Mattarella, Sergio
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Politik | Regierungsbildung

Die Einsamkeit des Präsidenten

Der Staatspräsident gewährt den Parteien eine letzte Anhörung. Bleiben sie weiter uneinsichtig, will er im Alleingang über eine neue Regierung entscheiden.

Genau zwei Monate nach der Wahl herrscht in Kammer und Senat gähnende Leere. Die neugewählten Volksvertreter streichen ihre satten Gehälter ein und drehen die Daumen. Nach Rom brauchen sie erst gar nicht zu fahren.  Denn dort ist seit  60 Tagen der grosse Eiertanz angesagt. Luigi di Maio lehnt eine Koalition mit dem Rechtsbündnis ab, Lega-Chef Salvini bezeichnet ein Einvernehmen mit dem Partito Democratico als Horrorvision. Dessen Übergangsvorsitzender Martina, der sich kaum der parteiinternen Gegner um  Renzi erwehrt, schlägt der Fünf-Sterne-Bewegung die Türe zu.  Die mit Berlusconi verbündete Postfaschistin Meloni kündigt gar an, vom Staatspräsidenten einen incarico pieno für das Rechtsbündnis zu fordern. Ein Tollhaus, das auch einen geduldigen Mann wie Mattarella zu nerven beginnt.
Die Vorstellung, die der Eiertanz der römischen Politik den Bürgern der Halbinsel und den kritischen Bündnispartnern in Brüssel gewährt, ist in der Tat wenig erbaulich. Von Verantwortungsbewusstsein keine Spur. Jeder zieht es vor, die heisse Kartoffel möglichst rasch an den anderen weiterzureichen. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind an der Tagesordnung. Der Partito Democratico hat auf seiner Vorstandssitzung die Implosion der Partei vermieden und den Konflikt  auf eine Vollversammlung in zwei Wochen vertagt.
Am Montag zieht der frustrierte Staatschef eine neue Beratungsrunde mit allen Parteien durch, deren Vorschlägen er "Rechnung tragen" will.  Zu erwarten sind jedoch erneut Forderungen, die sich gegenseitig ausschliessen. In früheren Jahrzehnten entschied man sich in solch ausweglosen Situationen für ein governo balneare, ein Strandkabinett, das den Sommer überbrücken sollte.

Das reicht diesmal freilich nicht aus. Mattarella wünscht sich eine Regierung, die mindestens bis zum Jahresende amtiert - noch besser bis zum 17. Mai 2019, dem Tag, an dem die EU-Wahlen stattfinden. Mit einer Zusammenlegung beider Wahlgänge könnten viele Millionen gespart werden.

Niemand glaubt freilich daran, dass es dem Staatschef gelingen kann, die Streithähne zu einem vernünftigen Kompromiss zu bewegen. Doch seine Warnung ist unmissverständlich:  er werde selbst  entscheiden, wenn aus den Parteien keine brauchbaren Vorschläge kämen.
Was sich am düsteren Horizont abzeichnet, ist ein governo di tregua - ein Waffenstillstand. Mattarella könnte den Regierungsauftrag an einen ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts oder des Staatsrats erteilen, der versuchen muss, ein politisch ausgewogenes Kabinett zu präsentieren.  Offen bleibt die Kernfrage, ob diese Regierung die obligatorischen Vertrauensabstimmungen in Kammer und Senat überstehen kann. Als Schlüsselproblem jedoch erweist sich einmal mehr das unerlässliche neue Wahlrecht - ein Thema, bei dem das Parlament in den letzten Jahren für denkwürdige und europaweit einmalige Kapriolen gesorgt hat - vom Porcellum bis zum Rosatellum. Lega-Chef Matteo Salvini fordert den Regierungsauftrag einmal mehr für sich .
Mattarella wird diesen Wunsch wohl kaum erfüllen. Aber er könnte ihn unter gewissen Bedingungen an Salvinis Vize Giancarlo Giorgetti erteilen - das freundliche und gemässigte Gesicht der Lega. Prognosen sind im Machtpoker der aufgeregten Parteien unmöglich. Bereits in wenigen Tagen könnte Italien von einem öffentlich weitgehend unbekannten Mann wie Giorgio Lattanzi regiert werden - dem Präsidenten des Verfassungsgerichts. Folge der Unfähigkeit der auf sich selbst konzentrierten Parteien, die sich trotz ihres täglichen Versagens noch immer als Heilsbringer verstehen. Am längeren Hebel sitzen sie in jedem Fall: um die von ihnen gewünschten Neuwahlen zu erzwingen, brauchen sie der neuen Regierung nur das Vertrauen zu verweigern.
Doch nichts berechtigt zur Annahme, dass Italiens politikmüde Bürger dann nicht so verfahren wie letzthin im Friaul, wo sich kaum die Hälfte der Wahlberechtigten am Urnengang beteiligte. Eine für die Zukunft der Demokratie bedrohliche Entwicklung.

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Mensch Ärgerdi… Fr., 04.05.2018 - 11:19

Eine technische Regierung angeführt durch einen Verfassungsrechtler, könnte spielend ein neues, ordentliches und sauberes Wahlgesetz vorschlagen. Das Problem dabei sind die Parteizentralen, welche sich nichts weniger wünschen als Stabilität!

Fr., 04.05.2018 - 11:19 Permalink
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Martin Daniel Sa., 05.05.2018 - 08:33

Ins Auge sticht die unterschiedliche Haltung des PD im Vgl. zur SPD. Während letztere schließlich zum Wohle der Regierbarkeit des Landes das Risiko einer neuerlichen GroKo einging, dreht sich der PD nur um sich selbst und nimmt die Instabilität des Landes und - bei Neuwahlen - die eigene Auslöschung in Kauf.

Sa., 05.05.2018 - 08:33 Permalink