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Abgründe des Lebens

Der Bozner Autor Gianluca Battistel zeigt in seinem neuen Roman „abissi paralleli“ wie nah Höhenflug und Absturz im Leben beieinanderliegen. Ein fesselndes Buch.
Abgrund
Foto: upi
Die Welt des Buchmarktes ist ungerecht.
Es gibt Bücher, die erscheinen in großen Verlagen mit einem fetten Werbebudget und werden schnell zu Bestsellern. Und dann gibt es Bücher, die in kleinen Verlagen herauskommen, von der Mundpropaganda und der Selbstausbeutung der Autoren leben und ein Nischendasein fristen. Obwohl die Qualität der Literatur dem Bestseller um nichts nachsteht.
„Abissi paralleli“ von Gianluca Battistel ist eines dieser Bücher. Der Bozner Autor und Salto-Kolumnist hat ein wunderschönes Buch geschrieben, das sich wie ein Thriller liest, aber dennoch den Tiefgang eines großen Romans hat. Es ist die Geschichte von drei Leben, die sich kreuzen, die parallel und gemeinsam verlaufen, um am Ende zur Erkenntnis zu gelangen, dass der eine vom anderen nichts weiß. Genauso ergeht es dem Leser und der Leserin. Immer wieder findet man sich in Szenen, in Dialogen und Beschreibungen in diesem Buch wieder. Kaum aber glaubt man den Weg zu kennen, folgt eine Wendung, die man nicht erwartet hat. Genauso wie im richtigen Leben.

 
 
Da ist der junge Philosophieprofessor Matteo, der mit viel Idealismus seine Lehrerlaufbahn startet und in eine Geschichte hineingerät, die viel größer ist als er. Da ist seine Lebensgefährtin Ilenia, eine linke Aktivistin, die sich für Einwanderer und Menschenrechte einsetzt und dabei immer extremer wird. Und da ist Gemma, die Journalistin und Vizedirektorin im Pressebüro des Innenministers, der ein Nationalist und Rassist ist und mit einer Politik aus Gewalt und Repression die illegale Einwanderung unterbinden will.
Die drei Leben könnten kaum unterschiedlicher sein. Gemeinsam ist ihnen vordergründig nur der Konflikt mit dem Umfeld, die Zweifel am eigenen Tun und die Diskrepanz zwischen Privatem und Öffentlichem. Es ist ein Zug, in dem alle drei sitzen, der in Richtung Abgrund fährt. In  einer Gesellschaft, die am Thema Einwanderung zu zebrechen droht.
Hier schriebt einer, der den gefeierten Stars der Bozner Literaturszene wie Luca D’Andrea oder Daniele Rielli das Wasser reichen kann.
Die Stärke an Gianluca Battistel ist nicht nur der Plot, sondern auch seine Gabe Situationen so zu beschrieben, dass man mitten hineinfällt. Die tötende Schulbürokratie mit der Matteo kämpft, die aus dem Buch rinnt, die Gespräche im Lehrerzimmer, die man genauso zigmal gehört hat und in denen die ganze Beschränktheit mancher amtlichen Pädagogen zu Tage tritt. Oder die völlig endlosen Grundsatzdiskussionen in Ilenias linksextremen Zirkeln über die richtige Strategie für den Kampf.
Auch das Geschäft der politischen Kommunikation im Viminale beschreibt der Autor so authentisch und augenscheinlich, als würde hier ein Insider schreiben. Natürlich sind die Gemeinsamkeiten mit noch lebenden Legaministern gewollt und keineswegs zufällig. Doch nirgends trägt Battistel zu viel auf. Die Fiktion ist hier so nah an der Realität, dass man sich unweigerlich im Italien des dritten Jahrtausends wiederfindet.
 
 
„Abissi paralleli“ ist kein Buch über Südtirol oder über die Provinz. Südtirol kommt, außer in der Anarchodemo am Brenner in diesem Buch nicht vor. Auch das tut gut.
Gianluca Battistel hat ein wunderschönes Buch geschrieben, einen politischen Roman, in dem es auch um die Frage geht, wie politisch das Private ist und wie privat das Politische ist. Das Buch fordert den Leser und die Leserin heraus, Partei zu ergreifen, Stellung zu beziehen. Hat man das erst einmal getan, gerät alles aus den Fugen. Und spätestens nach der letzten Seite, muss man unweigerlich über das eigene Leben nachdenken. Besseres kann einen Roman kaum passieren.
Gianluca Battistels „abissi paralleli“ würde jedem großen Verlag guttun. Denn hier schriebt einer, der den gefeierten Stars der Bozner Literaturszene wie Luca D’Andrea oder Daniele Rielli das Wasser reichen kann.
 
Gianluca Battistel, Abissi Parelleli, Ensemble, Roma 2020, 198 Seiten, 16 Euro.