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Südtirol wie die Emilia-Romagna?

Die Gefahr für Hochwasser und Erdrutsche ist in Südtirol überschaubar. Das besagen zumindest offizielle Daten. Wo laut ISPRA das Risiko am größten ist.
Hochwasser
Foto: Pixabay

“Ähnliche Ereignisse werden immer häufiger und weiter verbreitet auftreten. Und auch Südtirol wird nicht davor gefeit sein.” Die Ereignisse, von denen der Klimatologe Georg Kaser beim Tag der Gemeinden vor der versammelten Bürgermeister-Riege des Landes Ende Mai in Terlan sprach, sind solche, wie es sie Mitte Mai und Anfang Juni erneut in der Emilia Romagna gegeben hat: tagelanger Starkregen nach einer Trockenphase, der zu großflächigen Überschwemmungen und Zerstörungen von Lebensräumen führt. “Vielleicht nicht sofort, vielleicht in zehn oder fünfzehn Jahren, aber es wird passieren”, so Kasers Prognose für Hochwasserereignisse in Südtirol. Das Risiko dafür steigt aufgrund des fortschreitenden Klimawandels und menschlicher Tätigkeiten – allen voran der Verbauung –, die zu Versiegelung und somit dazu führen, dass der Boden weniger Wasser aufnehmen kann.

Wie groß das Hochwasserrisiko aktuell ist, das ermittelt das staatliche Höhere Institut für Umweltschutz und -forschung ISPRA (Istituto Superiore per la Protezione e la Ricerca ambientale) regelmäßig – für die einzelnen Regionen, Provinzen und Gemeinden in ganz Italien. Dabei wird unterschieden, ob das Risiko hoch (elevato), mittel (medio) oder niedrig (basso) ist. Laut den ISPRA-Berechnungen ist die hydrologische Gefahr in Südtirol derzeit – die aktuellsten Daten beziehen sich auf das Jahr 2020 – erstaunlich überschaubar.

 

Italien: Am Po am riskantesten

 

Die Gefahrenszenarien errechnet das ISPRA auf Grundlage von Daten, die die territorial zuständigen Einzugsgebietsbehörden (Autorità di Bacino) bereitstellen. Deren gibt es staatsweit sieben, die für folgende Distrikte zuständig sind: Po, Sardinien, Sizilien, Nordapennin, Zentralapennin, Südapennin und die Ostalpen, zu dem auch Südtirol zählt.

Distrikte Autorità Bacino
Sieben Distrikte: In Italien gibt es sieben Gebietsbehörden, die die jeweiligen Wassereinzugsgebiete überwachen. (Grafik: ISPRA)

 

Die Regionen in Italien, die am stärksten von Hochwasser gefährdet sind, liegen mit Emilia-Romagna (47 % der Fläche, 70 % der Bevölkerung) und Veneto (32 % der Fläche, 32 % der Bevölkerung) entlang des Po-Deltas. Auch in der Toskana (21 % der Fläche, 64 % der Bevölkerung) und in Kalabrien (17 % der Fläche, 14 % der Bevölkerung) herrscht ein verbreitetes Risiko.

2020 betrifft ein erhöhtes Hochwasserrisiko ein Fünftel der italienischen Bevölkerung: 12,3 Millionen Menschen. In insgesamt 260 von 7.900 italienischen Gemeinden ist die gesamte Bevölkerung einem hydrologischen Risiko ausgesetzt. In 426 Gemeinden liegt der Anteil der gefährdeten Bevölkerung bei über 90 Prozent.

In Südtirol ist nur knapp ein Prozent der Landesfläche, etwa 71 von 7.400 Quadratkilometern, von einer (mittleren) Hochwassergefahr betroffen. Auf dieser Fläche leben zehn Prozent der Bevölkerung und es befinden sich dort acht Prozent der Gebäude sowie ein gutes Zehntel der Räumlichkeiten von Unternehmen des Landes. Zum Vergleich die Situation im Trentino: Dort betrifft die Hochwassergefahr 4,5 % der Landesfläche, ein Viertel der Bevölkerung, 22,8 % der Gebäude und fast ein Drittel der Wirtschaftsgebäude.

Hochwasserrisiko in Italien
Je dunkler, desto gefährdeter: Die Karte der Data-Journalism-Plattform Openpolis zeigt die Verbreitung des Hochwasserrisikos. (Karte: Openpolis)

 

 

Südtirol: Gefahr nur in einzelnen Gemeinden

 

In sieben der 116 Südtiroler Gemeinden liegt der Anteil der Bevölkerung, der sich einem hydrologischen Risiko ausgesetzt sieht, bei rund einem Fünftel: Bruneck, Burgstall, Glurns, Klausen, Salurn, Terlan, Waidbruck. In vier Gemeinden ist etwa ein Viertel von der Gefahr durch Hochwasser betroffen: Gais, Meran, Montan, Taufers im Münstertal. In weiteren vier Gemeinden sind deutlich mehr als ein Viertel der Bewohner gefährdet: Sexten (35,9 %), Neumarkt (37,1 %), Niederdorf (46,2 %) und Tramin, wo der Anteil mit 62,4 % annähernd zwei Drittel beträgt. In Tramin und Niederdorf ist auch der Anteil der gefährdeten Gebäude und Unternehmen mit 57 % bzw. 59,6 % (Tramin) und 49,8 % bzw. 59,8 % (Niederdorf) am höchsten.

In ganzen 65 Südtiroler Gemeinden und damit mehr als der Hälfte liegt das Hochwasserrisiko laut den Berechnungen des ISPRA bei Null.

 

 

Genauso wie das hydrologische ermittelt ISPRA auch das Risiko für Massebenwegungen, konkret für Erdrutsche. Dabei gibt es vier Risiko-Szenarien: ein sehr hohes (molto elevato), hohes (elevato), mittleres (medio) und mäßig (moderato). Wenn man alle vier Szenarien berücksichtigt, zeigt sich, dass in Gemeinden mit stärkerem Risiko für Überschwemmungen auch jenes für Erdrutsche höher ist (z.B. Tramin oder Sexten) – zumal die beiden Ereignisse häufig einhergehen. 

 

 

Alles in allem aber stuft das ISPRA die allermeisten Gemeinden als so gut wie risikofrei ein. Überraschen kann das auch, wenn man zum Vergleich das Trentino betrachtet: Dort ist – immer gemäß ISPRA-Kalkulationen – die Erdrutsch-Gefahr deutlich weiter verbreitet. Und das, obwohl es laut ISPRA-Datenbank der Massebewegungen zwischen 2018 und 2022 in Südtirol 120 Ereignisse gegeben hat – vier Mal so viele wie im selben Zeitraum im Trentino.

Erdrutschrisiko ISPRA
Keine Gefahr? Laut ISPRA ist das Risiko für Erdrutsche in Südtirol ungleich niedriger als etwa im Trentino (je dunkler der Rotton, desto höher das Risiko). (Karte: ISPRA)

 

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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Do., 08.06.2023 - 06:08

Antwort auf von Daniel Demichiel

Wenn in Südtirol in kurzer Zeit ähnliche Regen-Mengen wie in der Emiglia Romagnia bis in die höchsten Bergen fallen, werden alle Gemeinden von erheblichen Problemen betroffen.
Südtirol hatte b i s h e r den Vorteil, dass bei bei extremen Niederschlägen, über 1.500 Meereshöhe Schnee gefallen ist, der erst zeitlich verzögert allmählich bei den "kanalisierten Wasser-Ableitungen" angekommen ist.

Do., 08.06.2023 - 06:08 Permalink