Kultur | Kommentar

Der mit dem Weinberg tanzt

Der Tambora ist schuld. Nur, die Menschen wissen’s nicht im fernen Jahr 1816 - eine historische Hungersnot in Tirol, weltfremder Adel und auch „Die Wölfe“ plagen sie.
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Foto: Fotograph: Stephan Pircher | Fotorechte Meraner Festspiele
Es dauert keine zehn Sekunden, bis im Stück von einer Existenzbedrohung die Rede ist. Damit ein genaues Echo von einem der drei Eröffnungsredner, die da waren Bauernbunds-Obmann Leo Tiefenthaler, Forstwirtschaftslandesrat Arnold Schuler und Bischof Ivo Muser. Ersterer stellt das Schreckgespenst einer großen Resignation der Bauern in den Raum, spricht von steigenden Spesen und sinkenden Einnahmen, sowie der zusätzlichen Belastung durch den Wolf.
Man verwendet das Stück als „historischen Spiegel“, außer wenn es unbequem ist, etwa wenn Off-Stage häusliche Gewalt zu hören ist, oder ein Graf davon spricht „eine Frau, die sich mir widersetzt, die ich niederringen muss wie ein Wölfin“ zu begehren und man das Gefühl hat, hier wird schweigend mit einem Schulterzucken und einem „So war es damals halt“ reagiert. Zur Premiere von Luis Zaglers Stück ging ich, weil ich vorab in einem Interview von Festspielpräsidenten Philipp Genetti mit dem „Südtiroler Landwirt“ gelesen hatte, es gehe darum, „dass möglichst viele Zuseher, die sich bislang nicht mit den Folgen der ungebremsten Wolfsausbreitung beschäftigt haben, durch die Aufführungen sensibilisiert werden“.
Ich wollte wissen, ob man es sich einfach und man Stimmung gegen den Wolf machen würde, oder ob es wirklich darum ginge, eine Sensibilität für das Thema zu schaffen, etwas was über erhitzte Gemüter und festgefahrene Fronten hinausginge. Die Handlung des Stücks ist schnell erzählt: Die Bauern wollen Wölfe schießen, die ihre Existenz bedrohen, aber dürfen nicht. Der Richter würde ihnen gerne helfen, aber darf nicht. Der Graf möchte die schöne Maria, aber darf sie nicht haben. Ein Wilderer wird angeheuert und bekommt den Auftrag, die Wölfe zu töten, obwohl er nicht darf.
Sicher war auch der Umgang vor zweihundert Jahren ein gänzliche anderer, aber historisch unsensibel zeigt man sich alle mal, etwa auch im sogenannten Cripping Up einer Bäuerin mit Sprachstörung, also der Besetzung mit einer Schauspielerin ohne Beeinträchtigung. Meine Kritik geht dabei nicht an die Laien auf der Bühne, sondern die, die es besser wissen müsste: Die Österreicherin Judith Keller, welche das Stück für die bei der Premiere anwesende Echoblase umgesetzt hat.
 
 
Die einzigen beiden Figuren, die so etwas wie eine Gegenposition vertreten hätte - und die gab’s nur in einer Facette: Verklärung - waren der romantisierende Graf und der Wilderer Fex, welcher sich außerhalb der gesetzlichen Räume bewegt. Gerade im Grafen bringen wir diesen Blickpunkt mit der größten Negativfigur des Stückes in Verbindung. Beim Wilderer ist es so, dass er am Ende doch der ist, der die Wölfe schießt.
Spätestens als Michael Arnold als Hirte Wolfram (dennoch der beste Schauspieler des Abends) einen Wolfriss in Form eines blutig tropfenden Sacks demonstrativ in die ersten Publikumsreihen trägt, ist das ganze zu dick aufgetragen und viele Zuseher blocken ab. Als der Wilderer Fex im verwirrend strukturierten Stück ohne sichtlichen Grund dann doch noch zum Töten  der Wölfe übergeht, ohne dass seine Bezahlung bereit stünde - warum auch immer - wird sein Kampf mit unpassenden E-Gitarren und Blaulicht für den ganzen Weinberg hinter der Bühne umrahmt und als Feuershow mit Wolfsjaulen zwischen den Reben gezeigt. Die meisten Lacher des Abends erhielt diese dramatisch gedachte, unfreiwillig komische Szene mit mindestens sieben toten Wölfen.
Am Ende des Stückes verstärkt sich noch einmal das Gefühl, dass hier ein nicht ganz ausgegorenes Werk auf die Bühne kam: Um zum Abschluss der Handlung zu kommen gibt’s, nachdem die Hüter von Recht und Ordnung trotz Kasperle-Theater-Effizienz alle verschwörerischen Bauern dingfest machen konnten, noch eine Szene vor Gericht und an deren Ende eine weitere Gerichtsverhandlung als Nacherzählung. Ein Deus Ex Machina Moment, wie er im Buche steht.
Ein Diskussionsanstoß zu einer differenzierten Auseinandersetzung ist das keiner, hier wird Propaganda gemacht. Nun will ich nicht sagen, dass gelogen wird. Propaganda ist eine gewisse Art, Information zu präsentieren. Der Duden bezeichnet Propaganda als „systematische Verbreitung politischer, weltanschaulicher o. ä. Ideen und Meinungen mit dem Ziel, das allgemeine Bewusstsein in bestimmter Weise zu beeinflussen.“ Die Richtung in die sich das allgemeine Bewusstsein verschieben sollte, ist allzu transparent, sind doch in dem historischen Stück zahlreiche Sätze darauf ausgelegt, dass sich einer klug vorkommen mag, wenn er sich denkt: „Genau wie heute!“. Ich denke da etwa an ein „Es gibt ja genug freies Land überall“ oder ein „Früher durften wir uns verteidigen“.
Man rühmt sich bei der Premiere ein tagesaktuelles Thema aufzugreifen, da just am Freitag passend auf der Titelseite des Medienpartners Dolomiten wieder ein Artikel zum Thema die Titelseite ziert. Aber Ruhm hat sich hier keiner welchen errungen.