Wirtschaft | Interview

„Da bleibt kein TTIP-Stein auf dem anderen!“

Der Brixner Blogger Markus Lobis beschäftigt sich seit längerem intensiv mit dem Freihandelsabkommen TTIP. Er spricht über das Greenpeace-TTIP-Leak und die Folgen.

Unter den vielen Südtirolern, die dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP gegenüber kritisch und skeptisch-ablehnend gegenüberstehen, befindet sich auch der Brixner Blogger Markus Lobis, der auf seinem Blog ein eigenes Dossier angelegt hat und immer wieder auch über den Stand der TTIP-Verhandlungen und deren Hintergründe schreibt. Was sagt Lobis zu dem aufsehenerregenden TTIP-Dokumenten-Leak von Greenpeace in Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR?

Sie verfolgen die Verhandlungen zum TTIP seit einigen Jahren kritisch. Was ändert sich nach dem Leak wichtiger Dokumente durch Greenpeace, SZ, NDR und WDR am TTIP-Projekt?
Markus Lobis: Ich würde sagen, dass da kein TTIP-Stein auf dem anderen bleibt. Denn die treibenden Kräfte, die hinter dem so genannten „Freihandelsabkommen“ stecken, konnten sich bisher durch die strikte Geheimhaltung auf ihre Freunde in der Politik verlassen, die sich ihrerseits durch die Geheimniskrämerei weitestgehend ihrer politischen Verantwortung entbunden fühlen durften. Nun ist der Maulkorb weg. Jeder Politiker, jede Politikerin – von der Regierung bis zum Gemeinderat – hat nun so wie die Bürgerinnen und Bürger Zugang zu zentralen Dokumenten und kennt die Triebkräfte hinter dem Verhandlungszinnober. Jede und jeder ist nun in aller Deutlichkeit gefordert, Position zu beziehen.

Was fördern die geleakten Dokumente Neues zu Tage?
Für Insider, die die bisherigen Entwicklungen rund um TTIP verfolgt haben, ist wenig Neues dabei. Es ist aber von zentraler Bedeutung, dass nun bewiesen ist, dass die vorher als hysterisch abgetanen Schlussfolgerungen und Einschätzungen von kritischer Seite stimmen, bzw. die Fakten und wahre Intentionen noch einschneidender sind, als es Pessimisten und Gegner bisher dargestellt haben. Heribert Prantl hat in der Süddeutschen Zeitung unaufgeregt und schnörkellos geschrieben: „Diese Papiere zeigen, dass die Befürchtungen der Gegner nicht aus der Luft gegriffen sind. Mehr noch: Sie zeigen, dass die Realität der Verhandlungen die dunklen Ahnungen noch übertrifft.“

Eine bedeutungsschwere Feststellung.
Besser kann man die Bedeutung nicht auf den Punkt bringen. Auf diesen Satz in einem führenden Qualitätsmedium haben tausende engagierte Bürgerinnen und Bürger, hunderte von idealistisch gesinnten NGOs und viel zu wenige besorgte PolitikerInnen hingearbeitet. Sie ernten nun die Früchte ihres Engagements. Es ist ja kein Zufall, dass mit Greenpeace eine bedeutende NGO wesentlichen Anteil daran hat, dass diese wichtigen Dokumente nun der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.

Worum geht es im Wesentlichen?
JournalistInnen, Fachleute, JuristInnen und PolitikerInnen, die im Zuge der Recherche in die Dokumente Einsicht nehmen konnten, bestätigen unisono, dass sie über den Druck überrascht sind, den die US-amerikanische Seite macht. Des Weiteren fällt auf, dass zwar die EU-Seite immer wieder in der Öffentlichkeit betont, dass gewisse Standards nicht abgeschwächt werden dürfen und dass Technologien wie die Gentechnik und Praktiken wie der massive Hormoneinsatz in der Tierzucht für Europa nicht in Frage kämen.

Findet sich diese harte Position auch in den nun geleakten Papieren wieder?
In den geleakten Dokumenten ist von einer harten Position der EU in vielen kritischen Bereichen wenig bis nichts zu finden, im Gegenteil: Mehr oder weniger alle kritischen Positionen werden weich und offen gehalten.

Wie deuten Sie das?
Ich denke, das geht weit über die Gebote der Diplomatie hinaus und bekräftige meinen Vorwurf, dass die EU-Seite sich nachgerade unterwürfig verhält.

Wie lautet nun Ihre persönliche Einschätzung nachdem Sie wahrscheinlich Einblick in einige Dokumente genommen haben?
Was TTIP-kritische Stimmen schon lange behaupten, ist nun von klarster und unwiderlegbarer Evidenz: TTIP ist nichts anderes als ein Instrument, die US-amerikanischen Interessen – oder sagen wir besser US-amerikanische und internationale Großkapital- und Konzerninteressen – knallhart durchzusetzen, auch gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die amerikanischen Konsumentenschützer sind ja nicht weniger kompetent oder intelligent wie ihre Kollegen in Europa.

Aber?
Sie können sich nur im großkapitalistischen und neoliberalen Ordnungsrahmen in den USA nicht durchsetzen. Genauso wie die Gewerkschaften oder Bürgerrechtsorganisationen, die in den USA bei ihrer Arbeit erheblich behindert werden. Ich sehe hier auch einen zentralen Ansatzpunkt.

Sie sehen also noch eine Chance, die Verhandlungen und das Abkommen zu beeinflussen?
Die europäische Zivilgesellschaft muss sich mit der US-amerikanischen austauschen und einen Dialog starten. Dann könnte es sehr gut sein, dass ein neues, ein faires, transparent und auf Augenhöhe ausgehandeltes Handelsabkommen unter geänderten Vorzeichen in zehn oder fünfzehn Jahren das bringt, was uns in Zusammenhang mit TTIP völlig unberechtigter Weise vor die Nase gehalten wird, wie dem Esel die Karotte.

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Karl Gudauner Mi., 04.05.2016 - 08:47

Vielen Dank für den unermüdlichen Einsatz für Transparenz, Markus! Es ist unfassbar, das selbst eine demokratische Institution wie das EU-Parlament den Kurs der Geheimverhandlungen akzeptiert. Das Parlament sollte klare Vorgaben für die Verhandler/-innen erstellen, damit von vorne herein klar ist, welche Grundsätze nicht in Frage gestellt werden dürfen. Die Themen des Abkommens sollten nach und nach im EU-Parlament einzeln vertieft werden. Der Gesamtentwurf sollte nochmals einer gründlichen Überprüfung unterzogen werden. In der Sommerhitze oder zwischen Weihnachten und Neujahr abnicken gilt nicht. Transparenz braucht Zeit, Gründlichkeit braucht Zeit. In die Parlamente der einzelnen EU-Staaten soll ein Vertragsentwurf gelangen, der den Umwelt- und Verbraucherschutzstandards entspricht, die nach aktuellem Kenntnisstand die besten Garantien für eine nachhaltige Produktion und Ernährung bieten. Es wird Zeit, dass Produktionsstandards definiert werden, um die Problematik an der Quelle in den Griff zu bekommen und nicht erst beim Endverbraucher.

Mi., 04.05.2016 - 08:47 Permalink
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rotaderga So., 08.05.2016 - 09:11

Es gibt keine fähige Zivilgesellschaft weder in EU noch in USA welche mächtig wäre die Situation zu wenden. Die gesamte Presse und Fernsehen sind von einigen wenigen aus USA gesteuert. Unsere Politiker, siehe auch Dorfmann, sind mit Diäten vollgestopft und mit sich selbst zufrieden, mehr brauchen die nicht. Und würden diese sich nicht dem Mainstream unterwerfen, sie wären nicht länger an ihrem Futtertrog.

So., 08.05.2016 - 09:11 Permalink