Politik | Recovery Fund

Pflege statt Markenkampagnen

Durch Corona verloren 444.000 Italiener ihre Jobs, 72% davon Frauen. Zwei Südtirolerinnen erzählen ihre Geschichte. Von Maßnahmen fehlt laut Expertinnen aber jede Spur.
Frauen Diskriminierung am Arbeitsplatz
Foto: (c) unsplash

„Jetzt, wo der Arbeitsmarkt enger wird, und die Kinderbetreuung aufgrund von Schließungen oder Quarantäne nicht immer gewährleistet ist, werden Frauen mit Kindern noch mehr zurückgeworfen, denn sie gelten mehr denn je als ‚unattraktive Arbeitskräfte‘.“ So fasst Christa Ladurner, Koordinatorin der Fachstelle Familie im Forum Prävention und Sprecherin der Allianz für Familie, die jüngsten Zahlen des nationalen Statistikinstituts ISTAT zusammen:

Im gesamten Jahr 2020 verloren 444.000 Personen in Italien ihre Arbeit. Darunter befinden sich 320.000, also 72 Prozent, Frauen.

 

 

So erging es Gabriela* (*Name von der Redaktion geändert) im Sommer letzten Jahres. Die alleinerziehende Mutter zweier Kinder arbeitete als Tagesmutter. Kurz nach Ausbruch der Pandemie brachen ihr plötzlich jegliche Einnahmen weg: „Im Mai kündigten mir von einem Tag zum anderen alle Tageskinder. Für deren Eltern zahlte sich eine Tagesmutter nicht mehr aus, einige davon sind alleinerziehende Mütter und konnten sich keine Betreuung mehr leisten, da sie selbst ihren Job verloren haben.“ Als Tagesmutter erhält Gabriela kein monatliches Fixgehalt, sondern ihr Lohn wird pro Kind ausgezahlt. Betreut sie keine Kinder, bleibt der Lohn aus. Anspruch auf Arbeitslosengeld hat sie keinen, der 600-Euro-Bonus für Freiberufler trifft auf ihr Berufsbild nicht zu. Irgendwann wusste sie nicht mehr, wie sie ihre Miete bezahlen sollte.

Mittlerweile hat Gabriela einen Nebenerwerb gefunden, der es ihr ermöglicht, von zu Hause aus zu arbeiten; sie vermarktet Pflegeprodukte über soziale Netzwerke. Dabei ist es laut Gabriela als alleinerziehende Mutter nicht einfach, eine Stelle zu finden.

 

Strukturelle Benachteiligung

 

Mit solchen Lebensbedingungen ist die Gleichstellungsrätin Michela Morandini vertraut und warnte bereits bei Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 vor den ungleichen Folgen für Frauen und Männer: „Eine hohe Anzahl an Frauen arbeitet in wenig geschützten Beschäftigungssektoren wie z.B. häusliche Betreuung, sind Freiberuflerinnen oder arbeiten in Sektoren, die besonders von den Folgen der Pandemie betroffen sind“, schreibt Morandini in einer Stellungnahme. Diesen Lebensbedingungen von Frauen würde nicht angemessen Rechnung getragen, Abfederungs- und Schutzmaßnahmen sowie eine adäquate Beschäftigungspolitik für die weibliche Erwerbstätigkeit in Italien fehlten.

 

Ähnlich wie Christa Ladurner sieht auch Morandini die Wurzel des Übels in der ungleichen Aufteilung der Kinderbetreuung und Hausarbeit: „Frauen tragen die Hauptlast familiärer und pflegerischer Verpflichtungen und sind in erhöhter Teilzeitarbeit.“ Oftmals sind Teilzeitverträge die ersten, die gekündigt werden und die letzten, die besetzt werden. Somit sind Frauen oft die ersten, die im Beruf kürzer treten, und die letzten, die wieder Anschluss an die Arbeitswelt finden.

Jasmine Federspieler kann davon ein Liedchen singen. Die 4-fache Mutter ist Hausfrau und arbeitet, seit sie 15 Jahre alt ist. Die gelernte Grafikerin wechselte nach der Geburt ihrer Kinder in das Gastgewerbe, denn sie war auf eine Arbeit mit Abend- und Wochenendzeiten angewiesen. Tagsüber schmiss sie den Haushalt und kümmerte sich um die Kinder. Für diese Entscheidung bezahlt sie nun: Seit Oktober 2020 arbeitslos, kann sie als Kellnerin in einem Buschenschank nur rückwirkend finanzielle Unterstützung ansuchen. Vor allem aber fällt die Beihilfe aufgrund ihres beruflichen Status geringer aus, denn sie gilt als „Tagelöhnerin“. Dabei werden nicht die gearbeiteten Stunden gezählt, sondern die Tage. Das heißt, berechnet werden die 2-3 Tage, die sie am Wochenende arbeitet, auch wenn sie am Tag schon mal auf 13 Stunden kommt.

Jasmine wandte sich mit einem Brief an Familienlandesrätin Waltraud Deeg. Darin schreibt sie:

"Ich habe immer gearbeitet, viele Jahre lang in das System einbezahlt. Jetzt würde ich einmal Hilfe benötigen und werde abgelehnt. Wie mir geht es leider vielen anderen auch, grad wir Frauen fallen bei den Soforthilfe-Maßnahmen oft durchs Raster. Was haben Sie sich zu diesem großen gesellschaftlichen Problem in der Familienpolitik überlegt? Was wird sich ändern?“

 

Recovery Fund - kein Platz für Frauen?

 

Familienexpertin Ladurner pocht darauf, jetzt die nötigen Maßnahmen einzuleiten. Der Lockdown böte einen guten Moment, Umschulungen vorzunehmen. Frauen, die ihre Arbeit verloren haben, könnten für Berufe ausgebildet werden, die dringend benötigt werden, wie Pflegepersonal oder IT-Fachkräfte. In Deutschland werden solche Programme bereits umgesetzt.

Zudem fordert Ladurner eine Aufwertung typisch weiblicher Berufe, wie etwa die Pflege. „Warum wird ein Bankmanager als wichtiger behandelt als eine Altenpflegerin?“ fragt sich Ladurner. Gerade die Pandemie habe die Wichtigkeit der Arbeit von Frauen gezeigt: „Wir müssen stolz sein, auf was wir tun, denn wir halten essentielle gesellschaftliche Funktionen aufrecht. Daher müssen wir jetzt aber auch einfordern.“

Die Finanzmittel des Recovery Funds, die in Südtirol zum Einsatz kommen sollten, sehen in den Bereichen der Gleichstellung der Geschlechter eigentlich gar nichts vor. Stattdessen werden 77 Millionen in eine Markenkampagne investiert

Dazu gehöre auch die Forderung nach neuen Bildungs- und Betreuungsmodellen: „Insbesondere die Öffnungszeiten in Schule und Kindergarten werden den beruflichen Notwendigkeiten oft nicht gerecht, daher müssen viele gut ausgebildete Frauen, sobald sie Kinder bekommen, in Teilzeit arbeiten oder finden gar nicht mehr in die Arbeitswelt zurück. Dadurch gehen kostbare Arbeitskräfte und Know-How verloren“. gibt Ladurner zu bedenken.

Dennoch zeige die Politik noch kein Umdenken, bemängelt sie und verweist auf die 2,4 Milliarden an Corona-Finanzhilfen der Europäischen Union für Südtirol: „Die Finanzmittel des Recovery Funds, die in Südtirol zum Einsatz kommen sollten, sehen in den Bereichen der Gleichstellung der Geschlechter eigentlich gar nichts vor.“

 

Obwohl im Projektkatalog des Recovery Funds ein eigener Bereich für „soziale und territoriale Gerechtigkeit, Gleichstellung der Geschlechter“ angeführt ist, findet sich darunter eine Markenkampagne, die mit 77 Millionen finanziert werden soll, oder der Ausbau von Sozialwohnungen (21 Millionen), aber keine Maßnahme, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet. Ladurner erklärt sich dieses Versäumnis so: „Soziales und Bildung werden als nicht-produktive Bereiche gesehen und Investitionen in diesen Bereichen werden oft heftig kritisiert, weil zu kostenintensiv. Aber ohne adäquate Maßnahmen, fehlen am Arbeitsmarkt die Frauen. Und das hat am Ende massive negative Folgen für die Wirtschaft.“

 

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Evi Keifl Di., 09.02.2021 - 17:00

Am verfügbaren Geld liegt es derzeit dank Recovery Funds nicht. Wohl eher am Willen und Können unseren Lobbyistinnen! Wissen die nicht, wie man sich einbringt, wenn Geld verteilt wird? Schauen die einfach nur zu, wenn die Mander die Millionen unter sich aufteilen? Hat die Landesrätin darum gekämpft, dass Gelder in die Gleichstellung fließen? Und die Arbeitnehmerchefin? Und die Damen Abgeordneten der Regierungsparteien? Haben sie sich überhaupt drum gekümmert, dass ihre Geschlechtsgenossinnen nicht leer ausgehen? Ja? Dann wüssten wir zu gern, wie sie argumentiert haben, bei welchen Gelegenheiten sie sich ins Zeug gelegt haben, warum sie (und vor allem wir) am Ende dann doch leer ausgegangen sind. Aber noch wichtiger wär es uns, zu erfahren, was sie noch unternehmen werden, um die Millionen, die den Frauen zustehen, in trockene Tücher zu bringen. Wie ist euer Plan? Sagt es uns, damit wir Euch wieder vertrauen können!

Di., 09.02.2021 - 17:00 Permalink