Gesellschaft | Salto Gespräch

"Geschmack ist nur ein Teil des Ganzen"

Familienvater, Biathlet und seit letzter Woche auch Sternekoch: Stephan Zippl verrät, worauf er beim Essen Wert legt und was das Kochen und das Tischlern gemeinsam haben.
Stephan Zippl
Foto: (c) Hannes Niederkofler

Salto.bz: Herr Zippl, Sie sind 33 und seit einer Woche Sternekoch! Haben Sie mit dieser Auszeichnung gerechnet?

Stephan Zippl: Wir haben uns diese Auszeichnung nicht erwartet, nein. Natürlich wir arbeiten seit einigen Jahren darauf hin, aber dass der Stern jetzt schon kommt… Überhaupt haben wir das ganze Jahr über keinen Michelin-Inspektor wahrgenommen.

Ihr hattet den Stern aber als klares Ziel vor Augen?

Ja auf jeden Fall. Als ich mit zwanzig zum Kochen angefangen habe - vorher war ich Tischler - habe ich mir das Ziel gesetzt, irgendwann mal einen Stern zu kochen. Dieses Ziel habe ich jetzt realisieren können. Ich bin wirklich froh, über unsere Team-Leistung. Ich glaube, dass wir in den letzten paar Jahren viel richtig gemacht haben.

Das heißt?

Wir haben mit dem Revier ein stimmiges Konzept. Wir verwenden nur Südtiroler Produkte, wobei das meiste wirklich aus der unmittelbaren Umgebung kommt - vom Ritten und von Barbian. Bei Fisch und Fleisch bewegen wir uns auch ab und zu im Pustertal. Auf Italienisch heißt unser Konzept “quattro passi”, das heißt, wir beziehen unsere Produkte vier Schritte von zu Hause weg - auch was Weinbegleitung, Aperitif, Cocktails oder Säureprodukte betrifft. Deshalb haben wir auch den grünen Stern bekommen.

 

Einerseits geht es also um lokale Küche. Gleichzeitig finden sich im Menü auch ausgefallene, exotische Namen.

Das stimmt, wir haben wirklich außergewöhnliche Kombinationen. Es wird aber alles hier angebaut. Auch die japanische Weinbeere oder der japanische Ingwer. Was auf den Teller kommt ist auch hier gewachsen. Das ist mir wichtig.

Lokal und doch nicht unbedingt traditionell. Wie passen diese zwei Dinge zusammen?

Früher wurde Regionalist häufig als “old school” oder nicht modern interpretiert. Heute ist Regionalität wieder modern: Wenn jeder aus seiner Ecke kocht, ist er ein klein bisschen besonders. Während meiner Ausbildung habe ich sehr viel international gekocht. Villa Feltrinelli, wo ich Teil meiner Ausbildung absolviert habe, hat aber viel Wert auf Regionalität gelegt. Und auch Norbert Niederkofler, meine letzte Station, hat lokale Zutaten zu seinem Markenzeichen gemacht.

 

Apropos Ausbildung: Du warst zuerst Tischler und hast dich dann erst dem Kochen zugewandt. Wie kam es dazu?

Ich habe eigentlich immer das gemacht, was ich machen wollte. Als ich mit 15 meine Tischlerausbildung angefangen habe, war ich vom Tischlerberuf überzeugt. Es hat mir immer gut gefallen, mit den Händen etwas zu schaffen, mit dem der Kunde nachher zufrieden ist. In der Zeit war ich aber auch in einer Radmannschaft und habe für den Südtirolkader Straßenrennen bestritten. Damals habe ich mich viel mit Ernährungslehre beschäftigt und realisiert, dass ich eigentlich gerne kochen würde. Ich stamme selbst aus einer Kochfamilie und sonntags habe ich meistens zu Hause für alle gekocht. Das hat mir immer schon gefallen und inspiriert. Und die Kreativität, Genauigkeit und Präzision, die mir am Tischlern gefallen hat, braucht es beim Kochen genauso.

Hat das, was du heute für ein Sternerestaurant machst, noch etwas mit dem Kochen von früher zu tun?

Ich habe vor zehn Jahren natürlich nicht so gekocht wie heute, aber den guten Geschmackssinn und die Leidenschaft fürs Kochen habe ich auch damals schon gehabt. Mit zwanzig habe ich mir gesagt: Jetzt oder nie, habe genau gewusst, wo ich hinwill und habe die dreijährige Berufsschule in Brixen absolviert. Dank einem meiner Lehrer habe ich dann die erste Sternerfahrung in der Villa Feltrinelli machen dürfen. Ich bin immer auf offene Türen gestoßen und habe es vielen anderen Menschen zu verdanken, dass ich dort bin, wo ich heute bin. Aber ich bin noch nicht angekommen. Ich habe ein Ziel erreicht und habe bereits das nächste vor Augen.

Das wäre?

Der zweite Stern! Das ist mein persönliches Ziel für den Ritten. Von drei will ich gar nicht reden, da steckt noch viel mehr Marketing dahinter.

 

Du bist nach etwa fünf Jahren in Ausbildung relativ rasch wieder zurück auf den Ritten gekommen. Warum?

Das war eigentlich nicht geplant, aber zwischen Familie und Hausbau hat sich das so ergeben. Roland Trettl hat mich damals angerufen und mir gesagt, ich solle mir das beim Holzner mal anschauen. Ich bin also hierher und habe zuerst gegessen. Dann habe ich mir überlegt, was ich dazu beitragen könnte, um das Ganze noch zu pushen. Schon in meinem ersten Jahr haben wir eine Haube dazubekommen. Das hat mich natürlich gefreut. Auch deshalb, weil ich mich von Anfang an viel einbringen konnte.

Inwiefern?

Ich habe vorher vier Sternerestaurants gesehen und habe überall etwas rausgefischt und versucht, die verschiedenen Dinge zu kombinieren und anzupassen. Was mir wichtig ist, ist, dass der Teller viel Textur vorweist; das fehlt in anderen Restaurants oft. Wenn alles in Cremes, Schaum, Soße und Gel verarbeitet wird, habe ich vielleicht einen runden Geschmack, aber das Essen erfüllt mich nicht. Ich spiele viel mit süß, sauer, pikant, krokant. Das ist meine Philosophie, wenn ich einen Teller angehe: Wenn ich alles zusammen auf den Löffel und in den Mund nehme, muss nicht nur ein runder Geschmack, sondern auch eine volle Textur dabei rauskommen. Danach spiele ich noch ein bisschen mit Bitterstoffen, aber nicht bei jedem Teller.

 

Wenn ich alles zusammen auf den Löffel und in den Mund nehme, muss nicht nur ein runder Geschmack, sondern auch eine volle Textur dabei rauskommen.

 

Du bist nicht nur Sternekoch, sondern auch Familienvater. Geht das?

Es geht sogar Sternekoch, Familie und aktiver Biathlet! Ich bin im Landeskader in Antholz und mache beim Italiencup mit. Nächste Woche starten die Rennen und ich kriege das alles unter. Die Zeit für die Familie ist nachmittags von zwei bis fünf während der Zimmerstunde. Dann gehen wir den Aktivitäten meiner Kinder nach, Hockey und Kunstturnen. Meine Trainingszeit ist morgens zwischen sechs und sieben Uhr früh. Ich bin Frühaufsteher und bin ab viertel nach fünf wach, mache morgens mein Training und bin um halb 9 in der Küche.

Das heißt, du bist den ganzen Tag aktiv.

Ja. Aber ich rauche nicht und trinke nicht. Deshalb auch mein guter Geschmackssinn. Mein einziges Handicap ist es also, wenig zu schlafen. Damit kann ich leben.

Sie trinken überhaupt nichts?

Normalerweise nicht, nein. In Ausnahmefällen wie bei der Zeremonie haben wir natürlich ein bisschen gefeiert.

 

Woher nimmst du die Inspiration für neue Gerichte?

Ich bin kein Freund von Kochbüchern. Meine Inspiration sind die Bauern mit den Produkten, die sie zum Teil extra für mich anbauen. Wenn ich eine Kiste mit Produkten sehe, die alle hätten heute Morgen in meinem eigenen Garten gepflückt werden können, bekomme ich Gänsehaut. Auch deshalb weil ich über die Bauern so viele Zutaten finde, die ich im Handel gar nicht bestellen kann. Genau das ist meine Herausforderung. Wie mache ich aus dem ein Gericht? Wo setze ich es ein? Zu Fisch, Fleisch oder Dessert? Ich versuche die Zutaten so einzusetzen, dass ich dem Grundprodukt gerecht werde ohne, dass es zu kurz kommt und ohne, dass der Geschmack hervorschnellt.

Wie können wir uns das vorstellen?

Ein Teller entsteht so, dass wir die Grundprodukte, die wir ausgesucht haben, zum Beispiel Forelle, Fenchel, Rettich und Sahne alle auf einen Löffel geben und zusammen probieren. Fühlt sich der Geschmack stimmig an? Erst dann experimentieren wir weiter.

 

Meine Inspiration sind die Bauern mit den Produkten, die sie zum Teil extra für mich anbauen.

 

Und funktioniert das auch immer oder gibt es auch ab und zu Kritik?

Ich höre eigentlich sehr wenig Kritik. Manchmal beschwert sich jemand wegen der Kutteln, die wir auf der Karte haben. Die sind sehr eigen. Aber wir machen sie in einer Kombination, wie man sie sich eigentlich nicht vorstellt. Wir eliminieren den ranzig bissigen Geschmack der Kutteln durch bestimmte Gartechniken, Milch und Alkohol. Die meisten Menschen sind sehr überrascht, wie gut die Kutteln schmecken können. Es gibt aber auch die älteren Generationen, die sagen: Das sind für mich keine Kutteln mehr. Dann kann es auch mal Kritik geben. In der Regel passiert es aber nicht öfter als einmal im Jahr.

Kutteln als Spezialität des Hauses?

Auf unserem Menü gibt es immer wieder neue Gerichte. Ich habe nächstes Jahr im Frühling ganz einen anderen Teller als heuer im Frühling. Nur die Kutteln bleiben, aber auch hier ändern sich die Beilagen.

Warum genau die Kutteln?

Weil die sonst niemand macht und weil es eine große Herausforderung ist, Kutteln im Sternerestaurant auf Sterne-Niveau zu präsentieren. Wir haben Produkte aus erster Qualität, aus denen man etwas machen muss. Bei Gänsestopfleber, Hummer, Trüffel oder Kaviar, die in sich schon delikat und hochwertig sind, dann braucht es nur wenig, um daraus ein erstklassiges Gericht zu zaubern. Unsere Herausforderung ist hier viel größer.

 

In Südtirol gibt es viele Sternerestaurants, aber - von mir auf andere schließend - waren die wenigsten Südtiroler selbst mal in einem essen. Warum sollte man das unbedingt mal probieren?

Weil essen auch ein Erlebnis sein sollte! Natürlich sollte niemand hungrig nach Hause gehen, aber essen ist mehr als nur Sättigung. Es ist ein Erlebnis und auch Inspiration. Man muss auch lernen, das Essen genießen zu können. Deswegen würde ich jedem Mal empfehlen, sich ein paar Stunden Zeit zu nehmen, um eine Sterneerfahrung zu machen. Vor allem jenen Menschen, die viel Wert aufs Essen legen. Wer lieber etwas Einfaches isst oder gerne Pizza essen geht, wird im Sternerestaurant nicht ganz glücklich werden. Man muss sich auch einlassen können auf neue Kombinationen und Geschmacksrichtungen und offenbleiben für Neues.

Lieblingsgericht?

Fleischkrapflan und Püree wenns die Mama macht. Ich glaube, dass jeder, der in der hohen Gastronomie kocht, auch das Einfache wieder gerne hat.