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Der Binnenmarkt jetzt auch digital

Wie fit ist die EU im Online Handel, in der digitalen Besteuerung und im Datenschutz? Und wie geht es weiter mit 5G und Huawei? Eine Bestandsaufnahme aus Brüssel.
Digitaler Binnenmarkt EU
Foto: Pixabay

Politiker sprechen bei Wirtschaftstreffen häufig davon, dass die digitale Wirtschaft international einheitlich geregelt werden müsse, dass wir globalen Datenschutz bräuchten, und eine Digitalsteuer. Sie warnen vor zukünftigen Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz oder 5G

Das zeigt, wie immer mehr Bereiche der Politik und der Wirtschaft in die virtuelle Welt eintreten. Das heißt aber auch: Regulierungen, die bis dato für physische Bereiche galten, müssen an die digitale Realität angepasst werden. Kurz: Wir müssen uns wappnen für die digitale Transformation. Doch ist die Europäische Union fit für diesen Übergang ins digitale Zeitalter? Andrus Ansip, Vizepräsident der Juncker-Kommission und ehemaliger Kommissar für den digitalen Binnenmarkt gibt Antworten bei einem Universitätsvortrag in seiner Heimat Estland.

 

Ich, meine Daten und das Internet

 

Im Bereich Datenschutz, scheint die EU eine Vorreiterrolle einzunehmen. So drückt es zumindest der scheidende Kommissar Andrus Ansip bei seinem Universitätsvortrag aus: „In den letzten Jahren führten um die 100 Länder zum ersten Mal eine allgemeine Datenschutzrichtlinie ein. Die meisten davon kopierten Punkt für Punkt einfach unsere Regeln.“ Mit unseren Regeln meint er die neue EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO), seit Mai 2018 in Kraft. Darin ist das Recht für alle EU Bürger festgehalten, selbst darüber zu bestimmen, was mit ihren Daten passiert, wann und wo sie gespeichert werden. Das zwingt Unternehmen dazu, ihre Prozesse bezüglich Datensammlung transparenter zu kommunizieren. Bei Verstoß kann ein Bußgeld verlangt werden, das bis zu 4 Prozent des Jahreseinkommens des Unternehmens beträgt. 

In den letzten Jahren führten um die 100 Länder zum ersten Mal eine allgemeine Datenschutzrichtlinie ein. Die meisten davon kopierten Punkt für Punkt die Regeln der EU

Es mag verwundern, dass ausgerechnet die EU die Grundpfeiler in irgendwas legt, das mit Internet zu tun hat. Doch mangels amerikanischer Vorreiterstelle im Datenschutz, trat Europa als Verfechter der digitalen Rechte an die Spitze. Der Schock über die Cambridge Analytica-Enthüllungen sowie dem Facebook-Skandal scheint letztendlich positive Früchte zu tragen.

 

Digitaler Binnenmarkt – ein Geschenk für Unternehmen und Verbraucher?

 

Im Online Handel und Verbraucherschutz machte die EU ebenfalls Fortschritte, und zwar durch den sogenannten „Digitalen Binnenmarkt“. Dieses Konglomerat an Gesetzesvorschlägen soll die vier Freiheiten des europäischen Binnenmarktes (Kapital, Ware, Dienstleistung, Personen) auf die virtuelle Ebene updaten. Die meisten Gesetzesentwürfe wurden bereits angenommen, so steht es auf dem Strategiepapier zum digitalen Binnenmarkt der EU. Zum Beispiel soll Europas Wettbewerbsfähigkeit durch verstärkte Vernetzung gesteigert werden. Ex-Kommissar und heutiger Parlamentsabgeordneter Ansip drückt das Vorhaben bei seinem Vortrag so aus: „Bis 2025 sollen alle Haushalte 100 MB Internet haben“. Also auch jene Haushalte in ländlichen, abgelegenen Gebieten. 

Ein weiterer Punkt des Digitalen Binnenmarkts betrifft den sogenannten „Freien Datenfluss“, eine Regulierung, die seit Anfang dieses Jahres den Austausch nicht-persönlicher Daten zwischen EU Mitgliedsländern festschreibt. Dadurch sparen Unternehmen bürokratischen Aufwand und Kosten. Ansip verdeutlicht die Vorzüge anhand eines Beispiels: „Nehmen wir an, ich bin eine Autowaschfirma mit Sitz in Barcelona. Nun will ich nach Frankreich expandieren, und mache eine weitere Filiale in Paris auf. Da die EU früher 28 verschiedene Regeln zur Datenspeicherung besaß, müsste ich nun in jedem einzelnen Land ein eigenes Datensystem errichten, das der jeweiligen nationalen Gesetzeslage entspricht. Da expandiere ich doch lieber nach Amerika, wo es eine einheitliche Regulierung zur Sammlung und Speicherung von Daten gibt.“ Das ineffiziente System wurde nun durch Reformen überwunden. Der freie Datenfluss kann laut Informationen der EU den Wert der Datenwirtschaft der Union auf 4 Prozent des BIPs verdoppeln.

Da die EU früher 28 verschiedene Regeln zur Datenspeicherung besaß, müsste ein Unternehmen in jedem einzelnen Land ein eigenes Datensystem errichten. Da expandiere ich doch lieber nach Amerika. Die neuen Reformen überwinden diese Ineffizienz

Einen der wichtigsten Schritte in Richtung digitalen Binnenmarkt betrifft der Online Handel. Vorher war es laut dem EU Abgeordneten Ansip nicht leicht, online aus anderen EU Mitgliedstaaten einzukaufen. Kreditkarten aus EU Nachbarländern Ländern wurden oft nicht akzeptiert, Ware wurde nicht geliefert aufgrund falscher IP-Adressen, Unternehmen hatten Probleme mit der online Registrierung. Die Realität lag weit von dem entfernt, was die SEPA, also der einheitliche Europäische Zahlungsraum verspricht, nämlich, eine problemlose online Bezahlung über Grenzen innerhalb der gesamten EU hinweg. „Wenn ich als estnisches Unternehmen Wasserflaschen verkaufe und zu dir als Italiener sage: Nein, du darfst meine Wasserflasche nicht kaufen, dein Geld ist aus Italien, dann gäbe es einen Aufschrei! Das Gesetz verbietet nationale Diskriminierung, daher haben wir ja einen freien EU Markt. Aber genau das geschah vor kurzem noch bei virtuellen Käufen in der EU,“ verdeutlicht es der scheidende Kommissar. 

 

 

Den digitalen Binnenmarkt hätte man zwar nicht gänzlich erreicht, erklärt Ansip, doch sei man ihm in der letzten Legislaturperiode entschieden nähergekommen. Wird er weiter ausgebaut, könnte der neue virtuelle Wirtschaftsraum bis zu 415 Milliarden Euro pro Jahr zum EU-Haushalt beitragen. Laut Union trägt der Digitale Binnenmarkt aber nicht nur zu mehr Verbrauchertransparenz, und einfacheren Regeln für Unternehmen und Start-ups bei, sondern enthält auch Vorschläge, sogenannte „Fake-News“ zu bekämpfen, oder hat sich zum Ziel gesetzt, Videoinhalte, die in anderen EU-staaten nicht abrufbar sind, europaweit verfügbar zu machen.

Die positiven Entwicklungen seien aber leider nicht bei den EU Bürgern angekommen, gibt Ansip wehmütig zu bedenken: „Die Menschen werden sich nicht an die Abschaffung der Roamingkosten erinnern, oder an die Fortschritte im digitalen Binnenmarkt. Wenn die Europäer an die Juncker Kommission denken, werden sie diese Zeit leider mit dem Brexit verbinden, oder anderen emotionale Themen wie Migration. Das tut mir leid!“

Die Menschen werden sich nicht an die Abschaffung der Roamingkosten erinnern, oder an die Fortschritte im digitalen Binnenmarkt. Wenn die Europäer an die Juncker Kommission denken, werden sie diese Zeit leider mit dem Brexit verbinden, oder anderen emotionale Themen wie Migration. Das tut mir leid!

 

5G und Huawei – das digitalisierte Böse?

 

Ein Wort fiel bei der Fragerunde an den Abgeordneten Ansip sofort: Huawei. Der chinesische Telekommunikationsservice gehört neben den finnischen und schwedischen Unternehmen Nokia und Ericsson zum einzigen Anbieter, der das 5G Netzwerk bereitstellen kann. Die Aussicht, Huawei können Europa an das 5G Netzwerk anschließen, löst jedoch Sorge aus, denn man befürchtet, das Unternehmen könne gesammelte Daten direkt an die autoritäre Regierung Chinas weiterleiten. 

Seit 2017 gibt es in China ein Gesetz, das Technofirmen zwingt, mit den Geheimdiensten zu kooperieren. Das bestätigt viele Kritiker in ihrer Vermutung, von der Regierung in Peking ausspioniert zu werden. Ein weiterer kritischer Punkt: Das nationale Überwachungsprogramm Chinas „Sharp Eyes“, das anhand künstlicher Intelligenz Gesichter erkennen und diese Daten analysieren kann, wurde auch von Huawei mitgestaltet. Insbesondere arbeitete Huawei am Überwachungssystem mit, das in der Region Xinjiang installiert ist. Dort lebt die Volksminderheit der Uiguren und auch viele Kasachen. Menschen dieser Ethnien werden in sogenannte Umerziehungslager gesperrt und gefoltert, immer mehr Berichte über die dortigen Menschenrechtsverletzungen geraten an die internationale Öffentlichkeit. Mittlerweile sollen laut Angaben eineinhalb Millionen Menschen inhaftiert sein, wobei die technologische Überwachung, die Huawei unterstützt, diese Zahl noch weiter ansteigen lassen dürfte.

Wie geht es also weiter mit Huawei in Europa? Wird der Anbieter das G5 Netz in der Union ausbauen? Ginge es nach Merkel, so könne der chinesische Dienstleister Europa an das neue Netz anschließen, das zehnmal schneller und mit geringerem Energieverbrauch funktioniert. Doch müsse China dafür ein „No-Spy-Abkommen“ unterzeichnen. Der Kommissar des digitalen Binnenmarkts dazu: „Ein chinesischer Diplomat sagte einmal ‚Huawei wird nie spionieren‘.“ Aus Ansips Gesicht sind Zweifel zu lesen. Ebenjenem Dilemma widmet sich die EU zurzeit, ein Expertenteam arbeite laut Ansip an einem risk assessment. Ob Huawei, ähnlich wie in den USA, auf die schwarze Liste gesetzt wird, und der Auftrag stattdessen an Ericsson oder Nokia geht, entscheidet die EU bis Ende Dezember

 

Noch keine Lösung in Sicht: Künstliche Intelligenz und Digitalsteuer

 

Zuletzt bleiben Themen rund ums Internet, die zu regulieren die EU wohl noch länger brauchen wird. Das Thema der Digitalsteuer etwa. Bisher führten eine solche Steuer nur Frankreich und Ungarn ein, obwohl das Thema schon länger auf dem EU-Tisch liegt, erklärt Ansip: „Der Entwurf einer digitalen Besteuerung von Unternehmen wurde kontinuierlich nach hinten verschoben.“ Dieses Gesetz zwingt Unternehmen dort ihre Steuern zu zahlen, wo sie Umsatz generieren, nicht nur im Land ihres physischen Standorts. Somit bekommt jetzt auch Frankreich einen Teil der Profite von Amazon, Facebook oder Google, nicht nur jene Länder, in denen das Unternehmen seinen Sitz hat. 

Von einer EU-weiten Digitalsteuern scheinen wir aber noch weit entfernt zu sein, denn dieser Politikbereich bedarf der Zustimmung aller Mitglieder, und Belgien, Luxemburg oder Irland wehren sich dagegen. Kein Wunder, dass diese Länder ihren Ruf als Steuerparadiese nicht versauen möchten. „Man versuchte diese Abstimmung in jene Bereiche zu schieben, die mit qualifizierter Mehrheit durch den Rat gebracht werden können“ erzählt Ansip weiter, „doch ohne Erfolg.“ Aus diesem Grund werde man die Digitalsteuer nach dem Prinzip der zwei Geschwindigkeiten einführen. Einige Länder kündigten bereits eine Digitalsteuer ein, ob mehr folgen, wird sich zeigen.

 

 

Beim Thema Künstlicher Intelligenz (KI) hält sich Ansip kurz, Regelungen in diesem Bereich scheinen noch weiter in den Sternen zu stehen: „Es ist unmöglich Gesetze zur Künstlichen Intelligenz zu entwerfen, wenn wir noch nicht wissen, was genau eigentlich zu regulieren ist“, so Ansip. Zu diesem Ergebnis sei eine europäische Expertengruppe gekommen, die zu den ethischen Aspekten von KI forscht. „Wir müssen uns für die Konsequenzen dieser neuen Technologie wappnen, aber nicht mit hartem Recht, dafür ist es noch zu früh und es würde Innovation und Entwicklung nur hemmen“. Wie die EU den Balanceakt zwischen Innovation und Regulierung der digitalen Welt in Zukunft meistern wird, bleibt zu beobachten.