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„spätere Leser sollten wissen“

Vor kurzem ist das Buch "Blut ist nicht Wasser" von Armin Mutschlechner erschienen. Es berichtet aus dem Tagebuch des Jakob Stubenruß. Aber nicht nur.
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Foto: edition raetia

Salto.bz: Sie haben sich ausführlich mit dem historischen Tagebuch des Priesters Jakob Stubenruß auseinandergesetzt. Wie ist es Ihnen zugefallen? Und ab wann reifte der Gedanke, dass das Tagebuch Grundlage für eine zeithistorische Publikation im Raetia-Verlag werden könnte?

Armin Mutschlechner: Auf das Konvolut von 384 fein säuberlich in deutscher Kurrentschrift verfassten Seiten, bin ich im Zuge der Quellenforschungen für das Buch „Mühlbach bei Franzensfeste, 1897-1947“ (2020) gestoßen. Beim Querlesen über Stubenruß, was er in seiner "Spinger Zeit" von 1936 bis 1951 niedergeschriebenen hat. Da war mir klar, eine 1A-Quelle vorliegen zu haben, die es wert war publizistisch aufzuarbeiten, denn Stubenruß schrieb weit über den Spinger Tellerrand hinaus..
 

...sich mit Familienhistorie zu beschäftigen, ist oft schmerzhaft.


Wie lange haben Sie an dem Buch „Blut ist nicht Wasser“ gearbeitet?

Oh je … im Juni 2020 ging es los und im Juni 2022 habe das ich das Manuskript abgeliefert. Im Buch wird nicht nur das wiedergegeben, was Stubenruß aufgezeichnet hat, sondern aufgrund von Quellenforschungen werden auch viele Zusammenhänge aufgezeigt. Die Arbeit, diese Querverbindungen herzustellen und aufzuschlüsseln war sehr zeitaufwendig. Ich habe über viele Wochen Archivbestände gesichtet und ausgewertet, Quellenangaben der Fachliteratur überprüft, und Recherchen für Täter- und Opferbiografinnen gemacht. Zudem habe ich nicht nur in Spinges die Häuser und Höfe abgeklappert, um an Bildmaterial zu kommen.


Sie betonen in der im Buch an den Anfang gestellten „Gebrauchsanweisung“, dass Sie „Überbringer“ und nicht „Urheber“ der Niederschriften sind. Sind Sie besorgt, dass dies ein vielleicht nicht so schlauer Leser verwechseln könnte?

So unbedarft wird kein Leser sein, der mein Buch in die Hand nimmt. Es geht vor allem um die Nachgeborenen der Tätergenerationen. Ich wäre nicht der erste Autor, den man an den Pranger stellt, da er unrühmliche Sachverhalte aufzeigt. Die Wunden welche im Herbst 1939 durch die unsägliche Nazi-Propaganda geschlagen wurden, konnte ich bei Zeitzeugen oft erleben. 1945 kam der Deckel auf den Topf, und bis heute sind es oft Nachgeborene die auch im Lichte der Faktenlage es nicht wahrhaben wollen. Was für mich verständlich ist, denn sich mit Familienhistorie zu beschäftigen, ist oft schmerzhaft.

Wie lässt sich der Pfarrer Jakob Stubenruß in das manchmal verquere Geschichtsbild Südtirols einordnen?

Dazu sollten man im Buch die Biografie von Stubenruß lesen um seine Sozialisation zu verstehen. Aus heutiger Sicht ist er kein Antifaschist noch sonst ein politischer Aktivist. Manchmal ist er meines Erachtens den damaligen Regimen zu unkritisch. Im geht es um die Erfüllungen der Christenpflichten. Stubenruß kreidet es vor allem den Südtiroler Nazis an, dass Hitler gegen die katholische Religion ist. Am ehesten erscheint er mir als Alttiroler mit christlich-liberaler Prägung.  
Übrigens gab es damals nur ganz wenige Südtiroler, die Antifaschisten waren. Die Mehrzahl war antiitalienisch eingestellt, die mit den Nationalsozialismus kein Problem hatten.
 


Jakob Stubenruß war einerseits ein angesehener Pfarrer, andererseits sind seine konservativen Rückschlüsse aus heutiger Sicht natürlich auch Schüsse nach hinten. Wie nähert man sich als Freigeist dem Geist der Gedankenwelt eines Pfaffen?

Wie bei allen historischen Themen muss man die Erarbeitung im Kontext der jeweiligen Epoche sehen, und nicht den Wertekanon von heute überstülpen. In den nunmehr publizierten Aufzeichnungen Stubenruß' überwiegen weltliche Themen, und wie er die bewegten Jahre vor allem ab 1939 erlebte. Das Buch ist keine theologische Auseinandersetzung mit Stubenruß.

Was trieb Stubenruß überhaupt an, ab 1936 Tagebuch zu schreiben?

Stubenruß schrieb schon in seiner Zeit als Pfarrer in Winnebach (1924-1936) Pfarrchronik. Diese habe ich auch eingesehen, denn wie erwähnt sind Quellenstudien, das Um und Auf, wenn man seriös publizieren will. Ab September 1940 deklariert Stubenruß die Spinger Pfarrchronik zu seinen privaten Aufzeichnungen. Damals hatte das bischöfliche Ordinariat in Brixen den Nazis der Abwanderungsstellen erlaubt, die Pfarrarchive zu durchforsten. Man wollte Daten über die Erbgesundheit der Südtiroler erheben. Dazu ist es nicht gekommen, da die Kurie mit dem Nazi-affinen Generalvikar Alois Pompanin (1889-1966) an der Spitze, vom Vatikan zurückgepfiffen wurde. Stubenruß wollte jedenfalls, dass seine Aufzeichnungen gelesen werden, wenn er schreibt „spätere Leser sollten wissen“.
 

Dies zeigt die wahre Größe von Stubenruß, denn kein anderer Priester hat das damals gewagt, dem Generalvikar in seiner Pro-Abwanderungs-Haltung zu widersprechen.


Wie wurde das kleine Dorf Spinges zum „Musterdorf“ des Nationalsozialismus?

Vermutlich weil es ein kleines Bergdorf mit einer überschaubaren Einwohnerzahl von gut 200 Menschen war. Zudem waren die damaligen maßgeblichen Dorfgrößen vereidigte des „Völkischen Kampfrings Südtirols“ (VKS), der nationalistisch ausgerichtet war und auf dem Führerprinzip basierte. Stubenruß nennt es das „Hitlertum“ von Spinges.

Hitlertum, Ahnenpässe, Soldatenschicksale oder Option. Wie ist der Blickwinkel von Stubenruß – einerseits auf die großen Machthaber, andererseits auf die kleinen Dinge im Dorf?

Wie bereits erwähnt, Stubenruß ging es gegen den Strich, dass es gegen die Religionsausübung ging. Aber er reflektiert beispielsweise die italienischen Rassengesetze von 1938 nicht kritisch. Den Dorfbewohnern zeigt er ungeschminkt die Propagandalügen zum Options-Herbst von 1939 auf. Und er hat auch die Courage Genrealvikar Pompanin 1940 einer Propagandalüge zu überführen. Dies zeigt die wahre Größe von Stubenruß, denn kein anderer Priester hat das damals gewagt, dem Generalvikar in seiner Pro-Abwanderungs-Haltung zu widersprechen.
 


In einem Kapitel geht es auch um die Abwandererpfarrer Hans Dejaco und den Architekten des Todes Walter Dejaco. Was haben Sie mit Stubenruß zu tun?

Priester Hans Dejaco (1903-1968) ist ab 1937 Pfarrer in Mühlbach, Spinges gehört zur Marktgemeinde Mühlbach. Dejaco war ein verblendeter Nazi, der unter anderem 1940 in Spinges für Hitlerspenden geworben hat. Dejaco warb offen für das Abwandern und die von ihm kritisierten, wie der Brixener Geistliche Karl Staudacher (1875-1944), wurden von Dejacos Busenfreund Pomapnin abgewatscht und landeten im Gefängnis. Pompanin bekommt 1958 das Ehrenzeichen des Landes Tirol. Der im Juli 1942 zur Betreuung von Optanten ins Reich abgewanderte Dejaco ging nicht freiwillig. Baumeister Walter Dejaco (1909-1978) war sein Cousin und legte eine SS-Karriere hin. Ab Juni 1940 ist er in der Bauleitung im Vernichtungslager Auschwitz beschäftigt, und ab 1941 dort leitend tätig. Er war verantwortlich für die Errichtung und den Betrieb der Gaskammern und der Krematorien. Die Aufarbeitung, die Nennung von Namen und Fakten, die Opfer- und Täterbiografien in Bezug auf Nationalsozialismus und Faschismus wurden (und werden) gern unter den Teppich gekehrt. Nicht nur in Südtirol.  
 

Insofern würde ich mir ein zentrales sprachgruppenübergreifendes Mahnmal für alle Opfer von Regimen in Südtirol wünschen.


Wie viel „Staub“ – zum Aufwirbeln und Hinterfragen für ein umfassenderes Geschichtsverständnis – liegt noch im Verborgenen?

Sehr viel! Ich habe mit dieser Publikation auch aufgezeigt, dass bei vielen von der Fachwelt bereits aufgearbeiteten Hintergründen zur Optionsgeschichte, der Tiefgang fehlt, da es viel kleinteilige Arbeit ist.
Und zum Staub: Warum ist bisher keiner – seit Friedl Volgger im Spätherbst 1945 – auf die Idee gekommen nach Südtirolern Opfern des Nationalsozialismus zu suchen? Über hundert finden sich in meinem Buch. Sie hatten bisher durch die Südtiroler Geschichtsschreibung noch keine Namen. Von den 121 publizierten KZ-Opfern sind gut die Hälfte umgekommen. Es sind Opfer, die teils von Südtiroler Tätern verschuldet sind, und in den Nachkriegsjahrzehnten von der Wehrmachtsgeneration totgeschwiegen wurden. Weitgehend ist das Opfer-gedenken eine rein italienische Angelegenheit, und landauf und -ab werden Kränze bei nicht mehr zeitgerechten „Heldengedenken“ niedergelegt. Insofern würde ich mir ein zentrales sprachgruppenübergreifendes Mahnmal für alle Opfer von Regimen in Südtirol wünschen.