Gesellschaft | Kollektives Bewußtsein, eine Suche.

Südtirol ist nicht Italien? Aber was ist es dann?

Zwei interessante Artikel und ein Video heute auf salto.bz. Alle sind sie miteinander verbunden; und alle kann man nur richtig verstehen wenn man selbst ein Kind unserer Heimat ist. “Wir bereiten Europa auf die Selbstbestimmung Süd-Tirols vor” lese ich am Ende des ersten Artikels; aber wer ist 'Wir' und was ist Süd-Tirol(oder Südtirol)? Kollektives Bewußtsein, eine Suche.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.

"Süd-Tirol" ist nicht Italien" lese ich im Bild des ersten Artikels(von Gabriele di Luca). Die Autoren des Plakats sagen aber nicht was es dann ist; oder ist die Wahrheit vielleicht im Bindestrich versteckt? Zuerst zu sagen was man nicht ist ist mA typisch für Jene die die eigene Identität in erster Linie als Abgrenzung zu den anderen erleben. “Wir bereiten Europa auf die Selbstbestimmung Süd-Tirols vor” lese ich am Ende des ersten Artikels. Aber wer ist 'Wir' und was ist Süd-Tirol(oder Südtirol)? Mit 'Wir' scheint zuerst einmal jene politische Gruppierung gemeint zu sein die sich die 'Selbstbestimmung' zum Ziel gesetzt hat. Aber was ist mit 'Selbstbestimmung' im Südtiroler Kontext gemeint? Zuletzt schaue ich mir das Video an; wer ist mit 'popolo tirolese del Sud' gemeint? Alles zusammen hängt an einer Südtiroler Hauptfrage; gibt es in Südtirol ein sprachgruppenübergreifendes 'Wir'?

Schauen wir uns das heutige Südtirol einmal an und versuchen wir zu erkunden ob es ein solches sprachgruppenübergreifendes 'Wir', also ansatzweise so etwas wie ein kollektives Bewußtsein gibt. In Südtirol selbst gibt es derzeit kaum eine gemeinsame Feierkultur, kaum einen gemeinsamen politischen Willen(siehe Parteienlandschaft), keine gemeinsame Sicht auf die Geschichte. Südtirol's Geschichte ist von zwei Weltkriegen und Faschismen/Option zutiefst geprägt, und von einer Vergangenheit in der Jene die am längeren Hebel saßen die jeweils Anderen gängelten. Ansatzweise gibt es eine gemeinsame Haltung zu ethnisch strittigen Themen; der Kulturbetrieb(im weitesten Sinne) ist meist ethnisch getrennt; für die Musik gilt ähnliches. Musik ist ein gutes Stichwort. Wer sind denn bsw. die Hörer von 'Frei.Wild' und welches Heimatbild wird dort transportiert? Wer gehört da dazu und wer wird für immer ausgeschlossen bleiben? Zuviele empfinden bei uns die andere Sprache und Kultur als Gefahr. Wir müssen also wohl oder übel zum Schluss kommen daß es bei uns bestenfalls Ansätze von "kollektivem Bewußtsein" gibt. Mehr noch; daß leider Zuviele durch ihr politisches und gesellschaftliches Handeln dem entgegenwirken und zudem kein Interesse am Anderen haben.

Kehren wir wieder zur Frage weiter oben zurück. Was ist mit "Selbstbestimmung" im Südtiroler Kontext gemeint? Daß es notfalls auch genügt wenn eine ethnische Mehrheit über die anderen Minderheiten abstimmt und das dann als Demokratie verkauft wird? Hoffentlich nicht. Selbstbestimmung ist für mich persönliche Freiheit auch meine Umgebung mitgestalten zu können; sicherlich nicht die Freiheit einer (ethnischen) Gruppe die eigenen Vorstellungen notfalls auch gegen alle anderen durchzusetzen. In Südtirol waren die Interessen der 'Gruppe' gegenüber die Entfaltung des Einzelnen immer höhergestellt; nicht immer zum Vorteil und Wohle der gesellschaftlichen Entwicklung des Landes. Die "Selbstbestimmung" wie sie durch Südtirols(und nicht nur) Medienlandschaft schwirrt will ich nicht haben; mehr noch; ich sehe sie auch als Gefahr nicht nur für meine persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten sondern auch für den Zusammenhalt unserer multiethnischen, bunten Gesellschaft insgesamt. 

Der zweite Artikel stimmt mich aber hoffnungsvoll; Menschen ergreifen von unten die Initiative und schaffen ein Klima wo Mehrsprachigkeit ein Plus ist und sie nicht als Gefahr für die eigene Kultur empfunden wird. Es gibt das andere, meiner Ansicht bessere, Südtirol das an diesem Bewußsein arbeitet, an einem die der wahren Natur unserer Heimat entspricht.

Links:

http://www.salto.bz/de/article/05042013/autodeterministi-deuropa-unitevi

http://www.salto.bz/de/article/05042013/sprache-versus-sakramente

http://www.salto.bz/de/article/05042013/eva-klotz-da-santori

 

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Der Da Fr., 05.04.2013 - 23:32

Ich habe die Links zwar nicht besucht, aber Dein Text hat es schon gut auf den Punkt gebracht!

Fr., 05.04.2013 - 23:32 Permalink
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Martin Geier Sa., 06.04.2013 - 08:56

Danke für das Lob hier. Es gäbe zum Thema und zu seinen 'Verwandten' noch sehr viel zu sagen; da ist jeder Artikel überfordert. Was man bzgl. Südtirol insgesamt sagen kann ist daß es noch ein friedliches Nebeneinander mit ersten zarten Ansätzen von Miteinander ist; die Richtung stimmt also.
Insgesamt kann man ebenfalls behaupten daß "Selbstbestimmung" (wie sie von den Parteien/Bewegungen oben propagiert wird) und Sezession fast exklusiv nur eine Ethnie(die Größte des Landes) betreffen.
Das ist auch so weil sich die anderen zwei im wesentlichen mit den Zielen nicht identifizieren können; die Proponenten auch außerstande sind für so etwas wie Vertrauen zu sorgen. Das ist bei deren politischer Herkunft und Wurzeln auch kaum anders möglich; und das trotz manch wohlfeiler Worte. Mir war es hier ein Anliegen die positiven Aspekte aufzuzeigen; deshalb ist der Artikel "Sprache vs Sakramente" auch so wichtig. Südtirol bewegt sich, und das haben mA auch die letzten Wahlen aufgezeigt, aber sicherlich nicht in die Richtung die manch Partei und Bewegung weiter oben gerne hätte. Aber auch die allgemeine europäische Tendenz daß sich Gesellschaften politisch und sozial immer weiter "aufsplittern" macht auch vor Südtirol nicht halt. Deswegen werden wir auf kleinstem Raum auch sehr unterschiedliche Realitäten auffinden.

Sa., 06.04.2013 - 08:56 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Fr., 12.04.2013 - 11:03

"Der zweite Artikel stimmt mich aber hoffnungsvoll; Menschen ergreifen von unten die Initiative und schaffen ein Klima wo Mehrsprachigkeit ein Plus ist und sie nicht als Gefahr für die eigene Kultur empfunden wird. Es gibt das andere, meiner Ansicht bessere, Südtirol das an diesem Bewußsein arbeitet, an einem die der wahren Natur unserer Heimat entspricht."

Ich kann in hier vielem zustimmen, nur eine Frage: Was würde sich an dem Plus an Mehrsprachigkeit, was würde sich an der wahren Natur unserer Heimat ändern, wenn wir diese Mehrsprachigkeit und diese unsere Heimat selbst verwalten könnten, ohne von Italien in Allem und Jedem ausgebremst zu werden?

Fr., 12.04.2013 - 11:03 Permalink
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Martin Geier Fr., 12.04.2013 - 18:59

Antwort auf von Manfred Gasser

Zuerst einmal halte ich so etwas wie Unabhängigkeit für politisch wie juridisch sehr schwer durchsetzbar; wenn nicht gar für unmöglich. Aber ist es auch wünschenswert?
Nun gut; natürlich kann man das anmerken und als politisches Projekt verfolgen. Was die Sezessionsbemühungen angeht gibt es ja mehrere miteinander konkurrierende Visionen und Modelle die mit verschieden Parteien korrelieren . Eines ist ihnen ziemlich gemeinsam: Bei aller Unterschiedlichkeit verstehen sie sich als "quasi fixe Modelle"(mit wenig Mitsprache aller Ethnien) und die "Anderen" sollen dafür überzeugt und quasi "zwangsbeglückt" werden. Was fehlt ist die gemeinsame Vertrauensbasis und da ja Sezession in erster Linie ein "deutsches" Thema ist so fehlt das Zugehen auf berechtigte Wünsche der Italiener. Die Proponenten tun wenig um auf der Gegenseite Vertrauen zu erwecken; mehr noch; bei Widerspruch wird zu gerne mit Keulen aus der Geschichte hantiert. Wir werden noch zuviel von unserer Vergangenheit beherrscht; und die Vergangenheit wird allen Skeptikern gerne auch an den Kopf geworfen; den Unabhängigkeitsbefürwortern ist nicht bewußt daß sie so nur weitere Skepsis und Ablehnung erzeugen. Bei mir überwiegt angesichts des Gebarens der meisten Verfechter gelinde gesagt eher Ablehnung und Skepsis. Gleich in welche Richtung wir aber gehen wollen(ich bevorzuge eine Art Drittes Statut) brauchen wir wenigstens Ansatzweise so etwas wie ein Grundvertrauen oder eine Art gemeinsames Bewußtsein; es rudern aber Zuviele in eine andere Richtung.

Fr., 12.04.2013 - 18:59 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mo., 15.04.2013 - 10:21

Antwort auf von Martin Geier

Also Herr Geier, erstmal muss ich sagen dass Sie meine Frage nicht beantwortet haben, deshalb noch mal: Was würde sich ändern??
Zu ihrem Kommentar,ob die Unabhängigkeit durchsetzbar ist oder nicht, sollte im Moment aus meiner Sicht das kleinste Problem sein, die Frage ist, ob sie gewollt ist oder nicht, ob das Vertrauen der Südtiroler da ist, sich selbst zu verwalten.
Und das könnte man doch nur durch eine Befragung, oder nennen Sie es Referendum, herausfinden. Ich denke, die Politik sollte doch die Menschen entscheiden lassen, und dann diese Entscheidung respektieren, akzeptieren und versuchen umzusetzen.
Was ihre Voreingenommenheit gegenüber aller Sezessionbemühungen betrifft, so sei Ihnen das sicher zugestanden, aber daraus ein "no Go" zu machen, steht Ihnen, und auch sonst niemandem zu.
Alle deutschen Parteien in Südtirol wollen doch mehr Südtirol und so wenig wie möglich, bis gar kein "Italien" mehr, nur die Herangehensweisen sind verschieden, die einen wollen auch die nächsten 90 Jahre mit Italien über jeden Beistrich in jedem Gesetz streiten, und die anderen wollen, dass wir die Gesetze machen können, wie es für unser Land und für deren Einwohner, und ich meine alle Einwohner, am besten ist.
Und dazu braucht es Vertrauen in der Bevölkerung, und zwar besonders von der Seite unserer italienischen Mitbürgern, und daran sollte man arbeiten.

Mo., 15.04.2013 - 10:21 Permalink
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Salto User
Manfred Gasser Mo., 15.04.2013 - 10:30

Antwort auf von Manfred Gasser

"Und dazu braucht es Vertrauen in der Bevölkerung, und zwar besonders von der Seite unserer italienischen Mitbürgern, und daran sollte man arbeiten"
Und ich meinte das für alle möglichen Szenarien, egal ob 3. Statut, Vollautonomie oder Sebstbestimmungsreferendum, denn wenn unsere Regierungspartei so weiter macht, und die Italiener ignoriert, wird keines dieser Szenarien von ihnen mitgetragen.
Und das ist das grosse Problem unseres Landes, das es zu lösen gibt.

Mo., 15.04.2013 - 10:30 Permalink