Kultur | Salto Afternoon

Nawalny

Ein russischer Oppositioneller gegen den Diktator. Was klingt wie ein Thriller, erzählt sich auch so. Und doch ist es eine wahre Geschichte.
Navalny
Foto: DCM

Die Erzählung setzt mit einer makabren Frage ein. Welche Botschaft würde er, im nicht so unwahrscheinlichen Fall seines Todes, der Welt hinterlassen? Der Mann lacht, er findet die Frage blöd. Erst am Ende der Geschichte wird er sie beantworten, doch was ist das schon, das Ende? Genaugenommen weiß die Welt nicht, welches Ende die Geschichte dieses Mannes nehmen wird. Auserzählt ist sie noch lange nicht, wenngleich eine scheinbare Zäsur stattfand.

Alexei Anatoljewitsch Nawalny ist der Name des Mannes. Er, der Anwalt ist und in der russischen Opposition, kämpfte beharrlich gegen das Regime im Kreml. Dafür erhielt er Drohungen, und schließlich wurde er vergiftet. Im August 2020 war das, und wie aus einem Wunder überlebte er das Attentat, welches, so wird kaum angezweifelt, vom Kreml, und somit von Putin selbst angeordnet wurde. Das Gift wurde von deutschen Ärzten nachgewiesen, und es trägt die Unterschrift des russischen Machthabers. Nawalny lacht, als er davon spricht, es wäre naiv von Putin gewesen, dieses Gift, genannt Nowitschok, an ihm anzuwenden. Nicht nur verrät es den Giftmischer, es ist außerdem feige. Warum hat Putin ihn nicht einfach erschießen lassen, fragt der Kreml-Kritiker. Angst ist ihm keine anzusehen. Auch deshalb kehrt er nach seiner Genesung Anfang 2021 nach Russland zurück. Zuvor deckt er jedoch den Kreis der Verschwörer auf, mithilfe seines treuen Teams und des bulgarischen Journalisten Christo Grozev. Gemeinsam vollziehen sie die Flugrouten diverser verdächtiger russischer Agenten nach und ziehen die Schlinge enger. Als nur noch drei oder vier Männer in Frage kommen, ruft Nawalny selbst seine Attentäter per Telefon an. Es sind Szenen, die kaum spannungsgeladener sein könnten. Nawalny selbst bezeichnet das Geschehen „wie aus einem Film“, doch dies ist kein Film, dies ist die bittere Realität. Höhepunkt ist das Gespräch mit einem russischen Chemiker, der ebenfalls in das Attentat involviert war. Bei ihm gibt sich Nawalny als jemand anderer aus, als russischer Genosse sozusagen, und der Getäuschte plaudert aus dem Nähkästchen, liefert ein Geständnis ab, das alsbald der Welt präsentiert wird. Anmerkung: Besagter Chemiker gilt heute als vermisst.

Der Regisseur Daniel Roher ist mit dieser in Sundance ausgezeichneten Dokumentation ein hervorragendes, entlarvendes Stück Film gelungen. In klaren Bildern erzählt er unaufgeregt vom Aufgeregten. Er ist nah am Protagonisten, so nah und in den wesentlichen Momenten, dass es schier unglaublich scheint. Es ist ein großes Glück, dass wir diese Szenen nun zu Gesicht bekommen. Nawalny wird als idealistischer, aber keineswegs utopischer Mann gezeigt. Er kämpft für seine Überzeugung und ist bereit, die Konsequenzen zu tragen. Gleichzeitig mystifiziert der Film den Mann nicht. Kritische Fragen zu seiner Vergangenheit, etwa der ehemaligen Nähe zur russischen Rechten, beantwortet Nawalny seelenruhig, so wie er alles seelenruhig zu tun scheint. Wenn er am Ende nach Russland zurückkehrt, sein voll besetzter Flieger umgeleitet wird, um den unzähligen wartenden Unterstützern am Moskauer Flughafen zu entgehen, weiß er im Grunde bereits, dass er sein Heimatland nicht als freier Mann betreten wird. Das Gefängnis wartet, schlimmer noch, das Straflager. Nach den Enthüllungen seines Teams finden in ganz Russland Proteste statt. Sie werden niedergeschlagen, so wie Proteste in einer Diktatur niedergeschlagen werden. Zwei Meinungen sind nicht erlaubt. Von einer Autokratie kann nicht mehr die Rede sein. Die jüngsten Ereignisse in der Ukraine untermauern dies. Der sogenannte Westen darf die russische Opposition indes nicht vergessen. Wie Putin mit seinen Gegnern umgeht, darf nicht toleriert werden. Daniel Roher zeigt dies in seinem Film anschaulich. Jeder und jede sollte ihn ansehen. Er ist ein Mahnmal, eine Warnung. Und gleichzeitig ein Aufruf zum Protest. Denn machtlos sind wir im Westen nicht.

 

NAVALNY | TRAILER (CH)

 

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Elisabeth Garber Fr., 06.05.2022 - 15:51

Auch das Porträt "Navalny/Seine Ziele, seine Gegner, seine Zukunft" in Buchform (von J.M. Dollbaum, M. Lallouet und B. Noble) ist empfehlenswert.

Fr., 06.05.2022 - 15:51 Permalink