Chronik | Autonomie

Weht ein neues Lüftl?

Ein Lüftl von autonomiefreundlichen Worten und auch Taten weht übers Land, das vor ein paar Monaten noch niemand für möglich gehalten hätte.

Wir haben sie fest verinnerlicht, diese Bilder des autonomiefressenden Renzi, jene der Nachbarregionen, die vor Neid platzen, wenn sie an die „Sonderprivilegien“ von Trentino-Südtirol denken. Man glaubt, die Mechanismen zu kennen und ist dann fast enttäuscht, wenn das Erwartete nicht eintrifft, sondern eben Schritte, die in die richtige Richtung weisen. In den letzten Wochen ist das mehrfach geschehen.
 

Grünes Licht für Magasa und Valvestino aus Mailand

Eine erste Überraschung kam aus Mailand, wo der Lombardische Regionalrat Mitte April eine Eingabe der Lega Nord für gut geheißen hat, dem Provinzwechsel der beiden Gemeinden Magasa und Valvestino grünes Licht zu geben. Bereits 2008 hatten sich die zusammen gerade einmal 350 Seelen zählenden Gemeinden per Referendum für den Anschluss ans Trentino ausgesprochen. Anders als etwa die Belluneser Gemeinden des Agordino gehörten Magasa und Valvestino zum historischen Tirol und wurden unter Mussolini noch vor der „hohen Zeit“ des benachbarten Salò 1934 der Provinz Brescia zugeschlagen. Nachdem Historie hierzulande das einzig wahre Argument ist, hatte unser Regionalrat sich schon länger positiv für den Anschluss ausgesprochen. Seitdem liegt ein von Franco Panizza (PATT) eingebrachter Gesetzesentwurf dem römischen Parlament vor.

Natürlich gehören Magasa und Valvestino nicht zum Lombardischen Tafelsilber; natürlich freuen sich die Nachbargemeinden Tignale, Gargnano und Capovalle künftig Grenzgemeinden zu werden, und damit beim Grenzfond mitnaschen zu dürfen.

Trotzdem ist es überraschend, dass im autonomiefeindlichen Jahre 2015 der Regionalrat der Lombardei sich des Themas annimmt und ohne Gegenstimme (sic!) dem per Referendum zum Ausdruck gebrachten Volkswillen zustimmt. Selbst die zum Großteil dem PD zugeschriebenen zwölf Enthaltungen lassen sich durchaus nachvollziehen, wenn man sich die Mühe antut, sich in die Regionalratsdebatte einzuhören (Mozione 365). Bemerkenswert an dieser Debatte ist, dass kein einziger Tropfen bösen Blutes gegen unsere Autonomien vergossen wurde. Vielmehr werden wir im Wettbewerb der Systeme als bewundernswerte Gewinner dargestellt, freilich nicht ohne Nebenbemerkung, dass man sich seitens Rom bei den Autonomiebestrebungen der Lombardei ähnlich liberale Unterstützung erwartet.

In Sachen Magasa und Valvestino liegt der Ball jetzt ohne Wenn und Aber in Rom.
 

Die Rettung der Handelskammern

Der zweite Punkt zeugt von den geradlinigen Zick-Zack-Bemühungen bei der Rettung  des Stiefelstaates: Nachdem das erst letztes Jahr umgesetzte Delrio-Gesetz zur Aushöhlung der Provinzen folgerichtig auch den provinziellen Institutionen an den Kragen wollte (so etwa hätte die Handelskammer Bellunos in jene von Treviso eingegliedert werden sollen) hat jetzt der Veltliner PD-Senator Mauro Del Barba es erreicht, dass der Vorgang für die drei Provinzen mit der specificità montana, also Verbania, Sondrio und Belluno ausgesetzt wurde. Es ist ein fast höhnisches Nullsummenspiel, da an den angedachten Einsparungen nicht gedreht wird. So kann man den Worten der Handelskammer Treviso Kopfschütteln über das politische Chaos und die fehlenden Planungssicherheit entnehmen. Dennoch ist es für die drei Provinzen ein wichtiger Etappensieg, im Bestreben nach Autonomie ihre Eigenständigkeit zu verteidigen.


Das unmoralische Angebot des PD

Der dritte Punkt ist in Sachen demokratischer Bedenklichkeit kaum zu überbieten. Nachdem das Delrio-Gesetz den „Landtag“ der Provinzen mit Normalstatut defacto abgeschafft hatte (so wird Belluno heute von indirekt bestimmten Bürgermeistern und Gemeinderäten verwaltet), kam jetzt der in Rom regierende PD aus Panik vor einem Erfolg Matteo Salvinis bei den anstehenden Regionalratswahlen im Veneto auf folgende Schildbürgerformel:

Wenn ihr mich bei den Regionalratswahlen unterstützt, verspreche ich euch das zurück, was ich euch gerade eben genommen hatte.

Konkret: Der PD verspricht den Bellunesern, ihren Präsidenten und Landtag wieder direkt wählen zu dürfen.

Belluno hat rein zahlenmäßig im Veneto überhaupt kein Gewicht. Auch sieht es das Venezianische Wahlrecht vor, dass eine Partei in mindestens drei Provinzen antreten muss, um bei den Regionalwahlen mitmachen zu dürfen. So blieb den Belluneser Autonomisten gar nichts anderes übrig, als mit dem Teufel ins Bett zu steigen, und mit dem PD ein Abkommen zu unterzeichnen. Gianclaudio Bressa, Lorenzo Dellai und Herbert Dorfmann haben da wohl mächtig mitgemischt und letzterer applaudiert ganz realpolitisch:

“senza amicizie o antipatie, ma con l’obbiettivo di portare a casa il massimo beneficio possibile per la propria terra”

Ganz in diesem Sinne steigt der BARD hinab in das Reich der politischen Moral und unterstützt die PD-Kandidatin Alessandra Moretti auf ihrem Weg vom Europaparlament an die Venezianische Regierungsspitze. Da lohnt ein genauerer Blick auf das PD/BARD-Abkommen:

I sottoscrittori del presente accordo si impegnano a: riconoscere, in tutte le fasi di attuazione legislativa delle riforme, la specificità delle aree montane, con particolare riferimento a quelle interamente montane, confinanti con stati esteri e caratterizzate da rilevanti minoranze linguistiche come la Provincia di Belluno; a proporre e sostenere con specifico provvedimento legislativo, all’interno del percorso delle riforme e a valle dell’applicazione concreta della legge 56/2014, la possibilità di procedere per Statuto all’elezione diretta del Presidente e del Consiglio nelle aree vaste interamente montane come quella di Belluno, anche equiparando gli organi di rappresentanza di queste ultime a quelli delle città metropolitane.

Es sind also die sprachlichen Minderheiten, die die Provinz Belluno zu der Auserwählten unter den Auserwählten statuieren. In der Beobachtung, dass die deutsche Sprachinsel Sappada/Plodn sich erneut aufbäumt, um den Wechsel zur Region Friaul-Julisch-Venetien endlich zu vollziehen; in der Beobachtung, dass die drei alttiroler, ladinischen Gemeinden des Suramunts sich gerade mit der Ernennung von Luca Agostini als Vertreter in der Europaregion einen beherzten Ruck in Richtung Südtirol gegeben haben, rinnt den Bellunesern das Argument der sprachlichen Minderheiten wie Sand durch die Finger.

Es ist ein laues Lüftl - kein frisches, das da weht. Aber wenn man es zu segeln versteht …