Politik | Wahlkampf

1.000-Euro-Rente: Ein alter Hut

Der Wahlkampf beginnt und wieder einmal verblüfft Silvio Berlusconi mit seinen üblichen Wahlversprechen.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
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Foto: Freepik

So verspricht Berlusconi, alle Renten auf eintausend Euro anzuheben und dies bei dreizehn Monatsraten. Viele erinnern sich sicherlich noch an die famose Million, die letztlich aber viel weniger wurde, da die Kosten bereits damals auszuufern drohten. Noch heute warten viele Rentner auf dieses Geld.

Diesmal führt man die Mütter und die Großmütter ins Feld, ein Frauenbild, das in Italien immer noch imstande ist, viele Emotionen hervorzurufen. Wir sind natürlich damit einverstanden, die Frauen rentenmäßig zu unterstützen. Kinder zu erziehen und die Eltern zu pflegen, ist eine große Leistung für die Gesellschaft und muss belohnt werden. Daher sind wir seit Jahren bemüht, die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern mit strukturellen Maßnahmen im Laufe des gesamten Lebens auszugleichen.  

Abgesehen von den Kosten, sollte man die Angemessenheit des Berlusconi-Vorschlags auch kritisch betrachten, geht es doch zugunsten von denjenigen, die die erforderlichen Beiträge nicht gezahlt haben. Dies geschieht nicht immer freiwillig und man muss die Lebensumstände einer Person berücksichtigen.

Man denke nur an kranke Menschen oder an prekäre Arbeitsverhältnisse, die wohl kaum das heutige Minimum erreichen. Besonders Frauen müssen aufgrund der Erziehung der Kinder oftmals in Teilzeitarbeit wechseln. Manchmal ist die Karriere beeinträchtigt und immer häufiger müssen Frauen den Arbeitsplatz aufgeben, weil es keine angemessenen Dienstleistungen gibt. Daher die Forderung der Gewerkschaften einer Garantierente und ein besonderes Augenmerk für die Frauen in der von den Gewerkschaften angestrebten Rentenreform.

Es braucht hier strukturelle Lösungen und keine unrealistischen Versprechen.

Man darf die Kosten einer solchen Maßnahme nämlich nicht unterschätzen. Der Mindestbetrag der integrierten Renten im Jahr 2022 beträgt 524 €, der sich auf 660 € erhöht, wenn man die von der Berlusconi-Regierung im Jahr 2001 vorgesehene Erhöhung berücksichtigt. Eine Anhebung des Mindestbetrags auf 1.000 Euro würde zwischen 476 bzw. 340 Euro monatlich pro Rente ausmachen. Laut den Berechnungen von Fachleuten würde die Anhebung um die 30 Milliarden kosten, auch wenn sie nur an Personen ohne zusätzliche Einkommen bezahlt würde.

Auch gibt der Staat bereits heute 25 Milliarden an Sozialleistungen für die Rentner aus. Die ganze Operation würde den Staat also ungefähr 55 Milliarden kosten. Dies sind keine bis ins Detail kalkulierbare Zahlen, denn eine Berechnung ist schwierig. Sie dürften aber grundsätzlich korrekt sein. Ein Problem ist, dass die von der Gewerkschaft geforderte getrennte Berechnung der Kosten für die Renten und für die Sozialleistungen auf einen unerklärlichen Widerstand stößt. 

Seit jeher werden Sozialleistungen aufgrund besonderer wirtschaftlicher Verhältnisse des Leistungsempfängers anerkannt. Meist fehlen die Beitragszahlungen gänzlich oder sind zumindest nur teilweise erfolgt. Hier stellt sich ein zusätzliches Problem. Könnte ein Mindestbetrag der Rente von 1.000 Euro nicht ein Anreiz sein, nur unregelmäßig oder schwarz zu arbeiten? Wieso sollte man Beiträge zahlen, wenn man nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben ohnehin tausend Euro erhält?

Die Mindestrente hat die wichtige Aufgabe, einen angemessenen Lebensstandard auch für diejenigen zu gewährleisten, die während ihres Arbeitslebens nicht genügend Beiträge für eine angemessene Rente aufbringen konnten. Wie zuvor erwähnt, hängt dies mit vielen Faktoren zusammen. Dass der Staat mit Sozialleistungen eingreift, ist sicherlich notwendig.

Hier ist natürlich die Höhe der Leistung zu berücksichtigen. Ein hoher Mindestbetrag kann nicht nur, wie oben erwähnt, von der Arbeit abhalten, sondern auch ungerecht sein: Nach Angaben der INPS-Beobachtungsstelle für Renten, beträgt die durchschnittliche Höhe der von der Rentenkasse der Arbeitnehmer (welche die meisten Arbeitnehmer umfasst, einschließlich der separaten Rentenkasse der prekären Arbeitsformen) gezahlten Renten 1.285,44 Euro pro Monat. Eine Mindestrente von 1.000 Euro für alle Senioren würde hier sicherlich einige Fragen aufwerfen.

Auch kann sich jeder rational denkende Mensch in der heutigen wirtschaftlichen und politischen Lage ausrechnen, wie es mit der Finanzierbarkeit eines solchen Vorschlags bestellt ist. Hoffentlich kommt niemand auf die Idee, Gelder die zur Aufwertung der bestehenden Renten notwendig sind, unter dem Deckmantel der Solidarität abzuzwacken. Aufgrund der hohen Inflation wird die nächste Aufwertung nämlich erhebliche Kosten verursachen. Dabei ist die Gewerkschaft nicht bereit, neuerlich die Regeln zu wechseln, wie es in der Vergangenheit aus Spargründen immer wieder geschehen ist.

Wahlversprechen haben eine Eigendynamik und werden meist nach der Wahl vergessen. Hoffentlich ist niemand so naiv zu glauben, dass dieses Versprechen im angekündigten Umfang umgesetzt werden wird. Eine derartige Maßnahme würde nicht nur die Sozialkassen stark belasten, sondern auch zu einer ungerechten Behandlung derjenigen Arbeitnehmer führen, die trotz der Einzahlung der vorgesehenen Beiträge nur eine Rente knapp über die Mindestrente bekommen.

Statt Ankündigungen erwarten wir uns von der neuen Regierung endlich eine Rentenreform, die solidarisch aufgebaut ist und die nicht jedes Jahr zur Diskussion steht.

Alfred Ebner

 

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Salto User
Günther Alois … Sa., 06.08.2022 - 08:51

Berlusconi erinnert mich an Luis de Finé,aber im negativen Sinne.Luis de Finè war ein genialer Komödiant,Berlusconi ein genialer Taktiker das Volk zu verblöden.

Sa., 06.08.2022 - 08:51 Permalink
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Josef Fulterer So., 07.08.2022 - 06:47

Hoffentlich fallen die italienischen Wähler nicht ein weiteres Mal, auf die großmauligen Versprechungen des Berlusconi herein.
Bisher hat er außer der Verteilung nach ganz oben, hauptsächlich nur zu seine persönlichen Vorteile umgesetzt. Da er nicht mehr kandidieren darf, wird sein Einfluss zum Glück der Bürger wegbrechen.

So., 07.08.2022 - 06:47 Permalink
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Dietmar Nußbaumer Mo., 08.08.2022 - 21:39

Diesmal fallen die Italiener auf die Meloni herein. Auf der anderen Seite ist dies auch die Schuld der anderen Parteien, die in den Augen der Wähler, zumindest sehr vieler, nicht viel erreicht haben, und damit habe sie wahrscheinlich recht.

Mo., 08.08.2022 - 21:39 Permalink