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Die seltsame Soundwelt von mr.coon

Der ausgebildete Musicdesigner "mr. coon" und schafft beklemmend freie Hörerlebnisse. Ein Gastbeitrag aus der Zeitschrift "Kulturelemente" von Florian Rabatscher.
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Foto: Costanza Mansueti

Wenn wir von ignorierten oder oft vergessenen Klängen in unserem Land sprechen, fällt mir meistens der elektronische Sound von einem gewissen mr.coon ein. Beim Stichwort „elektronisch“ schießen einem wahrscheinlich die verschiedensten Szenarien in den Kopf. Verlassene Industriegebäude, in denen der Schweiß von der Decke tropft und sich unzählige Körper monoton zu hämmernden Beats bewegen. Oder versteckte Rave-Orgien an abgelegenen Orten in der Natur, wo halluzinierende Techno-Schamanen ihren Kriegstanz um das Feuer ausführen. Eigentlich hören wir elektronische Klänge mittlerweile ja überall. Sie schallen aus dem Radio als Bestandteil jedes Pop-Songs, untermalen Lesungen, Kunstausstellungen oder Filme und sogar bei so manchem Dorffest knallt uns der einheimische DJ basslastige Ballermann-Hits um die Ohren. Man könnte annehmen, dass diese Art der Musik schon längst nichts mystisches mehr in sich birgt. Man könnte… doch seit ich mr. coon näher kennenlernen durfte, hat sich mein Denken darüber grundlegend geändert. Wenn man sich zu seiner Musik ausklinkt, fühlt man sich plötzlich völlig frei und man betritt eine andere Realität. Oder ist etwa dies die wahre? Wer sagt überhaupt, dass wir uns gerade in der richtigen Realität befinden? Wie kann es sein, dass unsere Realität unter so vielen Zwängen und Normen steht, Gehirnwäsche? Wer sagt uns, was real ist und was nicht? Und ich spreche hier nicht von surrealen Dingen, wie den imaginären Reglern an denen Mainstream DJs bei ihren Live-Konzerten rumfummeln. Nein, mr. coon ist nämlich kein herkömmlicher DJ, sondern ein Musicdesigner, wofür er sogar an der Akademie Deutsche Pop für Musik und Medien in Hamburg eine Ausbildung absolvierte. Er entwirft Hörerlebnisse, die dir wie ein bitterböser Meskalin-Trip ein unangemeldetes Gefühlschaos bescheren. Düster und doch heiter, grau und doch bunt, beklemmend und doch so frei. Fast wie der Soundtrack bei einem Stanley-Kubrick-Film.

 

Was wäre also das Genre in dem er sich bewegt? Trip Hop? IDM (Intelligent Dance Music)? Drum ‘n’ Bass? Ehrlich gesagt, eigentlich alles davon und trotzdem anders. Er hortet nämlich unzählige Stunden von Klängen auf einem sperrigen Kasten, den er Rechner nennt. Ein Ding, das wie eine Zeitkapsel für spätere Generationen seine Gedankenwelt beinhaltet. Kein Stück gleicht dem anderen und es wirkt so, als ob er ständig auf der Suche für den Soundtrack seiner eigenen Welt wäre. Ein definitives Bild zu dieser Person zu erstellen, stellt sich also für einen Außenstehenden als unlösbare Aufgabe heraus. Aber zum Teufel damit, versuchen wir es trotzdem, denn sein Sound sprengt ja auch so manche Vorstellungskraft.

1972 als Gerhard Martini geboren, verwandelte er sich bereits in den späten 90ern in einen eigenwilligen Musikproduzenten. Rave-Musik war auf dem absoluten Höhepunkt und hatte den Großteil der europäischen Clubszene eingenommen. Der Sound war schrill, bunt und stets positiv. Heuchlerischer Optimismus, wohin man auch blickte. Musikalisch gesehen waren wir längst auf dem schnellsten Weg ins Verderben. Doch Gerhard, der gerade die Akademie für bildende Künste in Florenz besuchte, ließ sich davon nicht einlullen. Er fing an mit Synthesizern herumzubasteln und verliebte sich in die langsamen Beats und düsteren Sounds, die von der englischen Stadt Bristol herüber schwappten: Trip-Hop. Ja, schon damals war er ziemlich fortschrittlich. Die elektronische Szene befand sich im Umschwung und Gerhard zog mit. Musik nahm einen immer größeren Stellenwert in seinem Leben ein und das Nötige dazu brachte er sich selbst bei. Wir schreiben das Jahr 1998, Massive Attack bringen ihr legendäres Album Mezzanine auf den Markt und Gerhard hatte seinen ersten Live-Auftritt. Es war der richtige Zeitpunkt, um auf dieser Soundwelle mitzureiten, doch Gerhard verabschiedete sich ins temporäre Nirwana. Als Pizzalieferant in Florenz unterwegs, krachte er in ein anderes Fahrzeug, erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und lag ganze drei Monate im Koma. Für viele wäre so etwas das sichere Ende gewesen und auch die Ärzte gaben ihm nicht viele Chancen, doch Gerhard wachte wieder auf. Nicht nur, dass er sich erfolgreich zurück ins Leben kämpfte, nein auch musikalisch vollzog er eine fast schon superheldenhafte Mutation. Vielleicht erscheint uns deswegen seine Musik so fremd, weil er etwas für uns vollkommen Unverständliches gesehen hat: das absolute Nichts. Für ihn war es wie Urlaub, befreit von den ganzen Problemen und Sorgen, die das Leben mit sich bringt. Wir kommen aus dem Nichts und enden auch genau dort wieder. Also, warum sollte man sich Sorgen machen, was nach dem Tod kommt, oder sich an irgend etwas Übernatürliches klammern? Gedanken existieren ja nicht mehr. Einfach Nichts, gar nichts.


Die Inspiration eines Musikers kommt aus seinen Erfahrungen und Gefühlen wie Liebe, Schmerz oder Wut. Hingegen mr.coons Erfahrungen können wir nicht so leicht nachvollziehen, was seinen Sound umso mysteriöser gestaltet. Wie ein verrückter Wissenschaftler tüftelt er ständig in seinem Home Studio an neuen Klängen und versucht so Ordnung in seinen chaotischen Gedanken zu schaffen. Es sind sozusagen Field Recordings aus der Welt in seinem Kopf. Hin und wieder lädt er auch andere Musiker ein, daran teilzuhaben. Wie bei seinem neuesten Projekt Why Not Now, zusammen mit dem Schlagzeuger Georg Maria Lang. Leider sehen wir viel zu wenige Auftritte von mr.coon, da vielen wahrscheinlich das alles zu konzeptlos und verschwommen erscheint. Aber die Frage ist doch: Muss Musik wirklich unter irgendwelchen Regeln oder Vorgaben stehen? Oder haben wir einfach Angst vor dem Unbegreiflichen? Ich will damit sagen, mr.coons Musikwelt ist viel zu groß, um sie einfach in Worte zu fassen, man muss sich dafür Zeit nehmen. Ihr müsst sie auch nicht zwingend verstehen, hört euch einfach durch den Katalog auf seinem Soundcloud-Kanal und lasst euch treiben. Kommt mit auf eine Entdeckungsreise in die Tiefen von Gerhard Martini. Was sind schon unerforschte Planeten dagegen, auf denen wahrscheinlich nur gähnende Leere herrscht. Aus mr.coons Welt empfangen wir schon lange abgedrehte Botschaften und beachten sie gar nicht. Wenn ihr mich fragt, ist er längst schon eine Legende. Zu seltsam für die Masse, aber zu rar, um nicht gehört zu werden.

Mit freundlicher Genehmigung: Kulturelemente