Kultur | Salto Afternoon

Die Maschinenstürmer

Transart zeigte den Stummfilm "Die Weber" nach dem gleichnamigen Theaterstück von Gerhart Hauptmann. Der Stoff ist weniger aktuell, als er auf den ersten Blick wirkt.
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Foto: Die Weber Filmausschnitt
Ein Stummfilm aus den 20er Jahren, der auf einem unkonventionellen Theaterstück aus 1892 basiert. Projiziert in einer Remisehalle, musikalisch begleitet von einem klassischen Orchester: Was Transart letztes Wochenende in Bozen organisierte, war ein Experiment. Es ist geglückt.
 
„Die Weber“ von Gerhart Hauptmann ist kein einfacher Stoff: Der Dramatiker erzählt in dem Stück den Weberaufstand in Schlesien im Jahr 1844, den er vor allem aus Familienerzählungen kannte. Sein Großvater war nämlich daran beteiligt gewesen: Das Stück zeigt die armseligen Lebensbedingungen der ArbeiterInnen zu Beginn der Industrialisierung. Die Menschen hungern und darben vor sich hin, bis sie irgendwann die Revolte organisieren und sich am Fabrikanten, aber auch an den Maschinen, die mitschuld am sinkenden Lohn sind, rächen.

Elend in Nahaufnahme

Der schwarz-weiße Stummfilm von Friedrich Zelnik zeigt das Elend in Nahaufnahme: Die ausgemergelten Gesichter der Hungernden, das Entsetzen der Weberin, die keinen Lohn in bar für den Stoff bekommt, sondern damit lediglich ihre Schuld im Buch des Fabrikanten ein wenig verringern kann, der apathische Blick des hungernden kleinen Mädchens, die Verzweiflung seiner Mutter, die ihm nichts geben kann. Der halbverhungerte Bub, der sich auf das Schaukelpferd in der Stube des Fabrikanten träumt. Während diese Bilder an der Leinwand vorüberziehen, spielt das Haydn-Orchester die verstörende Begleitmusik von Johannes Kalitzke, unter der Anleitung des Komponisten persönlich. Die Dialoge hat der  Maler George Grosz meisterhaft gezeichnet: Ob gebrüllt wird, oder ängstlich gewarnt, erkennt man auch an der Schrift.
 
Bei der Handlung steht nicht das Einzelschicksal im Mittelpunkt, sondern das Milieu. Denn nicht eine Einzelperson löst die Revolte aus, sondern die krassen sozialen Gegensätze und der Hunger. Als der Unternehmer Dreißiger, für den alle WeberInnen des schlesischen Ortes zuhause Stoffe produzieren, die Löhne halbiert, sind sie entsetzt: Denn schon mit dem jetzigen Lohn überleben sie kaum. Der Grund, den der Fabrikant anführt, ist die Konkurrenz zur Fabrik im Nachbarort: Dort weben neuestens Maschinen.
 
Dreißiger ist die Personifikation des Klassenfeinds. Er schlemmt mit Familie und Freunden und spielt das Elend der von ihm abhängigen WeberInnen herunter. Sein Diener, einer, der früher selbst ganz unten war, ist dafür zuständig, die Stoffe zu prüfen und die Löhne an die WeberInnen auszuzahlen. Dabei verpasst er keine Chance, sie zu demütigen.
Diesmal sei es ernst, warnt der Diener den Herrn, als dann der Aufstand losbricht. Dreißiger packt seine Familie ein und flieht, und verrät den Diener prompt: er will ihn nicht mitnehmen.

„Arm soll er werden, arm wie eine Kirchenmaus.“, ist die Devise.

Kurz darauf stürmt die Meute das Haus. Eine der schönsten Szenen des Films zeigt die zwei Frauen, die zuerst in die Wohnung Dreißigers vordringen. Als allererstes probieren die armseligen, ausgemergelten Gestalten die weichgepolsterten Stühle aus, genüsslich, fast sehnsüchtig streichen sie über die satinbezogenen Armlehnen.
Ein kurzer Moment, in dem sie sich am Reichtum erfreuen, der ihnen im Leben vorenthalten ist. Dann erreicht die Wut des Aufstands das Haus. An diesem Punkt geht es den WeberInnen nicht mehr um den Lohn, sondern um Rache: Sie schlagen die Einrichtung in Kontor und Herrenhaus kurz und klein. „Stehlen tun wir nichts.“, sagt einer angesichts einer Schublade voller Silberlöffel: Die werden nicht etwa unter den Aufständischen verteilt, verkauft für etwas Essen, sondern zerstört. „Arm soll er werden, arm wie eine Kirchenmaus.“, ist die Devise.
 
Dann ziehen die WeberInnen weiter, zur neuerdings mechanisierten Fabrik – sie wollen die Maschinen zerstören. Dort überrennen sie die Soldaten, die ihnen entgegengestellt werden. Einige werden von den Soldaten erschossen  – darunter ausgerechnet einer, der nicht am Aufstand beteiligt war, sondern nur am Fenster saß, „am Platz, den mir Gott gegeben hat“, so sagt er. Aber während im Original des Theaterstücks der Aufstand niedergeschlagen wird, endet der Film mit der Flucht der Soldaten.

Funktioniert die Parallele?

Und doch, wissen heutige Betrachter, langfristig war der Kampf gegen die Maschinen zwecklos – im Gegenteil, die Industrialisierung hat die Menschheit reicher gemacht. Als Maschinenstürmer werden heute oft jene bezeichnet, die vor Jobverlusten durch die Digitalisierung warnen und meinen, man könne sie aufhalten: Der Widerstand gegen das Neue sei damals wie heute zwecklos. Funktioniert die Parallele?
 
Zelnik drehte den Film zur Zeit der Weimarer Republik, kurz bevor aus deren schwieriger wirtschaftlicher und sozialer Lage der Nationalsozialismus entstand. An diese Zeit denkt auch heute manche/r BeobachterIn zurück, während die Regierungen Europas immer nationalistischer werden und sich Fremdenhass breit macht. Aber noch hat die Digitalisierung noch keine Massenarbeitslosigkeit ausgelöst. Viele Branchen sind im Umbruch, aber wir haben Demokratien und Sozialsysteme, um den Wandel erträglich zu gestalten. Allerdings müssten wir sie nutzen.

Mehr zu verlieren und weniger Grund, zu hassen

Während in der industriellen Konstruktion der Bahnhofsremise der Film auf der Leinwand vorüberzieht,  davor majestätisch das Orchester, steigt der beißende Geruch von Maschinenöl in die Nasen. Und der Gedanke drängt sich auf, dass genau die Parallele doch nicht so ganz zieht. Denn wie gut geht es uns heute im Vergleich zu 1844, das erzählt wird, auch im Vergleich zu 1927, als der Film gedreht wurde – man sieht den seither geschehen Sprung im Wohlstand schon den Zähnen der Schauspieler an. Heute hat bei uns keiner mehr solche Zähne, schon gar kein/e SchauspielerIn. Es gibt Ungleichheit, ohne Zweifel, auch innerhalb der Europäischen Länder, aber die Armut ist nicht mehr so drastisch, so tödlich wie früher. Die Menschen heute haben mehr zu verlieren und weniger Grund, zu hassen.
 
Das heißt nicht, dass keine Vorsicht geboten sei angesichts der heutigen Entwicklungen, im Gegenteil. Besser als Harald Welzer letztens in der Zeit kann man es kaum sagen. Er schrieb am 30. August 2018 im Zusammenhang mit den Aufmärschen von Chemnitz: „Man möchte fast Abbitte leisten für das routinierte Bashing jener Menschen, die 1930 und 1932 die NSDAP gewählt haben. Da herrschte nämlich Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, und einen Holocaust hatte es auch noch nicht gegeben. Die klassische Frage "Wie konnten sie nur?" ist heute im Präsens zu stellen. Viel beunruhigender muss man fragen: Was treibt Menschen, denen es sehr gut geht, zu Hass und Gewalt ausgerechnet gegen alle, denen es schlechter geht?“
 
Zelniks und Kalitzkes "Die Weber" ist Film-Musik-Ereignis, das mitnimmt, beeindruckt, in den Bann zieht - zum Nachdenken bringt.
Wie gesagt: Das Experiment ist geglückt.