Kultur | Salto Afternoon

„Queeres Kino muss immer…

...eine Kritik des Normativen sein“ Ein Gespräch zwischen Martin Santner und Michael Stütz (TEDDY AWARD), über Trends, Verschiebungen und Aktivismus im queeren Kino.
teddyaward.jpg
Foto: Teddy Award

Ein Gastgbeitrag aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Kulturelemente (144) 

Martin Santner: Herr Stütz, bitte erklären Sie kurz, was Sie unter queerem Kino verstehen?

Michael Stütz: Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, queeres Kino zu lesen, was auch seinen Reiz ausmacht. Es lässt sich im besten Falle nicht so einfach kategorisieren und von einem vorherrschenden Kanon vereinnahmen. Wichtig ist, dass man Anderssein nicht als vermeintlichen Defekt, sondern seine Stärke sieht. Es sind Zwischenräume, die es auszuloten, zu erforschen, zu besetzen gilt. Inhaltlich, aber natürlich auch ästhetisch, muss das queere Kino Erfahrungen spürbar machen. Queeres Kino soll die non-binären Grenzen erweitern, die Grauzonen thematisieren, Platz für ambiguitive Räume und Figuren schaffen, radikal sein und das nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch. Es soll Fragen aufwerfen, unbequem sein, aber gleichzeitig lustvoll, sex-positiv, feministisch, aggressiv, trans*gressiv, sensibel, camp, tuntig, laut und leise, authentisch und voller Extreme.

33. Teddy Award 2019 Ceremony - Der Teddy Award ist der weltweit einzige offizielle queere Filmpreis auf einem A-Festival. Aus dem Berlinale Wettbewerb Panorama hervorgegangen, wird der Preis seit 1987 in den Kategorien Kurz-, Dokumentar- und an Filme mit schwul-lesbischem bzw. Transgender-Hintergrund aus dem gesamten Berlinale-Programm vergeben und hat inzwischen weltweite Aufmerksamkeit.


Welche Themen spielten und spielen heute im queeren Kino eine Rolle? Gab es hier Verschiebungen in den letzten Jahren? Konnten Sie im diesjährigem Festivalprogramm bestimmte Trends erkennen?

Viele Filme drehen sich um Selbstbestimmung, Sehnsucht, Körperlichkeit aber auch um die Radikalisierung und Befreiung von gesellschaftlichen Fesseln. Es geht viel um den Umgang mit den eigenen Wurzeln, Familie und Wahlverwandtschaften. Wir hatten in diesem Jahr einige Filme, deren Held*innen sich wenig um die Bestimmung einer fixierten sexuellen Orientierung kümmern, sich in einem non-binären Feld bewegen, wo es ein großes Spektrum an (sexuell wie Gender) Möglichkeiten zu erkunden gibt. Klassische Repräsentation steht oftmals nicht mehr im Fokus, die Sichtbarkeit ist gegeben, aber sie unterwirft sich nicht mehr unbedingt der klassischen, deterministischen Identitätspolitik. Queere Themen und Geschichten werden anders begriffen und ausgerichtet und das ist sehr spannend und erfreulich zu sehen und das macht sie auch universeller, offener und fluktuativer.

Wie erklären Sie sich diese Verschiebungen?

Schon alleine durch die digitale Revolution hat sich einiges verschoben. Der doch sehr männlich-hetero-weiß konnotierte Autorenbegriff wurde dadurch zumindest teilweise aufgelöst und in Frage gestellt, das queere Kino ist vielstimmiger geworden, ist sich aber gleichzeitig seiner Geschichte bewusst. Das klingt jetzt schon fast nach einer Utopie, aber an dieser Utopie gilt es sich eben auch ständig abzuarbeiten. Es ist enorm wichtig, einen queeren Raum zu kreieren, der sich nicht nur als oppositioneller Gegenentwurf zur weiten Welt sieht, sondern der auch mit viel Imagination und Kreativität eine alternative Realität schaffen kann.

Was fehlt Ihnen?

Was mir fehlt, sind mehr queere Stimmen aus dem deutschen Kino. Wir hatten mit Searching Eva im Panorama einen wunderbaren Beitrag; auch in der Perspektive liefen zwei sehr schöne Filme, aber ansonsten ist der Output eher zurückhaltend. Natürlich gibt es ganz viele wunderbare queere Filmemacher*innen in Deutschland. Gerade in Berlin gibt es eine sehr aktive Szene, die oftmals auch multimedial arbeitet und auch die klassischen Kinoformate sprengt. Von daher bin ich mir sicher, dass sich in den nächsten Jahren vieles tun wird, vorausgesetzt, die Fördertöpfe sind auch offen für diese Filmemacher*innen.

Spielt die Selbstidentifikation der Filmemacher*innen noch immer eine zentrale Rolle?

Um einen guten queeren Film zu machen, muss die/der Regisseur*in sich nicht zwingend als queer oder LGBTQI* identifizieren. Gleichzeitig ist es natürlich extrem wichtig, dass so viele queere Regisseur*innen wie möglich die Chance bekommen, ihre Arbeiten zu realisieren. Man kann also immer diskutieren und streiten darüber, was nun queer ist und was nicht. Diese Frage will und muss ich mir persönlich mit jedem Jahrgang selbst wieder stellen.

Hat sich auch, was die Zielgruppe angeht, eine Öffnung hin zu einer breiteren Zielgruppe entwickelt?

Ja, ich würde sagen, es gibt eine breitere Öffnung, vor allem auf Filmfestivals. Durch die Art und Weise, wie queere Themen in Handlungen eingebaut werden und durch eine größeren Sensibilität auf Seiten des Publikums, das es so eben vor 30 Jahren noch nicht gab. Unser Publikum muss aber immer noch vielfältiger werden, die Teilhabe muss vereinfacht werden. Es gibt immer wieder Filme, die sich im Mainstream behaupten. Aber auch durch eine größere Vielstimmigkeit in der Produktion und den vereinfachten Zugang zum Filmemachen hat sich die Kinolandschaft und der Output stark verändert. Wir sind noch weit entfernt von dem, was in Bezug auf Diversität möglich sein muss. Es gibt immer noch zu wenig davon zu sehen – sowohl auf Festivals, aber vor allem im Kino. Der weiße, männliche, hetero-homosexuelle Blick dominiert immer noch die Programme, aber langsam drängen zum Glück immer mehr Talente und Filme mit anderem Fokus herein.

Der Vorwurf, der queeren Filmen im Mainstream gemacht wird, lautet, dass vor allem neoliberale Ideologien propagiert werden, um heterosexuelle Zuschauer mit leicht identifizierbaren Charakteren zu befriedigen. Wie sehen sie das?

Sieht man sich z.B. den deutschen Mainstream an, ist da überhaupt nichts vorhanden, werden keine Stereotype dekonstruiert, sondern reproduziert. Das Publikum für diese Filme würde ich allerdings nicht rein heterosexuell verorten, sondern auch queer beet vermuten. In Sehgewohnheiten zu verweilen ist keine rein heterosexuelle Angelegenheit. Im Fernsehen ist in den letzten 20 Jahren wirklich der größte Schritt gemacht worden und wenn man ehrlich ist, auch viel besser als im Film. Hier ist eine Inklusivität und Diversität auf eine Art und Weise möglich, wie sie im Mainstream Kino im Moment noch nicht vorhanden ist.

Wie radikal muss queeres Kino sein?

Radikal verkommt auf sich allein gestellt, genauso wie der Begriff des Politischen zu einer schwammigen Angelegenheit. Auch hier muss ein Kontext gegeben sein. Queeres Kino muss sich trauen vor den Kopf zu stoßen, Geschichten anders zu erzählen oder auch gar keine Geschichten zu erzählen, die gegebene Ordnung durcheinander zu bringen und zu erweitern, zu hinterfragen. Ich halte nicht viel von Zuschreibungen; sie können einem guten Film ohnehin nur selten gerecht werden. Diese Filme schaffen queere Utopien, ein Paralleluniversum zum Status Quo.

Würden Sie sagen, dass das queere Kino seinen aktivistischen Charakter verloren hat?

Absolut nicht. Es operiert zwar oftmals nicht im Zentrum der kommerziellen Aufmerksamkeit, gibt aber eben Impulse von außen, dort, wo der Markt noch keine Macht hat. Man muss ganz klar die unermüdlichen Queer- und LGBTQI*-Film Festivals hervorheben und die großartige Arbeit, die dort geleistet wird. Jedes dieser Festivals wird bereichert mit Filmen aus der lokalen Szene und genau diese Plattform ist enorm wichtig für Filmemacher*innen, die oftmals dort einen sicheren Ort finden, um die ersten Filme zu präsentieren, zu diskutieren, sich mit dem Publikum auszutauschen, auch ein Publikum zu kreieren. Hier sind oftmals die radikalen Ansätze zu sehen und zu spüren, ungeschliffen und roh. Die Themen und Schwerpunkte haben sich ohne Frage verlagert und das ist auch nötig. Das macht sie nicht weniger aktivistisch, im Gegenteil.

Salto in Zusammenarbeit mit Kulturelemente