Kultur | Salto Return

#041217

In Salto Return geht es weder um die Bar „Bar bar a“ noch um alle die Barbara heißen. Es geht um die beste Medizin – verpackt in eine Adventsgeschichte.
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Foto: Salto.bz

Ich stand am Stehtisch einer lokalen Kunstgalerie, hielt meine Brieftasche geöffnet und musste erneut feststellen, dass ich mir auch in diesem Jahr an Weihnachten keine Kunst leisten kann. Eine junge Dame stellte sich daneben und begann ein Gespräch. „Smalltalk in Galerie-Räumen…“ dachte ich, „wie furchtbar!

Sie sei aus der Türkei, wohne in der Nähe Istanbuls und hier als Artist in Residence-Künstlerin. Sie erforsche gerade Land und Leute und jemand habe soeben zu ihr gesagt: „Den da drüben am Stehtisch kannst du fragen, der mit der Brieftasche in der Hand und den hochgezogenen Augenbrauen, Hanni is his name.“

Wir kamen ins Gespräch. Als ich aber ansetzte, sie herausfordernd zu den politischen Verhältnissen in der Türkei auszufragen, kam sie mir zuvor: „Why the people here in South Tirol drink so much alcohol, Hanni? Why are there so many suicides?“
Fuck, sie hatte eine Doppelfrage parat, die ich weder direkt noch zusammenhängend beantworten konnte. In bestem Roberto Benigni-Englisch erzählte ich ihr die Geschichte meiner Vorfahren, die ich nur einer Türkin zumuten konnte:

Kennst du die Kurden Tirols?

„Meine Vorfahren stammten aus Landquart im Kanton Graubünden, waren einfache Bauersleute und fertigten seit dem frühen Mittelalter die besten Schiff- und Kletterseile, Teemischungen gegen Schmerzen und feinste Tabakwaren für sogenannte Reggelen (Rauchpfeifen).
Meine Vorfahren nannten sich Hanfi, waren in der ganzen Schweiz bekannt, expandierten Ende des 18. Jahrhunderts in den benachbarten Vinschgau. So weit, so gut. Doch die alkoholverliebten Tiroler wollten vom Kraut der Hanfis nichts wissen, sagten den Zugewanderten: „Nur wer richtig saufen tut, ist ein Tiroler.“
Die damaligen Tiroler verteufelten aber nicht nur den alten Hanf, sie verfolgten die Handvoll Hanfis, warfen ihnen Schamanismus vor, änderten ihre Beinamen und der Handel mit Hanf wurde verboten. Es ist ein vergessener Teil Tiroler Geschichte. Heute noch nennt man die Hanf-Verfolgten von damals: Die Kurden Tirols.“
Die Türkin zuckte zusammen, wuzelte (drehte) sich ohne Kommentar eine Zigarette.

Kampagnen gegen Alkohol und für Cannabis – anscheinend die beste Medizin.

Auf meinem Handy zeigte ich der Künstlerin das Schicksal einer weiteren Südtiroler Hanf-Familie. „Do you know Rudolf Stingel?“ fragte ich und zeigte ihr eine jüngste Arbeit des erfolgreichen Künstlers, dessen Vorfahren ursprünglich Hanfstingel hießen und ebenfalls verfolgt wurden. Ich erzählte ihr auch vom Film Das Glück beim Händewaschen aus den 1980er Jahren, in welchem der junge Rudi (Hanf)-Stingel in einer Mini-Rolle einen Bettler spielte. Dass genau dieser arme Nebendarsteller, Jahre später zu den superreichen Künstlern zählen würde, hatte damals niemand vermuten können. Heute fertigt er Kunst, die ich mir nicht leisten kann. Nicht an Weihnachten. Nie!

„Maybe a gift?“

...sagte die Künstlerin und ich musste bei Gift kurz an den Cannabis Medizin-Diskurs denken, zeigte aber im Reflex auf meine leere Brieftasche:
„Christmas is coming! Humor is the best medicine!“