Gesellschaft | 10 Jahre Waldhüttl

„Traurig, dass es ein Waldhüttl braucht“

An historisch wichtiger Stelle im Grünen, außerhalb von Innsbruck steht das Waldhütl. Der Obmann der Vinzengesellschaft Jussuf Windischer zu 10 Jahren Tätigkeit.
Waldhüttl:
Foto: VINZIHerberge Waldhüttl
Seit November 2012 finden im Haus, welches über einen weitläufigen Garten zum Gemüseanbau verfügt, Menschen in Not einen Platz, insbesondere Roma und Romnja, für die sich Jussuf Windischer, bürgerlich Josef, gemeinsam mit seiner Frau Vroni, strak macht. Das Haus im Besitz des Stifts Wilten war zur Zeit des 2. Weltkriegs Treffpunkt für die Widerstandsgruppe „Freies Österreich“, deren Mitglieder verraten, deportiert und vielfach in Folge im KZ ermordet wurden. Eine Gedenktafel erinnert an die Geschichte. Heute ist man Kultur- und Zufluchtsort gleichermaßen und hat auch den Abbau von Vorurteilen zur Mission gemacht. Ein Anlass dazu könnte die 10-Jahresfeier am Samstag sein.
 
 
Salto.bz: Herr Windischer, das Waldhüttl feiert am Wochenende sein zehnjähriges Bestehen. Lässt sich abschätzen wieviele Personen in dieser Zeit im Haus waren?
 
Jussuf Windischer: Wir haben mit zehn Mitbewohnern angefangen, mit welchen wir die Sanierungsarbeiten am Gebäude und Zuhäusl vorgenommen haben. Nach einem Jahr, als die Fensterstöcke und alles andere in Ordnung waren, war es voll belegt, durchgehend mit 30 Bewohnerinnen und Bewohnern. 15 Leute kommen aus der Slowakei, Romas und Romnjas, 15 aus Rumänien, aus Valea Manastirii.
 
Wie lange bleiben die Bewohner in der Regel?
 
In der Regel bleiben die Bewohner die aus der Slowakei, aus Tornaľa kommen, zwei bis drei Wochen dort und fahren dann wieder heim um ihren Familien Geld zu bringen. Die Rumänischen Roma fahren zu den großen Festen heim, ca. alle drei, vier Monate, zu Ostern, im Sommer und an Weihnachten, da es doch 2000 Kilometer sind. Was die Konstellation anbelangt, sind 80 Prozent immer die selben und 20 Prozent wechseln.
 
Wie schafft man einen Raum, der sicher ist und in dem sich Menschen, die oft Vorurteilen ausgesetzt sind auch sicher fühlen?
 
Für uns ist es sehr wichtig, dass wir kein Ghetto sind, also nicht eine abgeschlossene Vinzi-Herberge. Uns - und auch den Roma - sind Besuche sehr wichtig, weil das Problem auch nicht die Roma sind, sondern der Antiziganismus. Deshalb ist es so wichtig, dass die Zivilbevölkerung am Prozess teilnimmt. Wir haben im Jahr an die 800, 900 Besucher:innen, die vorbei schauen. Vor allem Jugendliche kommen als Gruppen und informieren sich über die Situation der Roma.
 
Im Raum Tirol wird viel vom „Roma Problem“ gesprochen, aber das ist ja nicht das Problem der Roma.
 
Wie verbreitet ist dieser Antiziganismus nach Ihrer Wahrnehmung in Tirol?
 
Im Raum Tirol wird viel vom „Roma Problem“ gesprochen, aber das ist ja nicht das Problem der Roma. Das Problem ist, dass sie zu einer Volksgruppe gehören, die in ihren Ursprungsländern oft Rassismus ausgesetzt ist und auch unter Arbeitslosigkeit, schlechten Wohnverhältnissen und Diskriminierungen leidet. Deswegen kommen sie in Länder, in denen es möglich ist, etwa als Tagelöhner, Erntehelfer, Zeitungsverkäufer oder Musiker zu arbeiten.
 
 
Das Waldhüttl ist auch historisch ein Ort des - damals antifaschistischen - Widerstands. Wogegen gilt es heut Widerstandsarbeit zu leisten?
 
Wir haben gerade gestern Abend (3. Oktober) gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern über das Widerstandsdenkmal nachgedacht. Es ist ihnen bewusst, dass Juden, Roma, Homosexuelle und andere Minderheiten in der Nazi-Zeit verfolgt worden sind und dass es heute wieder, auch politische, Parallelen gibt. Der Orbánismus ist auch in Österreich wieder, und - soviel ich weiß - auch in Italien am Zug, durch die rechts-konservativen oder auch rechts-radikalen Parteien, die mit Feindbildern arbeiten. Insofern ist es wichtig, dass das Denkmal ein lebendiges ist. Im Waldhüttl wurde ein antifaschistischer Widerstand gelebt und verfolgt.
Es ist interessant, gerade wenn Jugendliche kommen, dann hört man von vielen, wenn man fragt, wie es heute aussieht: „Ja, es gibt wieder einen Rassismus an Asylwerbern, Menschen mit anderer Kultur oder Sprache.“ Es ist die Verachtung von Leuten, die nicht der Mehrheitsgesellschaft entsprechen.
Als zweites findet die Umweltzerstörung immer öfter Erwähnung. Auch die Jugendlichen von Fridays For Future treffen sich im Waldhüttl, in ihrer Planungszeiten.
 
Sie beschreiben das Waldhüttl als einen politischen Ort. Hat man das angestrebt, oder hat sich das aus der Tätigkeit ergeben?
 
Das ist ein Prozess der durch das anfing, was Armutsmigranten aus der Slowakei und Rumänien erzählen, die unter anderem auch Opfer der Umweltzerstörung sind. Wenn zum Beispiel in der Südslowakei Subsistenzwirtschaft nicht mehr möglich ist, dann weil Investoren und Spekulanten Land aufgekauft haben - so haben die Roma keine Weidefläche mehr, weil die Flächen für Monokultur oder anderes gebraucht werden. Das trifft auch die Rumänen: Sie wohnen zwar am Ende der Welt, aber dort sind auch Wälder. Bis dato durften sie aus diesen Fallholz hohlen, aber inzwischen gehören auch diese Flächen oft Investoren. Sie dürfen nicht mehr Holz sammeln. Die Umwelt wird von Spekulanten beansprucht und teilweise zerstört und sas hat eine unmittelbare Landflucht zur Folge. Diese politische Dimension wird immer stärker.
 
Im letzten Jahr waren etwa zwanzig Zapatisten aus Mexiko zu Gast. Sind solche interkulturellen Begegnungen freundschaftlich, oder kann es zu dicker Luft kommen?
 
Die Zapatisten hatten in Innsbruck keinen Ort gefunden, an dem sie untergebracht werden konnten. Da hat man ans Waldhüttl gedacht, weil wir relativ arm und unkompliziert sind; die Hausbewohner, die Roma, auch. Es ist zu einer tollen Begegnung gekommen zwischen Roma und Zapatisten, bei der interessanterweise sehr viele Gemeinsamkeiten entdeckt wurden. Etwa, was Einstellungen zum Leben, zu Reichtum oder zur Politik betrifft. Es war durchwegs interessant. Die Übersetzungsthematik war immer gegeben, man musste von der Sprache der Zapatisten ins Spanische übersetzen und von da dann ins Deutsche und vom Deutschen dann ins Slowakische oder Rumänische. Es war interessant zu sehen, wie sich die Leute dann zugenickt haben: „Das ist ja genau so. Wir haben die gleichen Probleme.“
 
Wir haben keine Subventionen und kein Personal. Wir sind selbstverwaltet und haben ein paar engagierte Pensionisten die sich einsetzen und auch junge Menschen, die helfen.
 
Was wünscht man sich für die nächsten zehn Jahre Betrieb im Waldhüttl? Woran fehlt es am meisten?
 
Das erste was man sagen muss: Es ist traurig, dass es ein Waldhüttl braucht. Dass es eine Herberge für Armutsmigrant:innen braucht, ist leider so. Trotzdem sind wir dankbar, dass uns das Stift Wilten uns das Haus zur Verfügung stellt und ich glaube, dass es mehr solcher Objekte, die einem gemeinschaftlichen Wohnen dienen, braucht. Das lernen wir von Menschen, die im Clan, oder in Großfamilien leben: Das die Einfamilienhäuser mit denen Teile der Welt zugepflastert werden nicht das einzige sind. Es müssen alte Klöster oder Hotels nicht gesprengt werden, sondern haben eine Wohnqualität, die kollektivem Wohnen entspricht.
Dann braucht es mehr Einsatz gegen Rassismus und Antiziganismus. Es braucht noch mehr Besucher:innen, oder Leute, die sich einfach interessieren. Wir haben schon fast tausend Freundinnen und Freunde des Waldhüttls. Wir haben keine Subventionen und kein Personal. Wir sind selbstverwaltet und haben ein paar engagierte Pensionisten die sich einsetzen und auch junge Menschen, die helfen. Die öffentliche Hand wird sich sowieso weigern da etwas zu tun, aber es gibt eine starke Zivilgesellschaft, wofür ich dankbar bin.
Es lebt zur Zeit eine Südtiroler Familie oben, Wolfgang Nöckler und Maria Walch, die auch Visionen hat. Sie sagen, sie können sich vorstellen als Familie in diesem Bereich zu wohnen und dort zu arbeiten. Das sind nicht Menschen, die dafür bezahlt werden, sondern Menschen, die engagiert sind und auch das Leben mit den Bewohnern teilen. Sie teilen auch den Tiefgang, feiern die Feste mit ihnen, nehmen an Gebeten oder Meditationen teil, oder spielen in der Roma-Band mit. Das muss man zu den zehn Jahren sagen, dass man dankbar ist, dass es diese Menschen und diese Solidarität gibt. Ein Dank auch an die Bewohner, die ihr volles Vertrauen in diesen Prozess Waldüttl gelegt haben.