Kultur | Salto Afternoon

Fanes-Murmelen auf Pilzen

Mit „FanesAusSagen“ eröffnet das Kollektiv binnen-I auf Schloss Sigmundskron den Südtiroler Theatersommer. Ein außergewöhnlicher Ort für ein außergewöhnliches Stück.
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Foto: binnen-i

Wer am Samstagabend – dem ersten lauen Abend des Jahres! – Richtung Schloss Sigmundskron hinaufschritt, wusste, worauf er oder sie sich einließ. binnen-I, dieses Kollektiv aus fünf energiegeladenen und kreativen Schauspielerinnen, mischt seit geraumer Zeit die heimische Theaterszene – nein, das ist kein Klischee – mit reichlich frischem Wind auf. Folgerichtig konnte auch ihre Neubearbeitung der Dolomitensagen rund um das Volk der Fanes keine brave Reproduktion eines Epos vor Bergkulisse mit einer Portion Folklore werden. Schloss Sigmundskron als Kulisse gibt den Geist der Inszenierung quasi vor, diese Stätte, wo sich Kulturen, Traditionen, Themen verschiedenster Art treffen und reiben.

Ach, wie schön sind unsere Berge

Ebenso lebt das Stück unter der Regie von Joachim Gottfried Goller von den Reibungen, die zwischen einem alten Stoff und einer neuen Perspektive, zwischen Komischem und Tragischem, zwischen Gesellschaft und Individuum entstehen.

Was mit einem feinen Gespür für Situationskomik beginnt (toll: Petra Rohregger als nach außen hin betörende, beim Sprechen hingegen überraschend „grobmaulete“ Wasserfrau), lässt schon bald episch-ernstere Töne anklingen. Zuvor aber muss das Publikum quer durch das Schlossareal umziehen, begleitet wird es dabei vom dieses Jahr neunköpfigen Ensemble, das zum feinsten Heimat-Schunkel-Trash über die Wiese hopst und rollt, beseelt Umarmungen verteilt und sich in „Ach, wie schön sind unsere Berge“-Seufzern ergibt. So sähe es wohl aus, wenn Murmeltiere die Wirkung halluzinogener Pilze für sich entdecken würden.

Wenn die Schauspieler*innen wenig später allesamt in Leuchtwesten ein Donovan-Cover (tausche „ocean“ gegen „mountains“) zum Besten geben und dabei tanzen, als wären sie einem DJ-Bobo-Video entsprungen, ist das nicht minder komisch. Die Wirkung der halluzinogenen Pilze hält an. Aber wie bereits erwähnt, muss die Komik schon bald weichen, geht es doch im Mythos der Fanes vor allem um Kränkungen, Machtgier, gesellschaftliche Zwänge und – den Untergang eines Reiches. Die Inszenierung verzichtet dabei dankenswerterweise auf einen allzu kampflastigen oder märchenhaft-entrückten Zugang und stellt stattdessen mit ihren Konflikten sehr greifbare Figuren in den Mittelpunkt.

...egal, welche Tragödien hinter uns liegen, es liegt immer auch etwas vor uns

Besonders subtil gelingt das im Falle der Faneskönigin und ihres Königs. Soll zuerst Eva Kuen durch die Einheirat in die Fanes-Dynastie ins Brautkleid geschnürt werden, so wechselt sie geschickt in die Rolle des befehlenden Königs und weist Peter Schorn das Brautkleid und damit die Rolle der Frau und sich fügenden Königin zu. Diesen Frust des ewigen Sichfügens könnte Schorn in Form von Schoko-Vanille-Pudding nicht schöner in sich hineinfressen.

Überhaupt sind es die Details, in den Kostümen (Mirjam Falkensteiner) und im Spiel, die dem Stück Originalität verleihen. Vielleicht ist es jedoch eine übermäßige Liebe zum Detail oder aber ein Überschuss an ungewöhnlichen Ideen oder vielleicht gar ein mit seiner Vielseitigkeit überforderndes Ensemble, dem gegen Ende ein wenig die Spannung zum Opfer fällt. Etwas eindimensional bleibt dann auch der zentrale Konflikt zwischen der Königstochter Dolasilla (Viktoria Obermarzoner) und ihrem machtgierigen Vater, wenn auch wiederum in der Tragik des Geschehens die Prise Ironie nicht fehlt (Obermarzoner und Max. G. Fischnaller als ihr Geliebter in einem herrlichen Duett).

Erfreulich ist, dass binnen-I nach dem Stück „Und jetzt: Die Welt!“ von 2018 dem Einsatz der Kamera nicht ganz abgeschworen hat. Die Videoprojektionen, die Dolasillas bei den Murmeltieren aufgewachsene Zwillingsschwester Luyanta (Marlies Untersteiner) zeigen, wie sie vergessen in den Untiefen von Supermarktregalreihen und verstaubten Lagern als metaphorischem Murmeltierbau sitzt und sinniert, gehören mit zu den stärksten Momenten von „FanesAusSagen“. Erwähnenswert ist außerdem der überaus wandlungsfähige Dietmar Gamper als röchelnder Zauberer Spina De Mul ebenso wie als dümmlicher Prinz mit Dauerstimmbruch; hochkomisch ist Katharina Gschnell als Knappe mit quadratischer Schultasche und Drittklässlerreimen, und mystisch-bedrückt wirkt Alexa Brunner, wenn sie als Zauberin Tzikuta den meterlangen Mantel ihrer Kränkung hinter sich herschleppt. Was aber am meisten Erwähnung verdient, ist die Fähigkeit von binnen-I, aus jedem Stoff ganz unsentimental ein Stück Hoffnung herauszuschälen. Denn egal, welche Tragödien hinter uns liegen, es liegt immer auch etwas vor uns.