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„Grün ist das neue Schwarz“

Die EU-Kommission verspricht einen Green New Deal, doch der Wandel passiert vor der Haustür: Peter Defranceschi über die Nachhaltigkeit europäischer Städte.
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Foto: Pixabay

Während die Staats- und Regierungschefs der EU sich auf der UN- Klimakonferenz in Madrid mit ihren Kolleginnen und Kollegen darüber beraten, wie das Pariser Klimaabkommen konkret umgesetzt werden kann, arbeiten Andere bereits daran, es Realität werden zu lassen. Dafür fängt man am besten ganz unten an: bei Städten, Gemeinden und Regionen.

Diesen Ansatz verfolgt der gebürtige Meraner und promovierte Jurist Peter Defranceschi. Seit knapp 15 Jahren leitet er das Brüssel Büro von ICLEI, einer europäischen und global operierenden Organisation von Städten, die sich für mehr Lebensqualität für alle Bürger und Nachhaltigkeit in Städten einsetzt. Im Interview erzählt er von der Vielfalt Brüssels, warum in Europa „Grün“ das neue „Schwarz“ ist, und von der Wichtigkeit nachhaltiger Projekte auf lokaler Ebene, auch in Südtirol.

Salto.bz: Herr Defranceschi, wie sind Sie auf Brüssel gekommen und wie lebt es sich dort? 

Defranceschi: Eigentlich durch Zufall. Nach Aufenthalten in mehreren Städten und einem Jahr in der Türkei, wo ich mehr auf Menschenrechte spezialisiert war, wollte ich meinen Arbeitsbereich ausweiten. Die lokale, regionale Dimension ist ideal, um Nachhaltigkeit umzusetzen. Mittlerweile ist das Thema voll im Trend. Brüssel ist wie eine ältere versoffene Dame, deren Anmut sich erst mit der Zeit offenbart. Kein Barcelona, das dir gleich um den Hals fällt oder ein Rom oder Istanbul mit ihrer zeitlosen, morbiden Schönheit. In meinem Viertel sind alle Häuser anders und die menschliche Vielfalt ist einzigartig. Das ist sehr bereichernd – das sehe ich auch bei meinen Kindern.

Und was genau sind Ihre Aufgaben bei ICLEI, dessen Büro in Brüssel Sie leiten?

Ich spiele House of Cards - auf europäisch und mit nachhaltigen Karten (lacht). Schlussendlich ist Brüssel wie ein kleines Dorf. Ich habe viele gute Kontakte über Schule und manchen Partys. Auch wenn es oft um scheinbar trockene, komplizierte Themen gibt, so sind auch Menschen dahinter, die persönlich etwas bewegen wollen. Bei meiner Arbeit geht es neben EU Politik und EU-Projekten meist um ganz konkrete Herausforderungen. Oslo wollte zum Beispiel das Stadtzentrum für den Verkehr sperren, aber es wirtschaftlich lebendig halten. Also habe ich für den Bürgermeister die fortgeschrittensten Städte zum Thema eingeladen und eine kleine Konferenz organisiert. Vor zwei Wochen habe ich im Ausschuss der Regionen eine Konferenz zur nachhaltigen Ernährung veranstaltet, wo neben Paris und Kopenhagen auch der Südtiroler Landeshauptmann dabei war. Danach haben mich Bürgermeister aus der schwedischen ehemaligen Kornregion Östergötland besucht, um sich über das Thema auszutauschen.

Brüssel ist wie eine ältere versoffene Dame, deren Anmut sich erst mit der Zeit offenbart.

ICLEI versucht, lokale Regierungen zu überzeugen, umweltfreundlichere und nachhaltigere politische Entscheidungen zu treffen. Viele Politiker sehen Nachhaltigkeit aber als Hindernis für wirtschaftliches Wachstum. Wie überzeugt man die Politik, ihre Entscheidungen nach der Umweltfreundlichkeit, statt nach dem Profit auszurichten? 

Politiker von morgen sehen das anders. Wir haben Bürgermeister von großen und kleinen Städten wie Stockholm und Växjö, die in den nächsten Jahren klimaneutral sein werden und trotzdem wirtschaftlich sehr erfolgreich sind. Zahlen belegen, dass nachhaltiges Wirtschaften auf die Dauer mehr Früchte bringt. Es ist bedauerlich, wenn sich Politiker nur auf Stimmungsbarometer, Wiederwahl und die großen Marktakteure konzentrieren. Früher war es z.B. modern, die Natur aus der Stadt zu verbannen, nun wird viel Geld ausgegeben, die Natur wieder zurückzuholen, Gewässer zu reinigen, Straßen zu beruhigen, alles, um mehr Lebensqualität für die Bürger zu schaffen. Mittlerweile ist die Artenvielfalt in vielen Städten höher als auf dem Lande!

Also würden Sie sagen, heute ist es einfacher als noch vor 10 Jahren, Entscheidungsträger dazu zu bringen, klimafreundlichere Politik zu betreiben? 

Bei den letzten EU-Wahlen war Klimawandel ganz klar der Wahlsieger. Greta hat in einem Jahr mit ihren FridaysForFuture mehr bewegt, als andere in zehn Jahren davor. Zugegebenermaßen war auch in Deutschland der Druck sehr hoch, aber das abgeschlossene Klimapaket dann sehr ernüchternd. Zu groß war die Angst vor den AfD-Wählern, den Kosten und China, wo dann laut Politkern alles ausgelagert werden würde.

 

Man denkt aber immer, Klimaschutz funktioniert nur global, denn eine Stadt, oder ein Staat allein, kann nichts ausrichten. Wie kann regionale Politik nun doch zum Klimaschutz beitragen? Warum ist es wichtig für euch, ausgerechnet auf regionaler Ebene anzusetzen?

Das Pariser Abkommen und die jährlichen Klimakonferenzen sind internationale Angelegenheiten zwischen nationalen Regierungen. Es hat uns viel Mühe gekostet, die Mitgliedsländer davon zu überzeugen, wie wichtig auch lokale Regierungen, also Städte, sind, wo mittlerweile die meisten Menschen leben. Am Anfang durften wir nur einen Bürgermeister für eine fünfminutige Rede zur Klimakonferenz senden. Das war unser Mitglied New York. Mittlerweile gehören Städte fix dazu und tauschen sich mit Ministern aus. Bürgermeister sind näher zu den Bürgern und können viel rascher agieren, wenn sie wollen. Südtirol als Provinz mit Autonomiestatut hat vielleicht auch mehr Möglichkeiten, die Ausschüttung der Gelder an die 116 Gemeinden mit Nachhaltigkeitsauflagen zu verknüpfen. Dazu braucht es aber auch ordentliche Beratungsstellen für die Gemeindesekretäre.

Südtirol als Provinz mit Autonomiestatut hat mehr Möglichkeiten, die Ausschüttung der Gelder an die 116 Gemeinden mit Nachhaltigkeitsauflagen zu verknüpfen. Ich warte hart auf den Tag, wo Nachhaltigkeit zur Chefsache wird und Südtirol endlich zur Modellregion, die ganz Europa inspiriert

Welche Motoren haben Europa zu einer grüneren Politik getrieben, welche Hindernisse haben sie gebremst? 

Wenn viele Bürger aufstehen, muss die Politik reagieren. Die Wirtschaftskrise hat sicherlich gebremst. Da war dann vordergründig von Jobs und Wirtschaftswachstum die Rede, als ob die Ressourcen unbegrenzt wären. Mit Ursula von der Leyen kommen plötzlich Themen wie nachhaltige Ernährung auf die hohe politische Agenda, die bislang aufgrund der Agrifood-Lobby fast tabu waren.

Was erwarten Sie sich von der neuen Kommission von der Leyen? Dürfen wir uns Schwung im Klimaschutz erhoffen, oder bleiben von der Leyens Versprechungen vorüberwiegend symbolisch?

Die neue Kommissionspräsidentin hat mit unserem Landeshauptmann gemeinsam, dass sie sieben Kinder hat. Da hofft man auf eine nachhaltigere Politik (lacht). Sie fordert, dass ihre Kommissäre innerhalb von 100 Tagen einen European Green Deal ausarbeiten. Bis 2050 soll Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt sein. Zudem sollen Strategien zur Biodiversität, zur Kreislaufwirtschaft und zu kurzen Lebensmittelkreisläufen ausgearbeitet werden.

Der Zeitgeist, so sehen es Viele in Brüssel, hat sich also verändert. Ist jetzt die perfekte Zeit, um Regierungen auf mehr Nachhaltigkeit hin zu drängen? 

Genau! Das Eisen muss man schmieden, wenn es heiß ist. In Brüssel ist jetzt ein super Moment um mit guten Ideen aufzuwarten, da alle unter Druck sind. Grün ist das neue Schwarz! Viele in der Kommission sind überzeugt, dass wir eine systematische Änderung brauchen, nicht nur weiter wie bisher. Ich komme auch gerade von einem Vortrag auf einer Konferenz bei der FAO, der Welternährungsorganisation, die wissen wollte, wie die Vereinten Nationen weltweit Städte beim Thema Ernährung und Lebensmittel unterstützen kann.

Die neue Kommissionspräsidentin hat mit unserem Landeshauptmann gemeinsam, dass sie sieben Kinder hat. Da hofft man auf eine nachhaltigere Politik

Kommen wir auf die staatliche Ebene: Italien hat gerade einen „Green Deal“ erarbeitet. Eine Bestimmung sieht vor, dass ab nächstes Jahr Klimafreundlichkeit an Schulen unterrichtet werden soll. Darin ist Italien jetzt ein Vorreiter. Wie schätzen Sie diesen Green Deal ein? 

Erziehung ist vielleicht die wichtigste Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt. Ignoranz ist einfach zu teuer. Wieviel Innovation kann man von Kindern erwarten, die nur lernen und folgen sollen? Wir brauchen kritische und kreative Menschen, die Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft finden können. Italienische Städte sind schon länger von Hitzewellen und starken Regenfällen betroffen, die laut allen Prognosen schlimmer werden. Da ist es sicherlich gut, wenn dies auch in den Schulen Thema ist, wie auch immer das dann heißt. Es braucht Lebensschulen!

 

 

Und nun zur untersten Ebene: Sie haben unter anderem auch Südtiroler Gemeinden beraten?

Ich hatte ein EU-Projekt mit über 30 NGOs zum Thema nachhaltige öffentliche Beschaffung geleitet. Die Organisation für eine solidarische Welt OEW mit Sitz in Brixen war eine der aktivsten Organisationen europaweit und war zum Thema Gemeinschaftsverpflegung, also gesunde, frische Mahlzeiten in Mensen aktiv. Da haben wir dann mit eifrigen Mitstreitern an der Universität Bozen eine tolle und vielbeachtete Auftaktveranstaltung organisiert, wo vom Gemeindeverband, Beschaffungsamt, Produzenten bis hin zu den Mensaköchinnen alle dabei waren und sich einig, dass nachhaltige Gemeinschaftsverpflegung mit kurzen Kreisläufen für Südtirol ein enormes Potential hat. 

Und wie geht es mit dem Südtiroler Projekt nachhaltiger Gemeinschaftsverpflegung weiter?

Wir arbeiten an der Folgeveranstaltung zur Umsetzung einer nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung. Nach drei Wallfahrten nach Weißenstein steht nun der Landeshauptmann hinter uns. Wir geben nicht auf (lacht). Wenn es der Landeshauptmann mit dem Thema ernst meint – und in Brüssel tretet er hier sehr kompetent und engagiert auf – dann müssen nun die vergaberechtlichen Knoten – sprich Schulung und Leitfäden für Beschaffer bzw. Gemeindesekretäre - und markttechnischen Knoten – sprich Erhebung Angebot und Nachfrage bzw. Potential von nachhaltigen Lebensmitteln in Südtirol - gelöst werden. Sobald dies geschehen ist, steht einer aufsehenerregenden Folgeveranstaltung mit allen Akteuren nichts im Wege.

Wie würden Sie die „Grünheit“ Südtirols einschätzen. Spielt Nachhaltigkeit im Land eine genügend wichtige Rolle?

In Zeiten, wo Südtirol von Flüchtlingshorden, Rechtspopulisten und Wolfsrudeln in seiner Existenz bedroht ist, kann ich kompetente und besonnene Politiker wie unseren Landeshauptmann nicht genug schätzen. Ich warte aber hart auf den Tag, wo Nachhaltigkeit zur Chefsache wird und Südtirol endlich zur Modellregion werden kann, die ganz Europa inspiriert.

Während in Deutschland von einem grünen Kanzler die Rede ist und ein Söder in Bayern am liebsten Bäume umarmt, wird in Südtirol noch über grüne Politik gelästert, als wären wir in den 80er Jahren

 

Sie haben vor zwei Jahren selbst einen Kommentar auf Salto verfasst, wo es um nachhaltige Lebensmittelproduktion geht. Damals sahen Sie viel Potential auf kommunaler Ebene, die aber noch großflächiger und entschiedener umgesetzt werden müsse. Sie schreiben im Abschluss: „Mal sehen, was bis 2019 in Südtirol passiert“. Was ist also bis jetzt passiert? 

Ja, ich hatte damals angeprangert, dass die Politik diesbezüglich viel mutiger in Brüssel als zu Hause ist. Ich hatte damals z.B. auf „Bio-Regio Bayern 2020“ mit Regierungserklärung, Fachschulen, 12 Öko-Modellregionen und einem eigenen Bio-Siegel hingewiesen, was nach mehr Wind in den Segeln klingt. 

Woran hapert’s mit der Südtiroler Nachhaltigkeitspolitik?

Allgemein fällt mir auf, dass während in Deutschland von einem grünen Kanzler die Rede ist und ein Söder in Bayern am liebsten Bäume umarmt, wird hier noch über grüne Politik gelästert, als wären wir in den 80er Jahren. Ein New Yorker Bürgermeister hat einmal gesagt, dass es bei Rohrbruch keine rechte oder linke Lösung gibt, sondern nur eine ordentliche Reparatur. Ein konkretes Beispiel: in dem eben genannten Projekt zur nachhaltigen Gemeinschaftsverpflegung sehen wir auf der einen Seite einen engagierten Landeshauptmann, der das neue Vergabegesetz lobt, das seine guten Seiten hat. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch eine Landesvergabeagentur, die per se keiner Nachhaltigkeit verpflichtet ist und in dem Vergabegesetz sogar diese nationalen Nachhaltigkeitsvorgaben für Südtirol aufweicht. Da hapert’s.

 

 

Ist der Malser Weg ein richtiger Ansatz?

Tatsache ist, dass der Malser Bürgermeister mit der Mehrheit seiner Bürger eine Bewegung geschaffen hat, von deren Marktwert eine IDM nur träumen kann. Ich weiß, dass es den Malsern hauptsächlich um das chemische und synthetische Pestizidverbot geht. Aber Mals hat auch Preise zum Thema Flüchtlinge und Mobilität gewonnen, hat ein Bergsteigerdorf mit Bio-Alm, einen Bürgerhaushalt, viele Städte in Europa inspiriert und viele wunderbar harte, aber kreative Köpfe. Interessant auch, dass der Bürgermeister bei der SVP ist und eines der höchsten Wahlergebnisse Südtirols hatte. Abgesehen davon, gibt es aber auch bei Mals Luft nach oben.

Wollten Sie nie nach Südtirol zurück?

Vor einigen Jahren habe ich über die EU Südtirol-Vertretung Direktoren mehrerer Institutionen wie die Umweltagentur und das IDM für einen Gesprächstermin angeschrieben, aber nie was gehört. Später wurde mir gesagt, dass da grundsätzlich nicht viel zu erwarten war. Jedenfalls bekomme ich bei der Europäischen Kommission immer eine Antwort. Aber davon abgesehen, wird man mit der Zeit ein bisschen ein Fremder im eigenen Land. Manchmal sind Wetter und Politik in Brüssel doch recht grau, aber dann ist da jetzt der große städtische Laubwald mit seiner Farbenpracht und die Menschen mit ihren Geschichten aus der ganzen Welt.

Zum Abschluss noch einen Blick in die Zukunft: Glauben Sie, wir kriegen noch die Kurve? 

Die Dinosaurier hatten keine Chance, wir schon. Die Wissenschaft lässt keine Zweifel am menschengemachten Klimawandel und rasantem Schwund der Artenvielfalt. Später werden wir nicht sagen können, wir hätten nichts gewusst.

 

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Herta Abram Fr., 06.12.2019 - 09:27

Bin begeistert von Frau Tappeiners und Herrn Defranceschis ausgedrückter Haltung!
Auch unser LH gehört für mich zu den Menschen, die auch persönlich etwas bewegen wollen.
Zu „Grün ist das neue Schwarz“: Nicht alle in der SVP sind dazu in der Lage. Es gibt immer noch viele, die sich eine Lebenswelt zu schaffen versuchen, in der möglichst alles so bleibt, wie es einmal war, weil sie den Verlust ihrer so mühsam eroberten Machtpositionen befürchten. Sie alle haben nicht nur keine Lust, sich selbst weiterzuentwickeln, sie tun auch alles, was in ihrer Macht steht, um die so dringend notwendigen Veränderungen zu verhindern.

Fr., 06.12.2019 - 09:27 Permalink
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Sepp.Bacher Fr., 06.12.2019 - 14:04

Antwort auf von Herta Abram

"......in der möglichst alles so bleibt, wie es einmal war,......"
Grüne Politik ist konservativ. Das erhalten, was noch natürlich und nachhaltig ist - wie es einmal war, finde ich schon notwendig. In der Berg-Landwirtschaft bräuchte man nur in der Bewirtschaftungsart zwei Generationen zurückkehren - zwar mit Maschinen und mit elektrischen Strom, aber biologisch nachhaltig, wie damals!

Fr., 06.12.2019 - 14:04 Permalink