Gesellschaft | Alexander Langer

Erinnerung an einen Zerbrechlichen

Zum 25. Todestag von Alexander Langer bringt Salto.bz einen Film von Christoph Franceschini und Helmut Lechthaler. Ein Dokument Südtiroler Zeitgeschichte.
Alexander Langer
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser
Es gibt Momente, an die man sich immer erinnern wird.
Bei mir gehören zwei Todesnachrichten dazu. Noch heute spüre ich die Faust im Magen, als ich in der Schule die Nachricht vom Tod John Lennons hörte. Genau dasselbe flaue Gefühl, irgendwo zwischen Ungläubigkeit, Entsetzen. Betroffenheit und grenzenloser Trauer spürte ich an jenem Nachmittag des 3. Juli 1995, als die Nachricht vom Freitod Alexander Langers in den Hügeln oberhalb Florenz nach Bozen schwappte.
In der Redaktion des Wochenmagazins „südtirol profil“ im alten Kusett am Bozner Musterplatz standen wir alle wie benommen da. Am Ende entscheid man, dass ich die Titelgeschichte zum Tod eines großen Südtiroler Politikers und Menschen schreiben sollte. Ich fasste das damals und auch heute noch als Ehre auf.
Denn Alexander Langer war weit mehr als nur einer der vielen Politiker, die kommen und gehen. Er war Zeit seines Lebens bereits eine Person der Südtiroler Zeitgeschichte. Es gibt wenige, die so viel in diesem Land bewegt haben, wie dieser hagere, fast schüchtern wirkende Sterzinger.
 
 
Ich kann nicht sagen, dass ich Alexander Langer besonders gut gekannt habe. Ich hatte mit ihm als Journalist zu tun und als damals noch junger Aktivist und Anhänger der „Alternativen Liste für das andere Südtirol“. Es bestand gegenseitiger Respekt, menschlich sind wir uns aber nie näher gekommen.
Noch heute spüre ich aber diese Verzweiflung, diese Fassungslosigkeit, aber auch dieses Unverständnis über den letzten Schritt, den Alexander Langer an diesem Sommertag getan hat, die mir bei meiner Recherche unmittelbar nach seinen Freitod entgegenschlagen sind. Viele schafften es kaum zu sprechen. Die Erinnerungen wurden von einer unfassbaren Schwere und Traurigkeit fast erdrückt.
Als ich knapp ein Jahr später zusammen mit Helmut Lechthaler die Dreharbeiten für einen Dokumentarfilm über Alexander Langer, sein Leben und seinen Tod aufnahm, spürte man immer noch diese Stimmung. In vielen Interviews des Films ist diese Fassungslosigkeit, diese Trauer und Verzweiflung zu hören.
Andere hingegen wie Silvius Magnago legten auch nach dem Tod ungeschminkt jenes Zeugnis ab, das sie Langer zu Lebzeiten auf den Leib gebrannt hatten: Ein Volksverräter, der gefährlicher als die Faschisten war.
„Macht weiter was gut war“ ist in diesem Sinne heute 23 Jahre nach seiner Entstehung ein Zeitdokument.
Salto.bz zeigt den Film exklusiv (bis Montag, 6. Juli um 13 Uhr).
 
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Renate.Holzeisen Fr., 03.07.2020 - 07:23

Quer- und Vordenker braucht insbesondere Südtirol nach wie vor. Erschütternd für mich die frappierende Diskrepanz zwischen den Bemerkungen eines Magnago zu Alexander Langer und die anerkennenden respektvollen Worte von EU-Politikern, die nicht dem politischen Lager Alexander Langers angehört haben, und die dennoch seine Intelligenz, Weitsicht, Sensibilität und Ehrenhaftigkeit offen geschätzt haben.

Fr., 03.07.2020 - 07:23 Permalink
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Karl Trojer Fr., 03.07.2020 - 08:51

Schön, dass salto.bz diesen wunderbaren Menschen erinnert, danke ! Alexander Langer war ein STARKER ! Abrupt "zerbrochen" ist er wohl an der im Jugoslavienkrieg erlebten Ohnmacht zur Friedensstiftung und den Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten unserer Welt.

Fr., 03.07.2020 - 08:51 Permalink
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Elisabeth Garber So., 05.07.2020 - 12:55

Antwort auf von gorgias

@Gorgias Jeder Mensch hat andere Hirnwindungen und reagiert geistig-seelisch anders - ist längst bewiesen, aber Schubladendenken ist eben der billigste Trumpf. Es gibt sensible Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzten (Franz Marc stellte sich höchstwahrscheinlich gegen Ende des Krieges bewusst in die Schusslinie) und andere überlebten schreckliche Jahre der Kriegsteilnahme vergleichsweise gut (Otto Dix oder Joseph Beuys).

So., 05.07.2020 - 12:55 Permalink
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gorgias So., 05.07.2020 - 13:04

Antwort auf von Elisabeth Garber

Ich verstehe nicht was Sie mir jetzt über Hirnwindungen und Schubladendenken erzählen wollen, aber die Erklärung dass Alexander Langer am Jugoslavienkrieg zerbrochen sei wird seinem Lebengang nicht gerecht und dient höchstens dem eigenen Wunsch nach Erklärung und Verklärung.

So., 05.07.2020 - 13:04 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser So., 05.07.2020 - 17:43

Antwort auf von gorgias

Und was wird ihm dann gerecht? Denken Sie, Alexander Langer war ein Gscheiterter, ein Realitätsverweigerer? Denken Sie an Depression, Burnout oder ähnliches? Ich würde ja gern selbst einiges dazu schreiben, da ich aber Hernn Langer nie persönlich kennenlernen durfte, wäre alles nur Spekulation, vielleicht Verklärung. Und jetzt frage ich mich, ohne zu wissen wie nahe Sie Herrn Langer standen, was Ihre Erklärung, ganz ohne Verklärung, wäre.

So., 05.07.2020 - 17:43 Permalink
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Sepp.Bacher So., 05.07.2020 - 21:06

Antwort auf von Manfred Gasser

"Ich kann nicht mehr" steht wohl ganz typisches für Burnout. Depression passt auch. Ebenso passen würde Krise der Lebensmitte; jedenfalls kann es mehrere zusammen wirkende Kräfte gewesen sein. Meistens ist das Tiefere, das Private ausschlaggebender als das Scheitern bei der Friedensmission in Jugoslawien. Das könnte der Punkt sein, der das Fass zu überlaufen gebracht hat.
Ich war zwar auch in Langers Umfeld, ich kannte aber nicht seine Intimitäten. Man wusste aber wenig von seinem Privatleben.

So., 05.07.2020 - 21:06 Permalink
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Hartmuth Staffler Fr., 03.07.2020 - 19:03

Ich habe Alex Langer sehr gut gekannt und oft mit ihm diskutiert. Er hat seine idealistischen Vorstellungen nicht mit der Realität vereinbaren können und war in diesem Sinne ein Realitätsverweigerer, als den ich ihn immer bezeichnet habe. Daran ist er zerbrochen.

Fr., 03.07.2020 - 19:03 Permalink
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Christian Mair So., 05.07.2020 - 11:17

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Aber wer heute die Realität nicht verweigert, ist kein vernunftbegabter Mensch- sondern Ungleichheitsideologe, Umweltzerstörungsideologe, Wachstumsideologe. Oder?
Wir brauchen einen Wandel und zwar auf allen Ebenen
- EU, Staat, Region;
- Medien;
- Wirtschaft;
- Gemeinwohlorientierung:
- politische und soziale Teilhabe;

So., 05.07.2020 - 11:17 Permalink
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Holenstein Remy So., 05.07.2020 - 09:25

Alexander Langer zeigte mir, dass man mit Visionen mehr erreicht als mit Kritik. Als ich ihn noch nicht persönlich kannte, beeindruckte er mich in einer Podiumsdiskussion am Fernsehen. Er wurde von den Gesprächspartnern recht hart und oft beleidigend angegriffen. Trotzdem blieb er ruhig, ignorierte die Beleidigungen und legte dar, welche Projekt dringend anzugehen sind und welche Lösungen er dafür vorsieht. Später habe ich viele Treffen mit ihm erlebt, welche er als unermüdlicher Anreger befruchtete.
Über seine persönliche Befindlichkeit, erfuhr ich erst nach seinem Tod Weniges. Dabei erinnere ich mich noch gut an ein Treffen zu dem ich mit Alexander vom Bahnhof Terlan zu zweit zur Burg von Andrian hochwanderte. Er wollte wissen wie es mit der Vinschgerbahn vorwärts geht und was wir gegen das Giftspritzen der Obstplantagen machen können ? Wie wir die MeBo verhindern ? Und was sonst im Dachverband läuft ? Doch jedes Mal wenn ich ihn etwas Privates fragte, wich er aus und griff sofort ein weiteres Umweltthema auf. Ich erhielt den Eindruck, dass er, obschon er viel mit Leuten in Kontakt war, stark an Einsamkeit litt. Er war gleichzeitig die stärkste und zerbrechlichste Person, die ich in Südtirol kennenlernt.
Remy Holenstein

So., 05.07.2020 - 09:25 Permalink
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Sigrid Pernthaler So., 05.07.2020 - 16:22

ZUM SCHLUSS
Zu Alexander Langers Zeiten war es einfach für mich, wählen zu gehen. Alex war genial, unbestechlich, authentisch und er sprach mir uß der Seele. Er war mein Fixstern am politischen Himmel. Ist es schon 25 Jahre her? Ich hatte damals einen Traum: Bozen geführt von einer Bürgerliste, ohne die Parteien mit ihrem öden ethnischen Zickzack, als ob es nicht Wichtigeres gäbe. Motiviert von einem Selbsterfahrungskurs in der Schweiz, habe ich mit einer Handvoll Freunden eine Bürgerliste gegründet. Cittadini & Bürger nannten wir sie, schwarz auf einem rot-weißen Herzen. Es gesellten sich bald die seelenverwandten Grünen zu uns. Ich war selbsternannte Bürgermeister-Kandidatin. Bald schon wurde mir klar, dass ich ohne jegliche Erfahrung und hoffnungslos überfordert war. Da kam Alexander Langer aus Brüssel dazu und liebäugelte selbst mit einer Bürgermeisterkandidatur. Unsere Basis entschied sich dann für ihn, gegen mich. Das war ok. Und es war auch schon bald klar, dass wir baden gehen würden mit unserer Bürgerliste, da Alex die obligatorische Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung immer verweigert hatte. So wie ich übrigens auch. Mir kam aber vor, dass meine Bürgerliste mit Alex als Kapitän, wenigstens einen ehrenvollen Selbstmordsschiffsbruch erleiden würde, mit einer klaren Botschaft: Weg mit dem missbräuchlichen, Bozner-feindlichen Monstrum namens Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung! Und, wie fühlt man sich im Jenseits? Fragte uns Alex nach der verpassten Wahl. Das war im Mai. Ich kam dann Anfang Juli gerade rechtzeitig vom Meeresurlaub zurück, um an der Gedenkmesse für Alexander Langer teilzunehmen. Ich stand in einer Ecke der Franziskaner Kirche und weinte. Ich weinte dort eine ganze Stunde lang, über unsere unverwirklichten, unverwirklichbaren, zerbrochenen Träume. Und ich bin mir inzwischen sicher, Alex, dass keiner von uns die Welt verbessern muss und die Menschheit retten kann. Und sie auch nicht zu retten braucht. Zu leben - unbestechlich und authentisch - genügt.

So., 05.07.2020 - 16:22 Permalink