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Das Eigenleben eines Lieds

Wer „Hallelujah“ bei einem Streaming Dienst sucht, der wird in der Regel nicht das Original an erster Stelle finden. Dem Magnum Opus Leonard Cohens spürt ein Film nach.
Hallelujah
Foto: Screenshot Hallelujah Leonard Cohen Trailer
Der fast zweistündige Dokumentarfilm „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ hätte genau so gut den Zusatz „A Journey, Many Songs“ tragen können, ist doch allen guten Versionen gemeinsam, dass sie - vom Ausgangspunkt abgesehen - wenig gemein haben. Selbst was diesen betrifft hält sich nach wie vor hartnäckig die Fehlinformation, dass „Halleujah“ ein Jeff Buckley Song sei, dabei ist er, in gewisser Weise, der persönlichste Song des Kanadischen Dichters und Musikers. Im Film von Dan Geller und Dayna Goldfine schätzt man, dass der Originalinterpret 150 bis 180 Verse für das Lied geschrieben hat, aus welchen er zeitlebens unterschiedliche Versionen aufgenommen oder live gesungen hat. Zum Vergleich: Eine typische Version von „Hallelujah“ hat, vom Chorus der nur aus dem einen, heiligen Wort besteht abgesehen, vier Strophen zu je sechs Zeilen. So erklärt sich auch dass in den mit Künstlern aufgenommenen oder aus dem Archiv geschürften Interviews beides da ist, sowohl die Deutung, dass es „kein Kirchenlied, sondern ein Moment der Erkenntnis“, sei, als auch dass das Lied zu singen „wie in der Kirche zu sein“ scheint. Das Lied oszilliert, wie über das Gesamt-Werk Cohens an einer Stelle zugespitzt behauptet wird „between holy and horny“, zwischen heilig und lüstern.
Der Film beginnt vor dem ersten Kapitel mit einem direkten Einstieg bei Cohens letztem Konzert vor Publikum, 2016, und dem letzten „Hallelujah“, zu welchem er am Ende die Klammer schließt. Man blickt zurück zu den ersten Auftritten des 30jährigen Cohen als Sänger, einem nervösen Poeten, der sich selbst als moderner Minnesänger versteht. Archivmaterial von Interviews zeigen den Poeten zwar unsicher, aber nicht ohne seinen charakteristischen Charm und das Flirt-Verhalten, welches er bis ins Alter beibehielt. Der Kariere als Liedermacher folgt man von den 60ern bis zur Veröffentlichung von „Various Positions“ 1984, mit Produzent und Co-Komponisten John Lissauer als Kronzeugen. Das Album auf dem sich neben „Hallelujah“ mit „Dance Me to the End of Love“ ein weiterer Klassiker Cohens fand, wurde vom damaligen Columbia Chef mit den aus heutiger Sicht als Treppenwitz aufzufassenden Worten „Look, Leonard; we know you're great, but we don't know if you're any good.“ abgelehnt.
Für das bereits bezahlte und kurz vor der Fertigstellung stehende Album begann in Folge, durch die Veröffentlichung bei einem kleinen Label, Jahre im Untergrund. Als Cohens Stimme nicht ans Ohr der Massen drang, trugen das Lied andere weiter: Am Anfang stand Bob Dylan auf der Bühne, es folgten - in der Auswahl des Films - Brandi Carlile, Jef Buckley, Eric Church und ja, als wichtiger Wendepunkt in der Song-Geschichte, der Animations-Film „Shrek“ von 2001.
Während für diesen eine Version von Rufus Wainwright aufgenommen und geplant war, entschied man sich in letzter Minute für die für einen Tribute-Sampler aufgenommene Version von John Cale. Der Clou an der Sache: Die Phase größter Beliebtheit des Liedes zu Beginn der 2000er lässt sich textlich fast exklusiv auf die für eine Altersfreigabe ab sechs Jahren von sexuellen Zeilen bereinigte Version des Films zurückführen. Es wurde in dieser Fassung in Casting Shows rauf und runter rezitiert, mal auf die Tränendrüse drückend, mal zum fremd schämen.
Auf die allzu schrille Collage dieser verschiedenen Aneignungen fürs Massenfernsehen folgen aber auch ruhige Momente, den spirituell suchenden Mensch Cohen samt künstlerisch und finanziell dringlichem Alters-Comeback hat man in zwei Stunden auch noch Platz. Der Film bleibt dabei, wie das Lied, offen für Interpretationen. Was als religiöses Lied mit Verweisen auf Verse des alten Testaments begann, hat seinen Weg ins Weltliche gefunden. Bei einem Lied, das in seinen zahlreichen Versionen dabei entweder komplett unpersönlich oder zutiefst persönlich ist, trifft nicht jede Version den Geschmack des Publikums. Wie könnten Sie auch?
Dabei wird selten so tief auch in die textliche Dimension geblickt, wie im auf einem Buch („The Holy or the Broken: Leonard Cohen, Jeff Buckley & the Unlikely Ascent of ‚Hallelujah‘“ von Alan Light) von 2012 basierenden Film. Für Cohen Fans dürfte es sich „wie in der Kirche zu sein“ anfühlen, um es mit Eric Church zu sagen. Wer kein Cohen Fan ist, dürfte sich wahrscheinlich im Film geirrt haben, stößt hier aber auf eine spannende Studie zum unwahrscheinlichen Weg eines religiösen Ausdrucks und finanziellen Fehlschlags ins - Religionen verbindende - kollektive Gedächtnis und das Herz der kapitalistischen Vermarktungsmaschinerie.