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Rittner Riehl-Deal

Der aus Meran stammende und in Zürich wohnhafte Architekt Ivan Bocchio hat einen sensationellen Fund gemacht: Architekturskizzen von Mies van der Rohe vom Ritten.
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Foto: Foto: Salto.bz

Vor einigen Jahren begann Ivan Bocchio seine Recherche zu früher Hotelarchitektur in den Alpen. Im MoMA, dem Museum of Modern Art in New York, fand er Skizzen zu einem Mountain House, die vom bekannten Mies van der Rohe (1886-1969) anscheinend in Meran gefertigt wurden. Bocchio wurde stutzig und nahm den bislang noch nicht aufgearbeiteten Bestand des Stararchitekten genauer unter die Lupe. Die architektonische Spurensuche führte Bocchio am Ende aber nicht nach Meran, sondern auf den Ritten.

Am vergangenen Wochenende präsentierte Bocchio sein im Raetia Verlag herausgegebenes Buch Mies van der Rohe – Zwischen Südtirol und New York im Parkhotel Holzner am Ritten. Neben ihm waren auch die Mies-Experten und Mitautoren Alexander Markschies, Gregory Grämiger und Niklas Naehrig, bei der Buchvorstellung anwesend. Sie haben für das Buch Textbeiträge zum Wirken von Mies in seiner Geburtsstadt Aachen, zum Bauhaus-Exil im Tessin und zum Mies-Förderer der ersten Stunde Alois Riehl (1844-1924) geliefert.

Neben dem Sensationsfund des eifrigen Architekturarchäologen Ivan Bocchio, der diesen vom MoMA in New York direkt auf den Ritten ins ehemalige Hotel Friedl führte, scheint auch die Beziehung von Mies van der Rohe mit der Bozner Familie Riehl von großem wissenschaftlichen Interesse zu sein. 
Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute Mies van der Rohe ein Landhaus in Neubabelsberg bei Potsdam – Auftraggeber war der Philosoph und Universitäsprofessor Alois Riehl, Sohn des Hirschenwirtes in der Bozner Streitergasse, dem späteren Pächter des Gasthauses Zur Kaiserkron am heutigen Musterplatz. Nach dem Besuch des Franziskanergymnasiums verschlug es Alois Riehl nach Wien, dann nach München, Innsbruck und Graz. Dort habilitierte er sich und wurde ordentlicher Professor. 1882 kam er als Ordinarius und Direktor des philosophischen Seminars nach Freiburg. Von 1876 bis 1887 schuf Riehl sein Hauptwerk über den philosophischen Kritizismus und dessen Bedeutung für eine positive Wissenschaft. Nach Jahren in Kiel ging Riehl 1898 nach Berlin. Große Bekanntheit erlangte er mit den Büchern zu Friedrich Nietzsche (als Künstler und Denker), Plato oder Giordano Bruno

Um 1907 beauftragten Alois Riehl und seine Frau Sophie den damals zwanzigjährigen Ludwig Mies van der Rohe mit der Planung ihres Wohnhauses, der Villa überm See – später von den Riehls auch liebevoll Klösterli genannt. Für Alois und Sophie, die ihre Kinder früh verloren hatten, avancierte der junge Architekt zum „Haussohn“. Kurze Zeit später lernte Mies van der Rohe über das Ehepaar Riehl auch seine erste Frau Ada Bruhn kennen, die in den 1920er Jahren mit ihren drei Töchern rund vier Jahre lang im Ansitz Kematen am Ritten wohne.
Der junge Vater Ludwig Mies van der Rohe kam ebenfalls in den 1920er Jahren, obwohl in diesen Jahren bereits von Frau Ada getrennt war, mehrmals auf den Ritten um seine Töchter zu besuchen. Auch im Jahr 1934 kam Mies, allerdings nicht aus privaten Gründen. Er mietete sich im Hotel Friedl (heute Hotel Post Victoria) ein und entwickelte in der Gegend um Maria Himmelfahrt sein Mountain House

Oberbozen und der Ritten spielten in der Familiengeschichte der Riehls eine besondere Rolle, so war beispielsweise Alois Riehls Bruder Josef Riehl Erbauer der Rittnerbahn und Auftraggeber des jetzigen Parkhotel Holzner. Obendrein stammte die Mutter von Alois und Josef Riehl aus Unterinn.

Wie hat die hiesige Landschaft Mies van der Rohes Architektur beeinflusst? Welchen Einfluss hatten philosophische Grundfragen seines Förderers Alois Riehl auf Mies van der Rohes Schaffenswerk? Welche Begegnungen hatte Mies van der Rohe am Ritten? Viele Antworten finden sich im Buch von Ivan Bocchio, weitere schlummern noch in den Archiven.