Gesellschaft | In memoriam

Der Ehrenmajor und Giancarlo Giudici

Die Historikern und ehemalige Landesrätin Martha Stocker über den letzten Auftritt des vor wenigen Tagen verstorbenen Ehrenmajors der Schützen Sepp Kaser.
Tesselberg
Foto: Privat
Dass Ehre auch Verantwortung bedeutet, war ihm, Sepp Kaser, dem Ehrenmajor der Schützen immer bewusst. Sein Einsatz, sein Interesse war vielfältig, immer geleitet vom Grundsatz Bewusstsein zu schaffen und dabei auch verbindend zu bleiben. Vor allem sollte das historische Gedächtnis als Vermächtnis bleiben, dafür scheute er keine Mühe. Deshalb verwundert es wohl auch nicht, dass er die treibende Kraft für die Ehrung von General Giancarlo Giudici zumindest mittels seiner Nachkommen war. Mit diesem Ansinnen war er schon vor längerer Zeit auch an mich herangetreten und ich bin dankbar, dass er dieses Anliegen am 29. Oktober 2022 noch zu erleben und wesentlich mitgestalten konnte.

Was 1964 in Tesselberg geschah

 
Giancarlo Giudici, damals Oberstleutnant der Carabinieri, war im Zuge der Razzien, die nach den Anschlägen im 1964er Jahr, vor allem nach Antholz mit einen Schwer- und mehreren Leichtverletzten, durchgeführt wurden, mit anderen auch nach Tesselberg gekommen. Sie machten drei Pusterer ausfindig, es kam zu Schusswechseln, die Pusterer konnten entkommen. Die vier Pusterer Buibn dingfest zu machen, hatte höchste Priorität, machte man ja sie für eine Reihe von Anschlägen auch im 1964er Jahr im Pustertal verantwortlich.
 

Das verhängnisvolle 12-Uhr-Läuten

 
Schließlich kam es noch zu einem verhängnisvollen 12-Uhr-Läuten, einer Christenpflicht und etwas, was damals so selbstverständlich war wie das Mittagessen. Dieses wurde aber von den militarisierten Einheiten so interpretiert, dass man damit die vier Pusterer warnen wollte. Systematische Hausdurchsuchungen mit Zerstörungen von Einrichtungen und Geräten, Anzünden von Heuschobern u.a., Schüsse folgten und verletzten auch ein Mädchen schwer. Sie überlebte nur durch ein Wunder, da man ihr auch lange Zeit ärztliche Hilfe versagte. Die Männer wurden gefesselt und schließlich zum Verhör abtransportiert, die Frauen schließlich im Dorfgasthaus kaserniert.
 
 
 

 

Das verhinderte Blutbad

 
Das Schlimmste aber konnte verhindert werden. Dies kam erst 1991 ans Tageslicht. Im Zuge der Stürmung des Bergdorfes kam auch Oberst Franco Marasco, der Kommandant der Carabinieri-Legion Bozen, eingeflogen und verlangte, dass man Männer erschießen, die Rede geht oft von 15, und das Dorf niederbrennen soll. Dem stellte sich Giancarlo Giudici entgegen und verfrachtete den Rasenden zusammen mit dem Piloten in den Hubschrauber und schickte ihn nach Bozen. Das hatte zur Folge, dass eine glänzende Karriere, die Giancarlo Giudici vor sich gehabt hätte, einen entscheidenden Knick erfuhr. Er wurde tags darauf nach Udine versetzt und der Karriereknick, den er erfuhr, hatte nicht nur Auswirkungen für ihn selber, sondern auch für seine Familie, wie seine Tochter Maria Elisabetta bei der Feier am 29. Oktober 2022 in Tesselberg sagte. Die Erhöhung zum General erfolgte dann erst mit der Pensionierung, wie bei vielen anderen auch.
„Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“ (Hannah Arendt)
Giancarlo Giudici hatte Außerordentliches gleistet, er wurde dem schwer lebbaren Satz von Hannah Arendt gerecht: „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“ Er hat es getan, wohl wissend, dass dies Auswirkungen haben wird.
Und Sepp Kaser, dem Ehrenmajor des Schützenbundes, war es ein tief empfundenes Anliegen diesen Großen, der für die Größe seiner Tat büße musste, anerkennend zu ehren.
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Hartmuth Staffler Fr., 04.11.2022 - 20:56

Giancarlo Giudici, damals Oberleutnant (und nicht Oberstleutnant), war für die Verwüstung des Dorfes Tesselberg und für die unmenschliche Behandlung der Bewohner dieses Dorfes verantwortlich. Nicht alle Schützen waren daher einverstanden, ihm posthum eine Ehrung teilwerden zu lassen. Sepp Kaser hat aber verstanden, dass man auch in einem Feind das Gute erkennen kann und muss. Dass der damalige Leutnant Giudici die Erschießung von 15 Männern und das Niederbrennen des ganzen Dorfes abgelehnt und dafür seine Karriere geopfert hat, das ist das Gute, für das sich dieser Mann entschieden hat, nachdem er vorher pflichtgemäß auf der Seite des Bösen gestanden war. Die posthume Ehrung hat er sich zu Recht verdient, und Sepp Kaser hat damit eine wertvolle Botschaft hinterlassen, für die ihm zu danken ist.

Fr., 04.11.2022 - 20:56 Permalink
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Hansjörg Zuech Sa., 05.11.2022 - 08:18

„Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen.“
Ja Frau Stocker, an diesen Satz hätten Sie sich auch halten sollen, als Sie so pflichtbewusst an die römischen Order haltend, einen Teil unsere Krankenhäuser schließen wollten. Oder??

Sa., 05.11.2022 - 08:18 Permalink