Gesellschaft | zur Stelle

Minuten und Menschen, die zählen

Wenn der Rettungswagen zu lange braucht, sind sie zur Stelle: die ehrenamtlichen First Responder. Ein unverzichtbarer Dienst, dank dem bereits Leben gerettet wurden.
First Responder Hafling
Foto: Ingrid Frei

Wenn bei Ingrid Frei zu Hause eine rote Karte an der Pinnwand hängt, weiß ihre Familie Bescheid: Die Mama ist für eine Stunde nicht da. “Länger dauert ein Einsatz fast nie”, sagt die gelernte Verkäuferin. Ingrid Frei ist eine “First Responder”. Keine selbstverständliche, aber umso wichtigere Aufgabe in abgelegenen Ortschaften. So wie es Ingrid Freis Wohnort Hafling ist. “Der Rettungswagen braucht etwa eine halbe Stunde bis zu uns ins Dorf.” Einmal habe sie sogar 45 Minuten gewartet. Minuten, die entscheidend sein können, wenn es um Leben und Tod geht. Und genau hier treten die First Responder auf den Plan.

“Ersthelfer” lautet die deutsche Übersetzung für “First Responder”. Und genau das sind die Mitglieder der elf Gruppen, die es südtirolweit gibt: in Laurein, Lüsen, Proveis, Radein, Steinegg, St. Felix, Tall, Vöran, Welsberg, Villnöß – und Hafling. Orte, in denen die Anfahrtszeit des Rettungswagen mindestens 20 Minuten beträgt.

2013 wurde die Gruppe in Hafling ins Leben gerufen, seither ist Ingrid Frei als Leiterin dabei. 20 First Responder gibt es dort derzeit, einer befindet sich gerade in Ausbildung. Eine 40-stündige Schulung muss absolviert werden bis ein First Responder einsatzbereit ist. Vor allem in lebensrettenden Sofortmaßnahmen werden die Ersthelfer geschult. Versichert sind sie über das Weiße Kreuz.

 

Auch Kleidung und Ausrüstung wie etwa Verbandsmaterial erhalten die First-Responder-Gruppen vom Weißen Kreuz, die Fahrzeuge für ihren Dienst stellen die Feuerwehren vor Ort zur Verfügung. So  auch in Hafling. “Jede Gruppe kann sich intern selbst organisieren, bei uns gibt es fünf Gruppen zu je vier Personen”, erklärt Ingrid Frei. Berufstätige, Unternehmer, Bauern – einige sind selbst Rettungssanitäter.
Jede Woche hat eine andere Gruppe Dienst. Was bedeutet das? “Ständige Einsatzbereitschaft, auch am Wochenende – 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Jede Gruppe ist frei, sich selbst die Dienste einzuteilen”, weiß Ingrid Frei.
Vertrauen und Verlässlichkeit ist wichtig bei den First Responder. Wenn sie von der Landesnotrufzentrale alarmiert werden, zählt jede Minute.

 

“Geht bei der 112 ein Notruf ein, wird er dort bewertet und wir werden über Piepser verständigt”, berichtet Ingrid Frei. Die First Responder, die Bereitschaftsdienst haben, lassen alles stehen und liegen, eilen zu ihrer “Einsatzzentrale” – zwei davon gibt es in Hafling. An beiden Anlaufstellen ist Ausrüstung für den Ersteinsatz gelagert: Rettungsrucksack, Defibrilator, Sauerstoffgerät. Am Hauptsitz im Dorf ist das Rüstfahrzeug untergebracht. “Das fährt immer aus”, so Frei. Sind die First Responder eingetroffen, nehmen sie die Erstversorgung des Patienten vor. Und bleiben vor Ort bis der Rettungswagen des Weißen oder Roten Kreuzes eingetroffen ist. “Das kann manchmal dauern, weil die Rettungskräfte von auswärts die lokalen Gegebenheiten nicht kennen und zum Beispiel nicht gleich zu einem etwas abgelegenen Hof finden.”

Es ist kein selbstverständlicher Dienst, den Ingrid Frei und alle anderen First Responder im Land versehen: eine ehrenamtliche Tätigkeit, mit regelmäßigen Fortbildungen und jährlichen Schulungen. Doch inzwischen sind sie unverzichtbar. “2016 haben wir es geschafft, einen Patienten zu reanimieren”, berichtet Frei, “wären die First Responder nicht gewesen, hätte er wahrscheinlich nicht gerettet werden können”.

Etwa 36 Mal im Jahr rücken die First Responder aus Hafling aus. “Bei medizinischen Notfällen, Trauma- oder Kindernotfällen, Auto-, Reit- oder Fahrradunfällen”, zählt Frei auf. Sie macht ihre freiwillige Tätigkeit gern, auch wenn manches Mal im Dorf das Verständnis dafür fehlt. “Alles in allem werden wir gut angenommen, aber oft wird unsere Tätigkeit als zu selbstverständlich hingenommen. Vielen ist nicht bewusst, wie viel Aufwand dahinter steckt oder man sieht uns als Freiwillige zweiter Klasse”, bedauert Ingrid Frei. Auch deshalb wird es heuer in Hafling eine große Feier geben, samt Schauübung. “Am 27. Mai feiern wir unser fünfjähriges Bestehen”, lächelt Frei.