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Wer hat Angst vor dem bösen Wolf?

Die Eurac veröffentlicht ein Dossier zum Dauerbrenner Wolf. Doch nicht nur das zeigt, wie sehr bei diesem Thema gezündelt wird.
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Foto: Foto: Salto.bz

"Der Wolf ist kein harmloses Kuscheltier“, heißt es in diesen Wochen bei Almabtrieben, Protestveranstaltungen  oder auch in Gemeinderatsbeschlüssen. Während Bürgermeister, Bauernvertreter und so mancher Touristiker auf die Barrikaden gehen und mit Selbstjustiz drohen, sofern ihr Wunsch nach einem wolfsfreien Südtirol nicht umgesetzt wird, liefert die Bozner Eurac nun ein wohltuend nüchternes Dossier zum Thema. „Der Wolf In Südtirol: Fakten für eine fundierte Meinungsbildung“, ist die wissenschaftliche Annäherung des Geografen und Wildtierexperten Filippo Favilli an das Thema betitelt. Darin gibt der Eurac-Forscher einen Überblick über die wichtigsten Zahlen und Daten, gesetzlichen Bestimmungen und vor allem Vor- und Nachteile unterschiedlicher Szenarien, um mit dem Phänomen umzugehen.

Dabei wird auch so manches wieder in Relation gesetzt, bei dem zuletzt in den heißblütigen Polemiken um den bösen Wölf ein wenig die Größenordnungen verrutscht sind. Allem voran: Im Gegensatz zum Trentino, wo rund 15 Exemplare gezählt werden, sind in Südtirol keine Wölfe heimisch. Die Tiere, die hier für Angst und Schrecken sorgen, seien vielmehr einzelne Durchreisende, die aus dem Süden, also dem Trentino oder dem Veneto, oder aus Slowenien kommen. In Italien dagegen wird die Population auf 1500 bis 2000 Tiere geschätzt; mit einer beeindruckenden jährlichen Wachstumsrate von 20 bis 30 Prozent. Etwas abgefedert wird dieser Zuwachs allerdings durch Autounfälle und vor allem Wilderer, denen laut dem Eurac-Dossier rund 15 bis 20 Prozent der Wölfe zum Opfer fallen.

Schaden von 3000 Euro

Menschen sind dem Wolf dagegen in den vergangenen 150 Jahren nie zum Opfer gefallen, widerspricht der Wissenschaftler so mancher Warnung, dass auch Kinder in das Beuteschema der Tiere passen. Aus diesen eineinhalb Jahrhunderten gäbe es in Italien keinen einzigen Hinweis auf irgendeinen Übergriff von Wölfen auf Menschen, heißt es in dem Dossier. Der Wolf sei auch kein aggressives, sondern vielmehr ein scheues Tier.  Dennoch würden atavistisch begründete Ängste heute nicht zuletzt durch sensationslüsterne Schlagzeilen in der nationalen und lokalen Presse hochgehalten, wie es in dem Dossier heißt.

Tatsache ist aber dennoch, dass der Fleischfresser einen täglichen Nahrungsbedarf von rund zwei Kilo hat. Und bei Bedarf auch auf Nutz- und Haustiere zurückgreift, wenn sein bevorzugtes Futter Wild nicht verfügbar ist. Zumindest in Südtirol hält sich der diesbezügliche Schaden aber bislang in Grenzen, wird in dem Dossier unterstrichen: 2016 betrafen von insgesamt 225 Ansuchen um Schadenersatz wegen Wildschadens nur elf Ansuchen, also nicht einmal 5 Prozent, den Wolf und den Bären. Nur der Wolf habe dabei einen Schaden von 3000 Euro verursacht – mit gerissenen 17 Schafen und einer Ziege.

Vielversprechender deutscher Weg

Ist es also möglich, dass Mensch und Wolf ein Auskommen miteinander finden? Eine Frage, die im Eurac-Dossier auch unter Verweis auf Erfahrungen in anderen Ländern positiv beantwortet wird. Besonders hervorgehoben wird dabei der Weg den Deutschland eingeschlagen hat. Im Gegensatz zu Ländern wie der Schweiz und Österreich, wo man vor allem versucht, das Phänomen über Abschüsse unter Kontrolle zu halten, werde dort vor allem auf Prävention gesetzt: mit Elektrozäunen und Wachhunden, der Abschreckung der Tiere durch Geräusche oder das Ausbringen chemischer Köder, die zu einer Kastration der Tiere führen. Ein Weg, der laut Dossier erst kürzlich durch eine in der Fachzeitschrift „Frontiers in Ecology and the Environment" veröffentlichte Studie als weit erfolgsversprechender bewertetet wurde als Abschüsse. Letztere hätten laut der Studie nur in knapp 30 Prozent der Fälle zu einem vorübergehenden Rückgang der Angriffe auf Nutztiere geführt und in weit höherem Maß sogar eine Zunahme der Aggressionen verursacht, die mit dem Zerfall der Wolfherden in Folge der Abschüsse erklärt wird. Mit vorbeugenden Maßnahmen habe man dagegen bei den Übergriffen einen Rückgang von über 80 Prozent erreicht.

 

Ergebnisse, die auch die Gegenüberstellung von drei Szenarien beeinflussen, die einander von der Eurac als Handlungsoptionen für den Umgang mit dem Wolf aufgestellt werden: gezielte Abschüsse bis zu einer festgelegten Obergrenze, keinen politischen Maßnahmen oder präventiven Maßnahmen. Nur bei letzteren überwiegen die Vorteile leicht gegenüber den Nachteilen - womit der „deutsche Weg“ wohl auch für Südtirol als vielversprechendste Option gesehen werden kann.

Warum der Bauernbund keine Elektrozäune will

Zumindest wenn der Bauernbund und seine Mitglieder auch davon überzeugt werden können. Warum das so schwierig ist, beleuchtete bereits am Dienstag Mauro Fattor in der Tageszeitung Alto Adige genauer. „Ecco perché il Bauernbund si rifiuta di adottare le misure di prevenzione e quanti soldi ci sono in gioco“ lautet der Titel eines interessanten Hintergrundberichts zur festgefahrenen Situation zwischen Bauernvertretern und öffentlicher Hand. Warum hat bislang kein einziger Bauer im Land um den immerhin 70-prozentigen Beitrag für die Errichtung von Elektrozäunen beantragt, ist eine der zentralen Fragen des Autors. Weil Bauernbund-Direktor Siegried Rinner klar zu verstehen gegeben habe, dass 70 Prozent Förderung zu wenig sei, die Bauern keine Zeit hätten, Zäune aufzustellen und eine solch allgemeine vorbeugende Maßnahme ökonomisch nicht tragbar sei, wird sie in dem Artikel beantwortet. Entweder die Provinz zahlt die Maßnahmen zu 100 Prozent und stellt das nötige Personal zum Aufstellen der Zäune bereit oder es passiere eben nichts, so die Position der Bauern.

Der im Alto Adige eine Aufrechnung der Beiträge gegenüberstellt wird, die Bauern im Rahmen des ländlichen Entwicklungsplans für die Bewirtschaftung der Almen erhalten. Über 100 Euro pro Hektar würden kleinen wir großen Bauern im Rahmen des fünfjährigen Plans zustehen. Für eine Alm mit 1000 Hektar, auf der 20 Bauern ein Weiderecht haben, fließen also jährlich 100.000 Euro aus Brüssel, wird in dem Artikel vorgerechnet. Sprich: Jeder Bauer in diesem Beispiel kassiere 5000 Euro – dafür dass er sein Vieh auf die Alm treibt, ein wenig Instandhaltung treibt und vor, allem im Fall von Schafen, ab und zu nach den Tieren schaut. Zusätzlich zahle die Provinz noch 50 Prozent der Versicherungsspesen für verlorene oder verunglückte Tiere. Und wird tatsächlich einmal ein Schaf von Wolf oder Bär gerissen, decke das Land den Schaden gar zu 100 Prozent ab.

Warum also soll man sich ein solch florierendes Geschäftsmodell vom bösen Wolf zerstören lassen und einen Teil der Einnahmen für vorbeugende Maßnahmen wie Elektrozäune, für Hirtenhunde oder gar einen Schäfer ausgeben, fragt Mauro Fattor. Ein Thema, das nach Vertiefung schreit. Nicht zuletzt beim kommenden Expertentisch der Provinz am 12. Oktober, bei dem einmal mehr nach Lösungen für das explosive Thema gesucht werden soll. Je mehr Fakten auf dem Tisch  liegen, desto wahrscheinlicher wird es hoffentlich, statt polemischen Forderungen zu vernünftigen Antworten zu finden.  

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alfred frei Mi., 04.10.2017 - 10:25

Hinweis für schlaue Füchse
Erster Streich: Landesrat Schuler erstattet Strafanzeige gegen das Münchner Umweltinstitut und Filmemacher Alexander Schiebel. Zweiter Streich: Bauernvertreter Schuler erwägt die Bären - Wölfe Abschußgegner vor den Kadi zu zerren.
Der dritte Streich folgt sogleich: Landtagskandidat Schuler befaßt sich mit dem Gedanken eine Massenklage gegen die Gegner seiner Wiederkandidatur wegen fortgesetzter üblen Nachrede einzureichen. . Die Kette Umwelt-Bären/Wölfe-Wahlen schließt sich. Südtirols Luft ist wieder rein. Halali Arnold !

Mi., 04.10.2017 - 10:25 Permalink