Kultur | Pollo der Woche

Held, verzweifelt gesucht!

Das geistige Führungsduo der Schützen, Elmar Thaler und Margareth Lun, versucht krampfhaft, ein neues Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft in Südtirol zu kreieren.
Der Angriff erfolgte am vergangenen Dienstag gleichzeitig von drei Seiten.
Die Elitekompanie des Südtiroler Schützenbundes (SSB) marschierte im publizistischen Gleichschritt auf der eigenen Homepage, auf „Südtirolnews“ sowie im patriotischen Nachrichtenportal „Unsertirol24“ auf die Stadt Bruneck zu.
Im Fokus der Tiroler Landwehr stehen der Brunecker Bürgermeister Roland Griessmair, der gesamte Stadtrat und vor allem der Brunecker Stadtarchivar Andreas Oberhofer.
Die Mander um Elmar Thaler gaben diese Woche der Welt bekannt, dass der SVP-Bürgermeister Griessmair und sein Stadtrat an einer Vertuschungsaktion beteiligt sind, die seit Jahrzehnten läuft. Besonders schwere Schuld lädt aber der Historiker Andreas Oberhofer auf seine Schultern. Der Brunecker Stadtarchivar würde durch „wackelige Argumente“ und ein „Gutachten voller Mängel“ verhindern, dass der Wahrheit eine Gasse gebahnt werde.
Grundsätzlich sollte ein Historiker in einem Gutachten die Faktenlage darlegen sowie einen Sachverhalt objektiv und historisch korrekt bewerten und nicht darüber befinden, wie ein öffentliches Gedenken auszusehen hat“, dozieren  die Mander und Frauen in Uniform. Entschuldigen Sie, in Tracht.
Wie dieses Landesübliche Gedenken auszusehen hat, entscheiden anscheinend allein der Landeskommandant & Co.
„Wie dieses Landesübliche Gedenken auszusehen hat, entscheiden anscheinend allein der Landeskommandant & Co.“
Ausgangspunkt der Polemik ist der tragische Fall des Reischacher Bauern Johann Mairhofer. Am 5. April 1946 fand in Bruneck eine Kundgebung der Südtiroler Volkspartei (SVP) statt, bei der rund 3000 Personen einerseits für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler eintraten und anderseits gegen die geplante Rückkehr des ehemaligen faschistischen Senators Ettore Tolomei nach Südtirol protestierten.
Am Rande der Kundgebung kam es zu tumultartigen Auseinandersetzungen zwischen Südtirolern und Italienern. Es flogen Gläser, Stühle und andere Gegenstände. Die anwesenden Carabinieri gingen dazwischen und knüppelten vor allem auf die Südtiroler ein. Später am Tag kam es dann in Welsberg zu einem ernsten Zwischenfall. Nervös gewordene Carabinieri schossen in eine Gruppe von heimkehrenden Demonstranten. Dabei wurde der SVP-Bezirksobmann Franz Strobl schwer verletzt.
Noch tragischer endete aber die Schlägerei in Bruneck. Johann Mairhofer ging im Tumult zu Boden, wurde sofort in ein Gasthaus gebracht und durch einen Arzt behandelt, der aber nur mehr den eingetretenen Tod feststellen konnte.
Die Volksmeinung ging sofort davon aus, dass Mairhofer Opfer eines Gewaltverbrechens geworden sei. Die SVP protokollierte mehrere Zeugenaussagen, die diese These untermauern. So gab etwa der Augenzeuge Hans Duregger zu Protokoll, dass Mairhofer zunächst von einem Stuhl getroffen worden sei, den ihm ein Carabiniere „auf den Kopf“ geworfen habe. Danach hätte Mairhofer noch einen Schlag mit einem Gewehrkolben gegen die Schläfe erhalten.
Von offizieller Seite wurde in den folgenden Tagen verlautet, dass die Todesursache ein Herzinfarkt gewesen sei. Mairhofers Leiche wurde im städtischen Krankenhaus obduziert, die Niederschrift über die Obduktion ist im Archiv des Krankenhauses aber nicht mehr vorhanden.
„Es ist der tragische Stoff, aus dem der Schützenbund einen neuen Helden zimmern will.“
Es ist der tragische Stoff, aus dem der Schützenbund einen neuen Helden zimmern will. Der Marlinger Lehrer Franz Innerhofer, der beim so genannten Bozner Blutsonntag am 24. April 1924 von faschistischen Squadristi erschossen wurde, ist das Symbol für die faschistische Gewaltherrschaft in Südtirol. Ihm wird alljährlich gedacht.
Seit Jahren versuchen die Südtiroler Schützen, Josef Mairhofer zu einem zweiten Innerhofer aufzubauen. Es macht sich gut, ein weiteres Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft in der ländlichen Peripherie zu präsentieren. Dass zwischen Innerhofer und Mairhofer 22 Jahre liegen und wir uns 1946 im Nachkriegsitalien befinden, tut dabei nichts zur Sache. Italiener sind Faschisten. Und Faschisten sind notgedrungen Schläger. Mairhofer wurde ermordet. Wer das nicht glaubt, sitzt der Staatspropaganda auf.
Elmar Thaler, Efrem Oberlechner und die Schützenhistorikerin Margaret Lun (Referentin für Kultur- und Bildungsarbeit) sind alles andere als Dilettanten. Sie gehen die „Operation Mairhofer“ strategisch äußerst geschickt an. Zum 70. Jahrestag des tragischen Vorfalls plant der Schützenbund eine große Gedenkveranstaltung in Bruneck. Hunderte Schützen marschieren am 2. November 2016 am Graben auf.
Doch damit nicht genug. Der Schützenbund fordert von der Gemeinde Bruneck, dass zu Ehren Mairhofers eine Bronzetafel am Brunecker Graben zwischen Hotel Post und Hotel Corso im Boden eingelassen werde. Dort wo der Reischacher Bauer gestorben ist.
 
Weil Bürgermeister Roland Griessmair und die Brunecker Stadtverwaltung einer solchen öffentlichen Gedenktafel skeptisch gegenüber stehen, legt der Schützenbund Mitte September 2016 ein 14-seitiges Gutachten der Historikerin Margaret Lun vor. Lun wertete dabei auch jene Zeitzeugenprotokolle aus, die die SVP aufgenommen und dann nach Innsbruck geschmuggelt hat. Heute liegen sie im Tiroler Landesarchiv.
Beweise für einen gewaltsamen Tod findet auch Lun nicht. Die Schützenhistorikerin trägt aber eine Reihe von Indizien zusammen, die die Opferthese stützen. Das Fehlen des Obduktionsaktes wird später zu einer Art Kardinalbeweis umfunktioniert.
Luns Resümee:
Die Causa Johann Mairhofer ist ein Fall, der von offizieller Seite vertuscht und verharmlost wurde. Dass damit der Mörder gedeckt werden sollte, liegt auf der Hand.
Die Botschaft der Historikerin und Schützenfunktionärin ist klar: Wollen sich Roland Griessmair & Co nicht der Vertuschung schuldig machen, müssen sie die Gedenktafel für Mairhofer anbringen.
 
Doch die Brunecker Stadtverwaltung gibt beim Historiker und Stadtarchivar Andreas Oberhofer ein Gegengutachten in Auftrag. Oberhofer legt die Fakten ähnlich wie Lun dar, kommt aber zu keinem so eindeutigem Schluss.
Der Pusterer Historiker sagt in seinem Gutachten auch, dass er die Anbringung einer Gedenktafel durch den Südtiroler Schützenbund in mehrerlei Hinsicht als problematisch ansehe.
Seine Hauptargumente:
  • Die Erinnerung an vermeintliche Opfer ethnisch bedingter Konflikte im öffentlichen Raum sollte heute eher in der Form der Erinnerung an Kollektive und nicht an Einzelpersonen wachgehalten werden;
  • Moderne Erinnerungskultur sollte von der Konstruktion von „Helden“ und „Märtyrerfiguren“ Abstand nehmen;
  • Denkmäler im öffentlichen Raum sollten heute auf keinen Fall errichtet werden, wenn sie den Anschein erwecken, allein den Zweck zu verfolgen, ethnisches Unbehagen hervorzurufen oder zu verstärken.
Bürgermeister Roland Griessmair übernimmt diese Argumente, als er sich öffentlich gegen die Anbringung der Gedenktafel ausspricht.
Es ist der Anlass für den medialen Angriff auf den Brunecker Stadtarchivar an diesem Dienstag.
„Thaler & Lun geben vor, die jüngere Geschichte dieses Landes aufzuarbeiten. In Wirklichkeit machen sie aber mit der Vergangenheit Politik.“
Dass Historiker streiten, gehört zur Disziplin. Es ist durchaus belebend. Dass der Südtiroler Schützenbund aber immer wieder Druck auf die Politik macht, damit sein einseitiges Geschichtsbild zur offiziellen Landesgeschichte erkoren wird, ist weit mehr als nur lästig. Es ist gefährlich.
Thaler & Lun geben vor, die jüngere Geschichte dieses Landes aufzuarbeiten. In Wirklichkeit machen sie aber mit der Vergangenheit Politik.
Der Versuch, in Bruneck einen neuen Graben in diesem Land aufzureißen, ist (vorerst) misslungen. Doch man wird es wieder versuchen.
Dabei gibt es einen prädestinierten Platz für diese Art von Gedenktafel.
Das Brett vor ihrem eigenen Kopf.
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Stereo Typ Di., 06.12.2016 - 11:59

Vielen Dank für diesen Artikel. Das ethnische Unbehagen im Lande ist schon groß genug , da braucht es nicht schon wieder einen neuen Keil zwischen den Sprachgruppen.

Di., 06.12.2016 - 11:59 Permalink