Politik | Grenzen

Am Scheideweg

Immer mehr Schengen-Länder schotten sich ab. Nun denkt auch Italien darüber nach, wieder Grenzkontrollen einzuführen. Und 55 Prozent der Tiroler wären dafür.

Die Nachricht hatte Anfang September vergangenen Jahres wie eine kleine Bombe eingeschlagen: “Italien will Grenze am Brenner wieder kontrollieren”, titelte Spiegel Online, “Italien verschäft Grenzkontrollen am Brenner” zog derStandard.at nach. “Ist das der Anfang vom Ende des Schengen-Raumes?” fragte sich gar die Bild. Anlass für die nationale und internationale Aufmerksamkeit, die Südtirol als Grenzregion zuteil wurde, war die Bitte des Freistaats Bayern an Landeshauptmann Arno Kompatscher gewesen, während des G7-Gipfels auf Schloss Elmau vorübergehend Flüchtlinge, die von Süditalien Richtung Norden unterwegs waren, im Land zu behalten und hier unterzubringen. “Leider ist daraus die Nachricht geworden, dass Schengen ausgesetzt worden sei, was aber nicht stimmt”, erklärte der Landeshauptmann noch am selben Tag.

Wirft man heute, vier Monate später, einen Blick auf Europa, zeigt sich, dass das “Ende des Schengenraumes” tatsächlich in greifbarer Nähe ist. Nach Schweden hat mit Dänemark ein zweites nordisches EU- und Schengen-Land wegen des anhaltenden Flüchtlingsstroms wieder Kontrollen an seinen Grenzen und damit an Innengrenzen der Europäischen Union und des Schengenraums eingeführt. Angesichts dieser jüngsten Entwicklungen denkt man nun auch in Italien laut darüber nach, wieder Grenz- und Passkontrollen einzuführen. Und dieses Mal ist es kein Fehlalarm, sondern eine konkrete Absicht der Regierung Renzi. Die Abteilung Immigration der italienischen Polizei hat laut Berichten des Corriere della Sera bereits einen Interventionsplan an Innenminister Angelino Alfano überreicht. Dieser sieht vor, an der italienisch-slowenischen Grenze Land- und Schienenwege zu überwachen. Jede Woche kommen 300 Flüchtlinge vom östlichen Nachbarland nach Italien – zu viele, ist man in Italien der Meinung. Man hat Angst, dass die zunehmend geschlossenen EU-Innengrenzen den “Druck” auf den Stiefelstaat wachsen lassen wird.

Eine Grafik von Die Zeit zeigt, welche Länder Ende 2015 Grenzkontrollen eingeführt hatten. (Stand: 13. November 2015)

Mit Besorgnis reagiert die EU-Kommission auf die voranschreitende Abschottung zahlreicher Mitgliedsstaaten. “Schengen steht unter Druck, wir arbeiten daran, den Normalzustand wieder herzustellen”, verkündete EU-Kommissionssprecher Margaritis Schinas am Dienstag Nachmittag. Zwar besitze niemand einen Zauberstab, jedoch ist für den Griechen Schinas klar, wie ein Total-Kollaps des Schengensystems noch abgewandt werden könnte: “Um den freien Personenverkehr im Schengenraum zu gewährleisten, bedarf es einer effizienten Kontrolle der Außengrenzen.” Dieselben Worte, die man bereits seit Monaten nicht müde wird, zu wiederholen. Bislang erfolglos, wie die voranschreitende Abschottung der europäischen Staaten zeigt.

Doch ist das Abkommen, mit dem 1985 die Grenzkontrollen in fast ganz Europa abgeschafft wurden, noch zu retten? Eine kürzlich von der Tiroler Tageszeitung durchgeführte Umfrage zeigt: Inzwischen sind auch viele Menschen, die seit jeher im heutigen Schengenraum leben bereit, auf ihre Reisefreizügigkeit zu verzichten – anzunehmen ist, dass sich davon viele mehr Sicherheit erwarten. Mehr als die Hälfte, nämlich 55 Prozent, der von der Tiroler Tageszeitung im dortigen Bundesland Befragten sprachen sich dafür aus, “das die Reisefreiheit garantierende Abkommen von Schengen außer Kraft zu setzen und Grenzkontrollen wieder einzuführen”. Dazu kommen 15 Prozent, die der Meinung sind, dass die Grenzen zusätzlich durch Zäune abgesichert werden sollen. “Lediglich 31 Prozent der Bevölkerung stellen die uneingeschränkte Reisefreiheit nicht in Frage”, liest man auf tt.com.