterzuführen. Für die beansprucht er wie gewohnt
eine ganze Seite.
Die Revolution von oben aber schlägt sich nicht nur auf die Blattlinie nieder, sondern in nicht zu übersehender Deutlichkeit auch auf deren Umfang: La Repubblica begnügt sich jetzt sogar in der Wochenend-Ausgabe mit bescheidenen 40 Seiten. 
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Karl Trojer So., 03.05.2020 - 15:55

diese konzentration von medienmacht ist erschreckend; es bleibt zu hoffen, dass relativ freie tageszeitungen wie der corriere della sera an auflage zugewinnen und durchhalten...

So., 03.05.2020 - 15:55 Permalink
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Gerhard Mumelter Mo., 04.05.2020 - 06:03

Antwort auf von Leo Reinisch

Von Liberalität war in meinem Beitrag nie die Rede. Der Corriere hatte am letzten Wochenende 48 Seiten, Repubblica brachte es bisher stets auf mehr als das Doppelte. Und vor allem muss der Corriere nicht für eine Zeitung 350 Journalisten bezahlen. Ein Selbstmordkommando mit absehbarem Ende. In meinem Beitrag geht es nicht um Qualität, sondern um Grössenwahn. Die Qualität lässt bei allen italienischen Zeitungen zu wünschen übrig. Eine Süddeutsche gibt es auf der Halbinsel leider nicht.

Mo., 04.05.2020 - 06:03 Permalink